Welche Auswirkungen hat der rasante Anstieg der Staatsausgaben auf Politik, Verwaltung und Gesellschaft? Angesichts mehrerer Sondervermögen und Investitionsfonds stellen sich diese Frage zurzeit viele Menschen in Deutschland. Die Sorge um eine steigende Schuldenlast und deren Gegenfinanzierung wühlt auf. Ein Blick zurück in die Geschichte lehrt, dass stetig steigende Staatsausgaben bereits im Mittelalter tiefgreifende Folgen hatten. Marco Conti demonstriert dies für das spätmittelalterliche Bologna. In seiner im Jahr 2021 an der Universität Lyon 2 eingereichten Dissertation geht er den Implikationen hoher Staatsausgaben für die mittelitalienische Großstadt von 1288 (städtische Statuten) bis 1360 (Ende der Visconti Herrschaft) nach. Für eine französische Doktorarbeit ist das Buch mit etwas über 180 Seiten sehr schlank. Dies ist jedoch durchaus als Stärke zu verstehen, ermöglicht es so doch trotz des Spezialthemas einen recht leichten Zugang.
Conti verortet seine Arbeit innerhalb zweier Forschungskomplexe: einerseits der Finanzgeschichte des Mittelalters, die im deutschsprachigen Raum eher ein Schattendasein führt, sich jedoch gerade für die ober- und mittelitalienischen Städte einer langen Tradition erfreut; andererseits der pragmatischen Schriftlichkeit, welche sich vor allem in Belgien und Frankreich in den zurückliegenden Jahren verstärkt den Rechnungsquellen zugewandt hat. Conti möchte diese beiden Zugänge in seiner Arbeit zusammenführen. Dies gelingt ihm nicht vollumfänglich, was nicht an den Einzelbefunden liegt - diese überzeugen -, sondern daran, dass die beiden Blöcke eher nebeneinanderstehen als miteinander zu korrespondieren.
Drei große Kapitel strukturieren das Thema. Im ersten Abschnitt steht die politische und administrative Entwicklung vom 12. bis ins 14. Jahrhundert im Mittelpunkt (15-52). Der zweite Teil befasst sich mit der Finanzverwaltung und ihrem Schriftgut (55-125). Das letzte Hauptkapitel nimmt sich der städtischen Finanzen selbst an, wobei ein Hauptaugenmerk auf den Steuern liegt (129-187). Während die Basis des zweiten und dritten Abschnitts die reiche archivalische Überlieferung im Staatsarchiv von Bologna bildet, wurde der erste Teil hauptsächlich aus der Forschungsliteratur erarbeitet. Conti kann auf über 200 Rechnungsbücher zurückgreifen, die schwerpunktmäßig für die ersten Jahrzehnte des Untersuchungszeitraums dichter überliefert sind.
Die Geschichte Bolognas lässt sich vom ausgehenden 13. bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts in vier entscheidende Abschnitte einteilen. Zunächst gab es eine Periode der kommunalen Selbstbestimmung, die wie in zahlreichen anderen italienischen Städten vom Konflikt zwischen Guelfen und Ghibellinen gekennzeichnet war. Ein Schlüsselereignis stellt die Verabschiedung neuer Statuten im Jahr 1288 dar. Sie regelten das politische System der Stadt und ordneten die dafür benötigten Finanzmittel. Danach kam es von 1327 bis 1360 zu drei Phasen der Fremdherrschaft. Den Anfang machte das Papsttum, das in Bologna durch Bertrand du Pouget (gest. 1352) vertreten war. Darauf folgte die Herrschaft der Pepoli und abschließend jene der Mailänder Visconti.
Auf den kommunalen Finanzhaushalt hatten die unterschiedliche politischen Akteure aber deutlich weniger Einfluss, als man gemeinhin annehmen könnte. Obgleich gerade du Pouget und die Visconti Bologna als Vehikel für ihre territorialen und politischen Ambitionen in Mittelitalien nutzten, waren sie in einem administrativen und finanziellen Korsett gefangen. Über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg standen drei Posten unabänderlich an der Spitze der Ausgabenseite: das Militärische, die Nahrungsmittelversorgung und die Verwaltung. Je nach militärischer Lage fielen die Ausgaben für den Wehrbau und das Söldnerwesen mit einem gewissen Abstand am höchsten aus. Darauf folgten Aufwendungen für Getreide und Salz sowie für die Verwaltung selbst, also die Funktionsträger der Stadt.
Getragen wurde der städtische Haushalt von Steuern. Die direkten Vermögenssteuern basierten dabei wie in den meisten Städten auf Steuerselbsteinschätzungen. Man strich sie halbjährlich mit einem Hebesatz von 0,4 beziehungsweise 0,8 Prozent ein. Während kriegerischer Phasen wie etwa 1296/97 gegen die d'Este wurden zusätzliche direkte Steuern ausgelobt. Hinzu traten die indirekten Verbrauchssteuern. Je nach Bedarf wurden sie ausgeweitet oder zurückgefahren. Im Laufe des 14. Jahrhunderts wurde die Steuerlast auf das Bologneser Umland (contado) und die verfeindeten Gebiete deutlich erhöht, während man sie im Gegenzug für die vier städtischen Viertel beibehielt oder sogar reduzierte. Der Steuerdruck führte bei jenen Bolognesern, deren politische Partizipation sich in engen Grenzen bewegte, zu einem hohen Anteil an Steuerbetrug. Kredite, die auf Freiwilligkeit basierten, schloss die Finanzverwaltung hauptsächlich mit den vermögenden Familien Bolognas, die wichtige Ämter in der Stadt bekleideten. Eine hohe Verschuldungswelle setzte mit den Verheerungen der Großen Pest ab 1347 und der Herrschaft der Visconti ein.
Conti arbeitet heraus, welch großen Einfluss die militärischen Konflikte auf Bologna hatten. Sie hatten die Einführung neuer Ämter und Kommissionen zur Folge, die sich vor allem mit Finanzoperationen und Rechnungsprüfung befassten. Zudem kam es zu einem starken Anstieg der direkten Steuern und zu einem politischen Bedeutungsgewinn jener Familien, die als Geldleiher und Wechsler tätig waren. Weniger deutlich fallen die Implikationen der Kriege auf das Verwaltungsschriftgut aus. Wenn Neuerungen in der Rechnungspraxis etabliert wurden, dann lag dies nur zu einem geringen Anteil an den Konflikten. Als Katalysatoren fungierten vielmehr neue Stadtherren und Funktionsträger in der Verwaltung. Doch auch sie konnten nichts Umstürzendes bewerkstelligen, denn obschon kein typisch Bologneser Rechnungsbuch existierte, so kam es während des 13. und 14. Jahrhunderts in der administrativen Schriftlichkeit doch zu geringeren Veränderungen als in anderen Bereichen des städtischen Lebens.
Vielleicht sehen wir hierin eine Parallele zu unserer heutigen Zeit. Während sich aufgrund hoher Ausgaben Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verändern, wirkt die Verwaltung in ihren Abläufen und Prozessen wesentlich konstanter. Erst in der Rückschau wird man ermitteln können, ob die steigenden Staatsausgaben im 21. Jahrhundert ähnliche Auswirkungen haben werden wie die militärisch bedingte Ausgabenbelastung im Bologna des 13. und 14. Jahrhunderts, die Marco Conti in seinem Buch anschaulich und nachvollziehbar untersucht hat.
Marco Conti: Gouverner l'argent public. Finance, fiscalité et écritures comptables à Bologne, de la commune du peuple (1288) à la seigneurie des Visconti (1360) (= Scripta Mediaevalia; 49), Pessac: Ausonius Editions 2024, 226 S., 34 Farb-, s/w-Abb., ISBN 978-2-35613-609-1, EUR 19,00
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