sehepunkte 25 (2025), Nr. 10

Maike Hoffmeister: Posthumane Männlichkeiten

Mit Posthumane Männlichkeiten legt Maike Hoffmeister eine kunstwissenschaftliche Untersuchung vor, die sich einem bislang wenig beachteten Schnittfeld widmet: der Darstellung von Männlichkeit im Kontext posthumaner Technologien und Körpermodifikationen. Im Zentrum stehen künstlerische Auseinandersetzungen mit Cyborgs, prothetischen Körpern und männlichen Identitäten in einer zunehmend digitalen und (bio-)technologisch geprägten Welt.

Diesem komplexen Unterfangen stellt die Autorin eine dichte Einleitung und ein Theoriekapitel voran. Darin bettet sie das Thema in einen kunsthistorischen Kontext ein und verweist unter anderem auf die plötzliche Allgegenwart prothetischer Körper nach dem 1. Weltkrieg und verfolgt die Frage, wie jene etwa von Surrealist:innen künstlerisch aufgegriffen wurden (33-38). Zugleich werden relevante Theorien und Begriffe erläutert. Hier sind im Besonderen die Konzeption posthumaner Körper und der verwendete Cyborg-Begriff zu nennen: Unter Ersterem versteht die Autorin "einen Körper, für den die allgegenwärtige technologische Durchdringung zu einer grundlegenden Existenzbedingung geworden ist und durch dessen Hybridität [...] humanistische und universalistische Vorstellungen des abgrenzbaren menschlichen Körpers" (9) in Frage gestellt werden. Die Versinnbildlichung eines solchen Menschenbildes sieht Hoffmeister in der Figur des Cyborgs, als einem "Hybrid aus organischen und künstlichen Körperbestandteilen bzw. ein vernetzter und digitaler Organismus". (13)

Im Theorieteil setzt die Autorin diese Ideen in ein diskursives Verhältnis zu Queerness und Männlichkeit. Sie zeigt auf, wie ein auf Ganzheit und Abgeschlossenheit pochendes Männlichkeitskonzept - wie es nach wie vor präsent ist - mit dem invasiven Einsatz von Technik zusammengeht und bisweilen 'verqueert' wird. Dieses Vorgehen fußt auf etablierten Konzepten der Männlichkeitsforschung, wie etwa Klaus Theweleits Theorie männlicher Körperpanzer. [1]

In den drei darauffolgenden Hauptkapiteln analysiert Hoffmeister ausgewählte künstlerische Positionen, darunter Werke von Aziz + Cucher, Hiroko Okada, Hannes Wiedemann, Lu Yang und Patricia Piccinini. Diese Auswahl ist klug getroffen, da sie unterschiedliche ästhetische Zugänge, kulturelle Kontexte und medientechnologische Rahmungen sichtbar macht. Ausgehend von ihrer Analyse eruiert die Autorin vier posthumane Männlichkeitsbilder: Erstens die "krisenhafte Männlichkeit" (266), die Technik einsetzt, um eine verloren geglaubte Ganzheit und Kontrolle wiederherzustellen. Versinnbildlicht wird dieser Zugang laut Hoffmeister etwa durch das Bild "des muskulösen 'Körperpanzers'" (139) in den Werken von Aziz + Cucher, deren Inszenierung an die Darstellungen des nationalsozialistischen Bildhauers Arno Breker erinnern (138-143). Zweitens Männer, die sich durch "Cyborgisierung" (108) gegen einen drohenden Statusverlust aufgrund von Erkrankungen, sozialem Wandel etc. wappnen. Diesen Typus exemplifiziert die Autorin unter anderem anhand der Arbeiten des Fotografen Hannes Wiedermann, der sich in seinem Werk mit sogenannten "DIY Cyborgs" (101) beschäftigt. Dabei handelt es sich um Angehörige der Biohacker-Community, die sich durch an sich selbst ausgeführte Operationen - etwa die Setzung von technischen Implantaten - eine Selbstaufwertung erhoffen. Sowohl im ersten als auch im zweiten Typus sieht Hoffmeister das Nachklingen patriarchaler Vorstellungen.

Dem entgegen stehen die zwei letzten Typen. So werden an dritter Stelle Arbeiten aufgeführt, in denen fragmentierte oder modifizierte Körper bewusst genutzt werden, um queere Identitäten jenseits binärer Geschlechtergrenzen zu inszenieren. Ein anschauliches Werkbeispiel für diesen Ansatz ist Lu Yangs Uterusman (234-238). In dieser Videoarbeit sehen wir den:die nichtbinäre:n Superheld:in Uterusman, dessen:deren Kräfte auf dem weiblichen Geschlechtsorgan beruhen. Inszenatorisch wird dabei der augenscheinlich männliche Körper mit dem Uterus verschmolzen - die Arme werden zu Eileitern, die Hände zu Eileiterfransen etc. Wie Hoffmeister selbst anmerkt, kommt es hier zu einer Vermischung von körperlicher Ambivalenz beziehungsweise Queerness mit technologischer Selbstermächtigung und damit auch zu einer Überschneidung zweier Typologisierungen: So vereint Uterusman die Idee einer sich aufrüstenden Männlichkeit, wie sie Hoffmeister in den ersten beiden Kategorien definiert, mit geschlechtlicher Uneindeutigkeit - das Bild des kämpfenden Mannes wird dadurch 'verqueert'.

An vierter und damit letzter Stelle tritt schließlich noch die "Caring Masculinity" (258), die sich durch Fürsorge, Verletzlichkeit und Verantwortungsübernahme auszeichnet - eine überraschende wie produktive Erweiterung klassischer Männlichkeitsbilder, die den ersten beiden Typen im Besonderen diametral gegenübersteht. Eindringliche Visualisierungen dieser fürsorglichen Männlichkeit findet Hoffmeister in den Bildern schwangerer Männer der japanischen Künstlerin Hiroko Okada (8 und 246) sowie den Eagle Egg Man von Patricia Piccinini (226) - Hybriden aus Männern und Adlern, deren neuartige Anatomie sie zu einer Art lebendigen Brutkasten macht.

Die von Hoffmeister aus der Analyse der ausgewählten Kunstwerke abgeleiteten Typologisierungen wissen zu überzeugen und dürften sich als hilfreiches Werkzeug für die weitere Erforschung posthumaner Männlichkeiten erweisen. Ein kleiner Kritikpunkt sei hier dennoch genannt: Er betrifft die Definition und Verwendung des Cyborg-Begriffs. Hoffmeister lehnt sich stark an Donna Haraways bekannte Figur des Cyborgs an - eine kulturtheoretische Setzung, die seit den 1980er-Jahren vielfältig rezipiert und weiterentwickelt wurde. [2] Wenngleich die Autorin auf die Entwicklungslinien dieses Konzepts eingeht, wäre es doch sinnvoll gewesen, den Terminus stärker zu differenzieren. Häufig fungiert der Cyborg-Begriff als metaphorische Klammer und weniger als präzises analytisches Werkzeug. Dabei hätte die Untersuchung davon profitiert, die Figur des Cyborgs etwa mit der des Mutanten - also eines durch Mutation veränderten Individuums - und des Androiden zu kontrastieren - also dem menschengleichen Maschinenwesen, das im Unterschied zum Cyborg nicht aus einem 'natürlichen' Körper hervorgeht. Gerade im Hinblick auf die Arbeiten von Yang oder Piccinini, deren digitale und biotechnologische Geschöpfe zwischen Künstlichkeit und Menschlichkeit oszillieren, wäre ein solcher Vergleich gewinnbringend gewesen. Allem voran der Android als Gegenbild zur kulturellen Imagination des 'Menschlichen' und als Repräsentant einer wachsenden künstlichen Intelligenz hätte Hoffmeisters Argumentation um einen wichtigen Aspekt ergänzt und die Begrifflichkeiten geschärft.

Trotz dieses kleinen Kritikpunktes ist Posthumane Männlichkeiten ein substantieller Beitrag zur kunsthistorischen Forschung. Hoffmeister gelingt es, kunstwissenschaftliche Analyse mit geschlechtertheoretischen und technologiekritischen Fragen zu verbinden und damit das Feld der Männlichkeitsforschung entscheidend zu erweitern. Hervorzuheben ist vor allem die Herausarbeitung der ästhetischen Komplexität der Werke sowie der interdisziplinäre Zugang, der kunsthistorische, soziologische und medientheoretische Perspektiven produktiv zusammenführt. In einer Zeit, in der sich Geschlechterbilder durch technologische Entwicklungen, Kulturkämpfe und digitale Medien rasant verändern, bietet diese Studie wichtige Impulse für die Untersuchung neuer Körperpolitiken.


Anmerkungen:

[1] Klaus Theweleit: Männerphantasien 1: Frauen, Fluten, Körper, Geschichte, Hamburg 1980 (zuerst 1977); sowie Klaus Theweleit: Männerphantasien 2: Männerkörper. Zur Psychologie des Weißen Terrors, Hamburg 1980 (zuerst 1978).

[2] Donna Haraway: Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften, in: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, hg. von Donna Haraway, Frankfurt / New York 1995 (zuerst 1985), 33-72.

Rezension über:

Maike Hoffmeister: Posthumane Männlichkeiten. Maskuline Cyborgs und queere Körper in der Kunst seit 1990 (= Oyster. Feminist and Queer Approaches to Arts, Cultures, and Genders; Bd. 2), Berlin: De Gruyter 2024, 299 S., ISBN 978-3-68924-129-2, EUR 79,00

Rezension von:
Nicholas Maniu
München
Empfohlene Zitierweise:
Nicholas Maniu: Rezension von: Maike Hoffmeister: Posthumane Männlichkeiten. Maskuline Cyborgs und queere Körper in der Kunst seit 1990, Berlin: De Gruyter 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 10 [15.10.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/10/39933.html


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