sehepunkte 25 (2025), Nr. 9

Magdalena Waligórska: Cross Purposes

Die Arbeit von Magdalena Waligórska befasst sich aus kulturhistorischer Perspektive mit der sich im Laufe der Geschichte wandelnden Bedeutung des Kreuzes als eines zentralen politisch-kulturellen Symbols im politischen Diskurs Polens. Dabei stützt sie sich in durchaus überzeugender Weise auf das theoretische Konzept von Victor Turner, der die semantischen Veränderungen in der Symbolik als Ausdruck sich wandelnder sozialer Beziehungen deutet.

Die Fokussierung auf das Kreuz als Symbol - es wären durchaus auch andere Symbole, wie zum Beispiel Muttergottesabbildungen, denkbar gewesen - begründet Waligórska mit dessen besonderer Rolle im Kampf für die polnische Unabhängigkeit und im antikommunistischen Widerstand einerseits sowie als Projektionsfläche eines konservativen Verständnisses als Bollwerk der Christenheit und konservativer Werte andererseits. Dabei wird deutlich, dass die Einzigartigkeit des Kreuzsymbols in seiner Einfachheit, Abstraktheit sowie leichten Reproduzierbarkeit liegt. Die performative Vielfalt, die das Kreuz anbietet, macht es in besonderer Weise geeignet für mannigfaltigen Gebrauch in politisch-kultureller Hinsicht. Die Botschaften, die mittels dieses Symbols transportiert werden, wandeln sich im Laufe der Zeiten und sind durchaus mehrdeutig, wenn nicht sogar widersprüchlich. Die Wahl des Kreuzes als polyphones, politisches Symbol bewährt sich im Laufe der Untersuchung und bietet vielfältige Zugänge zu den Entwicklungen des politisch-kulturellen Diskurses in Polen.

Ausdrücklich behandelt Waligórska in ihrer Arbeit das Kreuz konsequent als politisches Symbol. Allerdings liegt in dieser nachvollziehbaren Begrenzung auch eine Schwäche der Arbeit, da dadurch die transzendentalen Dimensionen der eindrucksvoll nachgezeichneten Identitätsdiskurse und damit eine wesentliche Quelle der Motivation für das oftmals mit vielen Risiken verbundene Agieren der historischen Akteure nicht in den Blick kommen. Damit bleibt ein Teil der Mobilisierungskraft des Kreuzes im Dunkeln.

Nach einem kurzen Abriss der Geschichte des Kreuzes in Polen, in der sie das semiotische Feld und seine Entwicklung skizziert, setzt Waligórska in ihrer Untersuchung mit dem Jahr 1861, dem Vorfeld des Januaraufstands von 1863, ein. Die Verfasserin behandelt in diesem Kapitel die Zeit bis zur Wiederherstellung der polnischen Unabhängigkeit 1918. Dabei macht sie auf den hoch interessanten Umstand aufmerksam, dass das Kreuz in den 1860er-Jahren durchaus auch als ein die jüdische Bevölkerung inkludierendes Symbol wahrgenommen wurde. Das Kreuz wurde von progressiven politischen Bewegungen genutzt und damit aus dem kirchlich-katholischen Zusammenhang teilweise herausgelöst. Nichtsdestoweniger war der weiterhin bestehende politisch-kulturelle Resonanzraum des Katholizismus eine wichtige Voraussetzung für die subversive Kraft des Symbols. Dieser Resonanzraum erhielt seine Kraft neben den religiösen Haltungen wesentlich auch dadurch, dass er sich in besonderer Weise zur Abgrenzung vom orthodoxen Russland und mehrheitlich protestantischen Preußen/Deutschland anbot.

In Kapitel 2 setzt sich Waligórska mit den politisch-kulturellen Entwicklungen in der Zweiten Polnischen Republik auseinander. Mit der Institutionalisierung des Staates wandelte sich das Symbol des Kreuzes zunehmend von einem Zeichen der nationalen Subversion zu einem Instrument der Erinnerung sowie der nationalen Affirmation. Dabei bestanden klassisch religiöse und politische Funktionen nebeneinander her beziehungsweise wurden bisweilen gleichzeitig demselben Objekt zugeschrieben. Das Kreuz funktionierte zudem nicht zuletzt als Abgrenzung gegen andere nationale Ansprüche, wie die der Ukrainer, oder als Zeichen gegen den "gottlosen" Bolschewismus der Sowjetunion. Dabei flossen auch die trauernde Bewältigung des polnisch-sowjetischen Krieges und politische Affirmation ineinander. Dieser Wandel von einem inklusiven zu einem zunehmend exkludierenden Symbol, das auch noch eigene expansionistische Ziele beinhaltete, kennzeichnete die Zwischenkriegszeit.

Waligórska arbeitet eindrücklich heraus, dass das Kreuzsymbol interessanterweise nicht an die Zeit vor der Teilung Polens anschloss, sondern neue, aus der damaligen Gegenwart erwachsene Inhalte aufnahm.

Kapitel 3 setzt ein mit der Phase des Poststalinismus und befasst sich insbesondere mit den Protesten zum Erhalt des Kreuzes im Jahre 1960 in der 1956 neuerrichteten sozialistischen Musterstadt Nowa Huta bei Krakau. Waligórska kann anhand der Entwicklungen verdeutlichen, wie das Kreuz erneut zu einem subversiven Symbol gegen die herrschende Ordnung wurde. Dabei konnte zum Teil semiotisch an den Antibolschewismus der Zwischenkriegszeit angeknüpft werden. Die Proteste sind zu einer wichtigen Vorlage des weiteren antikommunistischen Widerstands in Polen geworden, und die Erinnerung an diesen erfolgreichen Protest stellte gerade zu Zeiten der Solidarność eine wichtige Ermutigung dar.

Es ist verdienstvoll, dass Waligórska sich auch mit dem Genderaspekt auseinandersetzt. Ausgangspunkt ist die oft unberücksichtigte Tatsache, dass die Proteste in Nowa Huta in überwiegender Mehrheit von Frauen getragen wurden. Diese Perspektive verspricht durchaus weiterführende Erkenntnisse, wenn man neben den geschlechtsspezifischen Erfahrungen auch die jeweiligen gesellschaftlichen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit einbezieht. Mit der Untersuchung von Waligórska ist jedenfalls ein interessanter Anfang gemacht.

Im anschließenden Kapitel 4 setzt sich die Autorin mit der politisch-kulturellen Funktion des Kreuzes in der Solidarność-Zeit auseinander. Das Symbol gelangte nun gewissermaßen zu voller subversiver Blüte, indem es neben politischen Inhalten auch eine metaphysische Legitimation sowie spirituelle Herkunft verkörperte. Insbesondere der Aspekt der Memoria, der aus der Tradition der religiösen Trauerbewältigung kommt, gewann eine stark politische Dimension. Zugleich kündigen sich aber auch schon zunehmend affirmative Züge einer im Entstehen begriffenen neuen Ordnung an. Die Mehrdeutigkeit und Vielschichtigkeit des Symbols tritt in der in Kapitel 5 untersuchten Transformationszeit in voller Klarheit hervor. Waligórska zeigt anhand einer reichen Materialgrundlage auf, wie das Kreuz symbolisch sowohl in subversiven (antistrukturellen) als auch affirmativen (strukturellen) Formen genutzt wurde, wobei mit der postmodernen ironischen Verfremdung nunmehr eine neue Dimension hinzutrat. Im abschließenden Kapitel, das mit der Katastrophe von Smolensk 2010 und den darauffolgenden Auseinandersetzungen um das Gedenkkreuz in Warschau einsetzt, wird geschildert, wie sich diese Konflikte erneut zuspitzten. Neu hinzu kam das Phänomen eines religiösen Populismus, dessen sich die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) seitdem konsequent befleißigt. Die Untersuchung verdeutlicht eindrücklich, dass der "politische Katholizismus" viel säkularer ist als erwartet, während die säkularistischen Kräfte auf starke katholische Grundprägungen zurückgreifen. Die Auseinandersetzung mit der populistischen Instrumentalisierung des Kreuzes ruft Spannungen mit der katholischen Hierarchie hervor, die dieses Agieren als blasphemisch kritisiert.

Waligórska hat eine sehr lesenswerte, material- und kenntnisreiche Studie vorgelegt, die Einsichten in den Bedeutungs- und Funktionswandel eines zentralen politisch-kulturellen Symbols ermöglicht. Es ist der Tonalität der Arbeit anzumerken, dass sie stark von den politischen Auseinandersetzungen der PiS-Zeit geprägt ist. Das mag auch erklären, warum das Bild des Katholizismus und insbesondere des Episkopats bisweilen etwas holzschnittartig ausfällt. Das mindert aber nicht die Verdienste dieser Studie. Allein die Entscheidung der Autorin, die höchst traumatischen Phasen der Okkupation und des Stalinismus auszulassen, vermag nicht zu überzeugen. Vermutlich liegt in einem sozial-psychologischen Blick auf diese Zeit und die aus ihr erwachsenden Prägungen und Bedürfnisse ein wichtiger weiterer Schlüssel zum Verständnis des Eros des Kreuzes als politisch-kulturellem Symbol.

Rezension über:

Magdalena Waligórska: Cross Purposes. Catholicism and the Political Imagination in Poland (= New Studies in European History), Cambridge: Cambridge University Press 2023, 390 S., ISBN 978-1-009-23095-7, GBP 94,00

Rezension von:
Jörg Lüer
Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Jörg Lüer: Rezension von: Magdalena Waligórska: Cross Purposes. Catholicism and the Political Imagination in Poland, Cambridge: Cambridge University Press 2023, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 9 [15.09.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/09/40624.html


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