Nur ein Jahr nach der jüngsten, nun schon elften, wissenschaftlichen Tagung des Arbeitskreises "Reichsstadtgeschichtsforschung" in Mühlhausen erscheint der zugehörige Tagungsband "Reichsstadt im Bauernkrieg" in der Reihe der "Studien zur Reichsstadtgeschichte" und damit rechtzeitig zum Jubiläumsjahr 2025. Der Sammelband ist definitiv nicht die einzige aktuelle Veröffentlichung zum Thema, jedoch hebt ihn die Fragestellung nach dem Verhältnis von Aufrührern und (reichs-)städtischer Bevölkerung durchaus von den anderen Publikationen ab.
Völlig neu ist das Thema keineswegs. Es zählt neben der Verbindung zur Reformation sogar zu den klassischen Fragen, die seit langem an den Bauernkrieg gerichtet werden. Denn dass der Aufstand des Jahres 1525 Auswirkungen auf die Städte hatte und die Entwicklungen auf dem Land und in den Städten sich wechselseitig beeinflussten, war der Wissenschaft nicht entgangen. Ulf Dirlmeier konnte dies bereits vor 40 Jahren auf breiter Basis und unter diversen Vorarbeiten konstatieren. [1] Seither ist die Forschung keinesfalls stehengeblieben, selbst wenn beim Schlagwortbegriff 'Bauern'-Krieg weiterhin ein ländlicher Subtext mitschwingt. Dennoch muss man vor dem Zeithorizont von 1525 den Städten - und nicht nur den Reichsstädten - sowie den Funktionsträgern innerhalb der Kommunen eine hohe Bedeutung zubilligen. In der Einleitung, in der einzelne Stationen der Forschung zum Konnex Stadt und Bauernkrieg ausschnitthaft rekapituliert werden, öffnen die Herausgeber die übergeordnete Zielsetzung des Bandes entsprechend: Es werden Antworten auf ganz unterschiedliche Fragen gesucht, die von den Gründen und Ursachen des Konflikts über die Formenvielfalt von Gewalt bis hin zu Deeskalationsmechanismen reichen. Einen regionalen oder methodischen Schwerpunkt hat man hingegen bewusst vermieden.
Der Band versammelt nach der Einführung zwölf Beiträge, die sich dem Themenkomplex widmen, wobei der abschließende Beitrag von Gerd Schwerhoff "zur Einordnung der Beiträge" die vorangegangenen thematisch einklammert. Die einzelnen Artikel detailliert darzulegen, würde hier zu weit führen, zumal sie sehr unterschiedlich angelegt sind. Die Herausgeber haben sich aus guten Gründen dagegen entschieden, schlichtweg einzelne Reichsstädte als Fallbeispiele aneinander zu reihen, sondern behandeln sowohl Kommunen, aber auch relevante Protagonisten - neben dem in Mühlhausen unumgänglichen Thomas Müntzer (Matteo Rebeggiani, 113-134) auch Christoph Schappeler (Rudolf Gamper, 81-112) - sowie übergeordnete Fragestellungen. Die "Strafrechtshistorische[n] Betrachtungen" von Markus Hirte (135-172) oder Horst Carls Ausführungen unter den Gesichtspunkten der Gewaltforschung (19-32) bieten breite Querschnitte. Die historische Konfliktforschung als methodischer Ansatz kommt - für den Bauern-'Krieg' wenig überraschend - indes in den meisten Beiträgen zur Sprache, sicherlich am stärksten bei Arman Weidenmanns Beispiel St. Gallen (173-202). Eher historiographisch ist hingegen der Beitrag von Andreas Lesser angelegt, der sich einem Nordhausener Gelehrten des 18. Jahrhunderts widmet (281-312). Einen dezidiert wirtschaftshistorischen Ansatz verfolgt dagegen Karin Pattis am Beispiel der Bischofsstadt Brixen (245-280). Von Wolfgang Dobras wird mit Mainz eine weitere (Erz-) Bischofsstadt einbezogen, die seit der Stiftsfehde von 1462 letztlich als Gegenentwurf zu einer freien Reichsstadt gelten kann (225-244). Dennoch ist die Aufnahme in den Band sinnvoll: Dass die Mainzer Bürger "zu keinem Zeitpunkt" (244) ein Bündnis mit den Bauern suchten, dokumentiert die Offenheit der Handlungsmöglichkeiten. Mit Bayern (Rainhard Riepertinger, 33-52) sowie Bern und Zürich (Peter Niederhäuser, 203-224) kommen weitere Städte und Regionen zur Sprache, in denen der Krieg weitgehend ausblieb. Bei so vielen Sonderformen und Ausnahmen beruhigt es beinahe, dass mit Memmingen (Christoph Engelhard, 53-80) immerhin eine 'echte' Reichsstadt im Bauernkrieg vorkommt. Sehr lesenswert ist schließlich Schwerhoffs Bündelung der einzelnen Beiträge (313-336), da diese weitaus mehr als nur eine Zusammenfassung ist, sondern die Beiträge tatsächlich "einsortiert". Damit greift er die Frage nach dem Stadt-Land-Verhältnis 1525 grundlegend auf und benennt zugleich die Desiderate in der Forschung. Das auffällige Fehlen von Ausführungen zu den großen süddeutschen Reichsstädten von Dinkelsbühl bis Schwäbisch-Gmünd und weiteren Orten, wo es in den 1520er Jahren zu Aufruhren kam oder der Umgang mit diesen diskutiert wurde, thematisiert er gleichermaßen.
Die Lektüre von Einleitung und Fazit ersetzt keineswegs den Rest des informationsreichen Buches. Der Band, der von der sehr hochwertigen Ausstattung mit guten und vielfach farbigen Abbildungen und einem Register profitiert, kann inhaltlich ebenso überzeugen. Die methodische Varianz der Beiträge macht für die wissenschaftlichen Rezipienten den Reiz aus, birgt aber zugleich ein typisches Problem von Sammelbänden. So gelungen die einzelnen Studien auch sind, so heterogen wirkt der Band mitunter. Gewisse Orte - besonders im Hinblick auf die "Reichsstadt" im Titel - vermisst man durchaus, während manche Aspekte das Kernthema eher berühren als treffen. Selbst die Tagungsbeiträge, die es nicht in den Band geschafft haben, hätten dabei wohl noch Fragen offen gelassen (Sämtliche Vorträge sind online einsehbar unter https://www.reichsstaedte.de/reichsstadt-im-bauernkrieg). Die beiden hochkomplexen und vielschichtigen Themenfelder "Reichsstadt" und "Bauernkrieg" lassen sich vermutlich in der Tat "nicht mit einer Tagung in voller Breite abbilden" (315). Nichtsdestotrotz bietet der Band zahlreiche hochspannende und interessante Einblicke in das Jahr 1525 und somit eine gelungene Gesamtschau zum Spannungsverhältnis von Stadt und Land sowie zur Frage von Recht und Gewalt im Bauernkrieg. Die künftige Forschung dazu wird die Publikation jedenfalls mit Gewinn heranziehen können.
Anmerkung:
[1] Ulf Dirlmeier: Stadt und Bürgertum. Zur Steuerpolitik und zum Stadt-Land-Verhältnis, in: Der deutsche Bauernkrieg, hgg. von Horst Buszello / Peter Blickle / Rudolf Enders, Paderborn u.a. 1984, 254-280; Vgl. auch die Nachträge in der kommentierten Bibliographie zur dritten Auflage 1995, 389-390.
Julia Mandry / Thomas T. Müller / Stefan Sonderegger (Hgg.): Reichsstadt im Bauernkrieg (= Studien zur Reichsstadtgeschichte; Bd. 12), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2025, 352 S., 76 Farb-, 4 s/w-Abb., ISBN 978-3-7319-1420-4, EUR 29,95
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