sehepunkte 25 (2025), Nr. 7/8

Gerd Schwerhoff: Auf dem Weg zum Bauernkrieg

Jubiläen, besonders runde, sorgen in den historischen Wissenschaften stets für einen erhöhten Publikationsoutput. Zum 500. Mal jährt sich 2025 der Bauernkrieg, was bereits im Vorfeld mehrere umfangreiche Neubewertungen hervorgerufen hat. [1] Neben den drei Landesausstellungen in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Thüringen werden die zahlreichen Kolloquien mit den nachfolgenden Publikationen das Thema noch eine Zeitlang virulent erscheinen lassen. Gerd Schwerhoff, der mit einer der Bauernkriegs-Monographien reüssierte, hat nun ein weiteres Buch aus dem Kontext publiziert, das sich nicht direkt mit dem Ereignis beschäftigen will (und es trotzdem tut), sondern mit dessen Vorgeschichte. Wie alle Aspekte des Bauernkriegs war auch diese Frage bislang keineswegs unberücksichtigt, aber Schwerhoff schafft es glänzend, neue und informative Einschätzungen vorzunehmen.

Vor dem mittlerweile oft sogenannten 'großen' - also dem eigentlichen - Bauernkrieg von 1525 gab es eine signifikante Anzahl von 'kleineren' Aufständen, krisenbedingten Protesten und Erhebungen. Die bekanntesten sind sicherlich der Bundschuh und der Arme Konrad in Württemberg. Zu ihnen kamen weitere Unruhen im urbanen Umfeld, die weniger häufig thematisiert wurden. Noch seltener wurden die europäischen Implikationen in die Überlegungen einbezogen. Die Publikation will dazu einen Überblick liefern, ohne strukturelle Fragen außer Acht zu lassen: Einer knappen Einleitung, die eher einer Einordnung des Bandes dient, folgen zwei Kapitel, die als Grundlagen bzw. als eine Standortbestimmung zu verstehen sind: "Das Reich um 1500" (10-52) referiert solide die spätmittelalterliche Ständegesellschaft und "Eine Welt in Unruhe" (53-58) eröffnet die europäische Vergleichsebene mit England und Frankreich. Mit dem ausführlichsten Kapitel "Bundschuh und Armer Konrad" (59-129) werden die bekanntesten Vorläufer des Bauernkriegs thematisiert. Es folgt mit "Städtische Protestkonjunktur um 1512/3" (130-147) ein Aspekt, der weitgehend exemplarisch am Beispiel Köln 1512/13 und ergänzend Erfurt die städtischen Aufstände im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts behandelt. Eher kurz kommt die "Ritterliche Fehdelust in Zeiten des Landfriedens" (148-160) zur Sprache, die sich auf drei Protagonisten stützt, neben den obligatorischen Franz von Sickingen und Goetz von Berlichingen auch Hans Thomas von Absberg. Ausführlicher widmet sich Schwerhoff der Frage nach der "Reformation als Katalysator sozialer Proteste" (161-196), wobei er den oft als Katalysator deklarierten Effekt der Reformation auf den Bauernkrieg kritisch hinterfragt. Beiden Bewegungen gesteht er eher eine gleichrangige, wenngleich zweifellos sich wechselseitig bedingende, Rolle zu. Entsprechend greifen beide Faktoren im Folgekapitel "Stadtunruhen 1525: An der Peripherie des Bauernkriegs" (197-207) ineinander, am Beispiel von Köln und Frankfurt am Main. Streng genommen hat man damit zeitlich den 'Weg' zum Bauernkrieg längst verlassen und befindet sich bereits mittendrin. Das als Fazit angelegte Kapitel "Auf dem Weg zum Bauernkrieg? " bündelt thesenartig kurz die vorangegangenen Abschnitte. Dem Quellen- und Literaturverzeichnis folgt ein Register.

Überzeugend ist Schwerhoffs differenzierte Sichtweise, denn nicht alle als Wegmarken zum Bauernkrieg interpretierten Aufstände verdienen diese Zuschreibung tatsächlich. Besonders der Bundschuh wurde diesbezüglich überbewertet, resultierend freilich aus Einschätzungen während des Bauernkriegs oder kurz danach. Der besser organisierte Arme Konrad passt da schon eher. Insgesamt liefert das Buch einen guten Überblick, macht auf Forschungsdefizite aufmerksam und thematisiert wenig berücksichtigte Aspekte: Dazu zählen besonders die oft relativierte Bedeutung des Ritteradels sowie der Verweis auf die städtische Protestkultur. Bei der alten Frage nach dem Verhältnis von Reformation und Bauernkrieg folgt Schwerhoff nicht der lange akzeptierten 'Katalysator'-These von Rudolf Endres, sondern sieht eine starke Verknüpfung - besonders bei den städtischen Protesten. Der Vergleich zwischen Stadt und Land, der letztlich in den Untertitel gehört hätte, ist für Schwerhoff ein wichtiger Ansatzpunkt, mit dem Fazit: "Trotz vielfältiger Verflechtungen mit dem Land blieb die Stadt vor und während des Aufstandes von 1525 überwiegend eine vom Land getrennte Protestarena" (213).

Die nahezu positivistische Differenzierung Schwerhoffs ist angenehm, da im Diskurs Vergleiche mit der Gegenwart (die Bauernproteste des Jahres 2024) oft genug bemüht werden. Schwerhoff betont hingegen die Unterschiede von damals und heute, besonders im Hinblick auf Land und Stadt. Das Abwägen ist gerechtfertigt, da Narrative lange - teils seit dem 19. Jahrhundert - präsent blieben, obwohl Pauschalisierungen dem komplexen Sachverhalt zuwiderlaufen. Radikale Neubewertungen oder spektakuläre Quellenfunde werden nicht präsentiert, waren aber auch nicht zu erwarten. Stattdessen erhält man eine hervorragend geschriebene und präzise Analyse, die belegt, dass sich der Bauernkrieg nicht im luftleeren Raum entfaltete. Das war bekannt, wurde aber meist mit pauschaler Zwangsläufigkeit beantwortet. Einen einleitenden historiographischen Überblick zu dieser spezifischen Forschungsfrage vermisst man daher schon ein wenig. Etwas kurz kommen zudem die vielfältigen wirtschaftlichen Ursachen, die hin und wieder angerissen werden, meist aber lediglich im Kontext der Klimageschichte. Der Buchdruck als Medienrevolution hätte ebenfalls eine intensivere Betrachtung verdient, ähnlich dem profunden Kapitel zum Reformationskontext. Das bleiben aber marginale kritische Hinweise zu einer durchweg überzeugenden Publikation. Der sparsame, aber völlig ausreichende Literaturapparat schreckt keine Leserinnen und Leser ab, die nicht (oder noch nicht) aus der Wissenschaft kommen.

Schwerhoff sieht sein Werk nicht als "integrale Gesamtgeschichte, sondern eine längere essayistische Zwischenbilanz, die erzählerische und analytische Elemente kombiniert" (7). Was wie eine salvatorische Klausel formuliert ist, darf man getrost als Understatement bezeichnen. Das hier vorgelegte 'Prequel' zum Bauernkrieg offenbart weder signifikante Lücken, noch bleibt es in einem theoretischen Überbau der Ideengeschichte stecken.


Anmerkung:

[1] Thomas Kaufmann: Der Bauernkrieg. Ein Medienereignis, Freiburg 2024; Christian Pantle: Der Bauernkrieg. Deutschlands großer Volksaufstand, Berlin 2024; Lyndal Roper: Für die Freiheit. Der Bauernkrieg 1525, Frankfurt am Main 2024; Gerd Schwerhoff: Der Bauernkrieg. Eine wilde Handlung, München 2024.

Rezension über:

Gerd Schwerhoff: Auf dem Weg zum Bauernkrieg. Unruhen und Revolten am Beginn des 16. Jahrhunderts (= Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven; Bd. 43), Konstanz: UVK 2024, 243 S., ISBN 978-3-381-12181-6, EUR 44,00

Rezension von:
Stefan Heinz
Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz / Stadtarchiv Stuttgart
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Heinz: Rezension von: Gerd Schwerhoff: Auf dem Weg zum Bauernkrieg. Unruhen und Revolten am Beginn des 16. Jahrhunderts, Konstanz: UVK 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 7/8 [15.07.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/07/39662.html


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