sehepunkte 25 (2025), Nr. 6

Pawel Zajas: »Das Polenbuch!«

Paweł Zajas, Professor für Literaturwissenschaft an der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań, beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit den internationalen Literaturbeziehungen insbesondere zwischen den beiden deutschen Staaten und Polen, wobei er vor allem die Rolle und Funktion der unterschiedlichen staatlichen (wie Ministerien, Behörden und Diplomatische Vertretungen) und privaten (wie Verlage, Verbände, Vereine und Stiftungen) Institutionen untersucht. So legte er bereits neben zahlreichen einschlägigen Aufsätzen eine Monografie zu Verlagsarbeit und Kulturpolitik. Beiträge zur Soziologie des Literatursystems (2019), als Ko-Autor (zusammen mit Markus Krzoska) die Studie Kontinuität und Umbruch. Deutsch-polnische Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg (2021) sowie als Mitherausgeber die Bände Kulturtransfer und Verlagsarbeit. Suhrkamp und Osteuropa (2019), Literatur und Auswärtige Kulturpolitik (2019) sowie Kulturtransfer und auswärtige Kulturpolitik. Akteure und Faktoren polnisch-deutscher Beziehungen 1949-1990 (2022) vor.

Sein großes Verdienst ist, dass er nicht nur die publizierten Quellen auswertet, sondern selbst in den Archiven bislang ungehobene Aktenbestände und unbekannte Materialien erschließt - so auch für das vorliegende Buch, für das er im Bundesarchiv, im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, im Archiv Neuer Akten in Warschau und im Nationalarchiv in Krakau, aber auch unter anderem im Deutschen Literaturarchiv Marbach, im Goethe-Schiller-Archiv Weimar und im Deutschen Polen-Institut (DPI) recherchiert hat. Im Mittelpunkt steht die Interaktion von staatlichen Instanzen, verlegerischen Überlegungen und persönlichen Initiativen zur Verbreitung und Vermittlung polnischer Literatur in Deutschland vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende des Ost-West-Konflikts. Angestrebt ist nicht eine Gesamtdarstellung der auf polnische Literatur bezogenen deutschen Kulturpolitik, sondern es werden in fünf chronologisch gegliederten Kapiteln verschiedene Fallstudien zu einzelnen Unternehmungen und Akteuren vorgelegt. Die Kulturpolitik der DDR wird beispielsweise vollkommen ausgeblendet (5), und auch diejenige der Zweiten Polnischen Republik und der Volksrepublik Polen findet nur gelegentlich kurz Erwähnung, hingegen wird auch einigen Aktivitäten von Kulturvermittlern in Flandern und den Niederlanden nachgegangen. Größere politische und ökonomische Zusammenhänge werden dabei höchstens gestreift.

Das erste Kapitel widmet sich der "Polnischen Frage" in der Kulturpropaganda des Deutschen Reiches während des Ersten Weltkriegs, während im zweiten Kapitel der in diesem Kontext entstandenen Idee der Publikation einer Polnischen Bibliothek nachgegangen wird, von der bis kurz nach Kriegsende immerhin sieben Bände fertiggestellt wurden, die aber in der Weimarer Republik nicht fortgeführt und erst unter den Nationalsozialisten in der deutsch-polnischen "Freundschaftsära" der Jahre 1934-1939 (86) erneut in Angriff genommen wurde. Das dritte Kapitel ist der "Ostpolitik vor der Ostpolitik" in der Bundesrepublik 1956-1970 gewidmet, als sowohl das Auswärtige Amt als auch US-amerikanische Institutionen finanziell massiv in die Literaturpolitik eingriffen, aus außenpolitischen Erwägungen dies aber nicht öffentlich machten. Das vierte Kapitel ist der Rolle größerer westdeutscher Verlage beim "Literaturimport im Zeichen des Kalten Krieges" 1956-1978 gewidmet, der ebenfalls teils mit starker Unterstützung staatlicher Stellen stattfand. Im letzten Teil des Buches steht die Polnische Bibliothek im Mittelpunkt, die vom 1979 in Darmstadt gegründeten DPI unter der Ägide von Karl Dedecius initiiert und im Suhrkamp-Verlag realisiert wurde. Sie sollte eine Gesamtdarstellung der polnischen Literatur vom Mittelalter bis in die Gegenwart bieten und ist im Jahr 2000 mit dem 50. Band abgeschlossen worden. Der Verfasser weiß aufgrund seiner hervorragenden Expertise die gesichteten Quellenmaterialien souverän zu gliedern und die vorgestellten Sachverhalte anschaulich darzustellen, wobei er eng an den Perspektiven und Einschätzungen der beteiligten Akteure und Institutionen bleibt, sie aber immer wieder auch in größere Kontexte einordnet.

In allen Kapiteln fördert Zajas Einsichten zu Tage, die neue Perspektiven für die Forschung eröffnen. So wird deutlich, dass die Vermittlung polnischer Literatur vor allem ein Produkt staatlicher Kulturpropaganda ist, blieb doch das Interesse beim Lesepublikum an ihr über Jahrzehnte hinweg konstant eher gering. Sehr prägnant bringt das der Buchtitel "Das Polenbuch!" zum Ausdruck, der auf eine auch auf dem Umschlag abgebildete Werbeanzeige zurückgeht - das Ausrufezeichen appelliert fast verzweifelt an die Leser, dass man solche Werke doch kaufen müsse, während der Singular mit bestimmtem Artikel suggeriert, dass alle Bücher aus Polen durch ein gemeinsames Charakteristikum gekennzeichnet seien. Und in der Tat: Deutsche Institutionen waren anscheinend insbesondere dann bereit, erhebliche Finanzmittel zu investieren, wenn es um den "gemeinsamen Kampf gegen die 'asiatischen Horden' und 'russischen Barbaren'" (10) und insbesondere gegen die Sowjetunion ging. Auch jiddische Literatur galt dann als "Polenbuch!", wie Schalom Aschs Roman Amerika (1911), das in der auf dem Buchumschlag abgebildeten Anzeige vom Börsenblatt 1918 wie folgt beworben wurde: "Was Polens Bewohner unter russischem Joch vor ihrer Befreiung daheim und im neuen Lande erlebten, erzählt dieser Roman". (70) Selbst unter veränderten politischen Vorzeichen blieb diese Tendenz bestehen. Die in der NS-Zeit aufwendig gestaltete vierbändige Ausgabe der Schriften des Marschalls Józef Piłsudski, der bis zu seinem Tod 1935 zunehmend autoritär in Polen herrschte, feierte ihn als "Sieger über Sowjetrussland" (86) in der Schlacht bei Warschau 1920 (das sogenannte Wunder an der Weichsel). Joseph Goebbels zollte dem "nationale[n] Heros" (87) in seinen Tagebüchern "Hochachtung und Bewunderung", während Hermann Göring im Geleitwort zum ersten Band der Erinnerungen und Dokumente 1935 Piłsudskis "mythische Größe" feierte, der zusammen "mit dem deutschen Führer" den "Frieden der Welt" erhalten werde (ebenda).

Es zeigt sich aber auch, dass politische Propaganda, diplomatische Rücksichtnahmen, kommerzielle Interessen und literarische Vorlieben der Kulturvermittler, politischen Repräsentanten und Verlagsvertreter (es handelt sich fast immer um Männer, nur selten sind auch Frauen, meist als Übersetzerinnen, in diesem Bereich aktiv) sich häufig diametral entgegenstehen und dadurch anfangs scheinbar vielversprechende Buchprojekte scheiterten. Und selbst das große bundesrepublikanische Prestigeprojekt, die Polnische Bibliothek, stellte aus der Sicht des Suhrkamp-Verlags "ein gescheitertes Unternehmen" (218) dar, da der Verkauf dürftig war - oft nur einige hundert abgesetzte Exemplare - und es keinen einzigen neuen zeitgenössischen polnischen Autor auf dem Markt etablierte.

Zajas' Monografie zielt keineswegs auf eine umfassende Darstellung der deutsch-polnischen Kulturbeziehungen. Viel Kontextwissen wird vorausgesetzt. So ist die Polenpolitik Westdeutschlands, das die Oder-Neiße-Grenze nie anerkannte und vor allem an der Verbreitung deutscher Sprache und Literatur in den ehemaligen Ostgebieten interessiert war, ohne Bezug auf diejenige der DDR nicht zu verstehen - zur Beleuchtung dieser Zusammenhänge muss man auf andere Schriften des Autors zurückgreifen. Wünschenswert wäre ein sorgfältiges Verlagslektorat gewesen, wirken doch manche Formulierungen unglücklich - wie beispielsweise die letzten beiden Sätze des Buches missverständlich sind: "Das 'Polenbuch' war in Deutschland nicht einmal seit dem Ersten Weltkrieg ein 'Politicum'. Daran hat sich auch später nicht viel geändert". (225) Und der angesehene Polonist und wichtige Vermittler polnischer Literatur in der DDR, Heinrich Olschowsky, seit 1988 Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, war sicherlich mehr als bloß ein "Übersetzer". (ebenda)

Doch ungeachtet dieser kleineren Mängel: Zajas hat mit seiner Studie ein grundlegendes, quellengesättigtes Werk zur Rolle der polnischen Literatur in der deutschen Kulturpolitik des 20. Jahrhunderts vorgelegt, das allen am Gegenstand Interessierten empfohlen werden kann und vielfache Anregungen für weitere Forschungen gibt. Es ist zu hoffen, dass auch Zajas hierzu weiterhin seinen wegweisenden Beitrag leisten wird.

Rezension über:

Pawel Zajas: »Das Polenbuch!«. Polnische Literatur und deutsche Kulturpolitik im 20. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Deutschen Polen-Instituts Darmstadt; Bd. 42), Wiesbaden: Harrassowitz 2023, 247 S., ISBN 978-3-447-12025-8, EUR 35,00

Rezension von:
Matthias Schwartz
Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Schwartz: Rezension von: Pawel Zajas: »Das Polenbuch!«. Polnische Literatur und deutsche Kulturpolitik im 20. Jahrhundert, Wiesbaden: Harrassowitz 2023, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 6 [15.06.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/06/40337.html


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