Untersuchungen zu Reisen und Reiseberichten beanspruchen schon lange einen festen Platz in der Frühneuzeitforschung. Manche mögen unken, dass das Thema seinen Zenit gar überschritten habe. Allerdings übt das Forschungsfeld aufgrund des anhaltenden Interesses an transkulturellen Erfahrungen von Alterität, Prozessen von Ent- und Verflechtung auf globaler Ebene sowie der Mobilität von Personen, Dingen und Ideen nach wie vor eine ungebrochene Anziehungskraft aus. Dies liegt nicht zuletzt auch am hohen Erkenntniswert zentraler Quellenkorpora wie Reisetagebüchern, Briefen über Reiseerfahrungen, Karten und Bildern. Zudem werden die europäische Expansion und die "Entdeckung" außereuropäischer Räume als Signum der Epoche verstanden, die einer Globalisierung in der Frühen Neuzeit Vorschub leisteten. Schon die Zeitgenossen verflochten europäische Entdeckungen mit Vorstellungen kultureller Überlegenheit, um territoriale Eroberungen und die Errichtung von Kolonien zu legitimieren. Damit einher gingen europäische Selbstzuschreibungen als expansionistisch, rational und zivilisiert.
Vor diesem Hintergrund verfolgt Sünne Juterczenka in ihrer Berliner Habilitationsschrift das Anliegen, die "Genese, Strukturen und Funktionen" (19) dieser eurozentrischen Deutungsmuster durch eine rezeptionsgeschichtliche Analyse der Expeditionen in den Pazifik im 18. Jahrhundert zu untersuchen. Zentral geht es um die Frage, wie Entdeckungen zum "Markenkern" der europäischen Aufklärung und bis heute zum tragenden Epochenmerkmal werden konnten (29). Damit bewegt sich die Arbeit in einem Untersuchungshorizont, der in den letzten Jahren intensiv beforscht wurde.
Der Arbeit liegt ein breiter Medienbegriff und damit ein umfangreiches Quellenkorpus zugrunde, das aus transnationaler Perspektive erforscht wird. Diesen Zuschnitt begründet die Autorin nicht allein mit der guten Zugänglichkeit zu den Quellen, sondern mit der Überzeugung, das Narrativ vom zweiten Entdeckungszeitalter "maßgeblich aus der spezifischen Konstellation einer Rivalität zwischen Großbritannien und Frankreich und einer deutschen Beobachtungs- und Vermittlungsposition heraus erklären zu können." (27) Für eine transnationale Rezeptionsgeschichte wäre es eine willkommene Ergänzung gewesen, spanische und portugiesische Medien zu integrieren, um die hinterfragte Unterscheidung zwischen erstem und zweitem Entdeckungszeitalter stärker zu problematisieren. Angesichts der bei dem Thema zu bewältigenden Fülle an Quellen und Literatur ist der methodologische Zuschnitt jedoch klug gewählt.
Neun Kapitel untergliedern die Monographie, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven dem "Entdecken" in seiner historischen Konstruiertheit widmet. Ein einführendes Kapitel umreißt zunächst ereignisgeschichtlich die europäischen Pazifikexpeditionen seit Kolumbus. Hier werden zentrale historiographische Interpretamente eingeführt wie das beschleunigte Zeitempfinden, die Aufwertung von Naturforschung, die mediale Verdichtung und das gesteigerte Nationsbewusstsein. Schon von den Zeitgenossen als Umbruch wahrgenommen, wurden die Entdeckungen von der historischen Forschung teils in ideologischer Verklärung zum Epochensignum des "Second Age of Discovery" (Parry) deklariert.
Ausgehend von diesem Befund nimmt Juterczenka in Kapitel 2 und 3 historische Semantiken, rechtliche Grundlagen und "Dispositive" des Entdeckens (Despoix), sowie die wissenspolitischen Legitimationen von Forschungsreisen in den Blick. Die epistemische Grundlage für die Forderung nach und Legitimation von staatlich geförderten Expeditionen lieferte das Bacon'sche Wissensprogramm, das Gelehrten und Staatsmännern sowohl in Frankreich als auch in Großbritannien als Leitfaden diente. Die Rechtfertigung der keinesfalls unumstrittenen Entdeckungsfahrten gelang vor allem durch die Entwicklung eines erfolgreichen Narrativs vom kontinuierlichen Fortschritt durch Entdeckung, das auf eine breite Resonanz stieß. Kapitel 4 widmet sich der formativen Entwicklung einer Geschichte der Entdeckungen, die maßgeblich darauf basierte, kulturelle und anthropologische Differenz in eine temporale Abfolge zu bringen - eine Vorstellung, die konstituierend für das "neuzeitliche Geschichtsbewusstsein" (132) wurde.
In den folgenden Kapiteln (5 bis 7) stehen die mediale Verdichtung von Entdeckungsfahrten, der Reiz des Entdeckens sowie die aktive Beteiligung des Lesepublikum im Fokus. So wurde die schon unter Zeitgenossen zum Mythos verkommene "Entdeckung" der Insel Tahiti erst durch die mediale Aufbereitung in Europa zu einem einzigartigen Ereignis, das die Wahrnehmung und Erkundung des Pazifiks maßgeblich beeinflusste. Der adlige Naturforscher Joseph Banks wird in Kapitel 6 als wissenspolitische Schlüsselfigur betrachtet, die für eine dauerhafte Akzeptanz des Strebens nach neuen Entdeckungen in breiten Kreisen der Bevölkerung sorgte. Ein gutes Beispiel sind dafür die voluntiers, abenteuerlustige Männer, die sich bei Banks für die Teilnahme an Expeditionen bewarben.
Eine besonders erhellende Perspektive wirft das folgende Kapitel zu "Kommodifizierung und Konsum" auf, in dem Juterczenka anhand von Bibliotheks- und Auktionskatalogen Rezeption und Leseverhalten zu Pazifikreisen untersucht. Aufschlussreich sind an dieser Stelle Überlegungen zum seriellen Publizieren und Lesen sowie zur aktiven Rolle von geschäftstüchtigen Verlegern und Publizisten. Durch konkrete Anweisungen wirkten sie auf den Lesekonsum ein, förderten ein Interesse an Entdeckungen und ebneten so dem kolonialen Enthusiasmus breiter Bevölkerungsschichten im 19. Jahrhundert den Weg.
Die zwei abschließenden Kapitel konzentrieren sich auf die Repräsentation und Wahrnehmung von berühmten Entdeckerfiguren sowie deren Überführung in ein kulturelles Gedächtnis. Cook als Inbegriff des heroischen Entdeckers und celebrity führte zu einer Verbürgerlichung von Entdeckungen; sein posthumer Ruhm löste eine transnationale Begeisterung für geographische Entdeckungen und den weit verbreiteten Glauben an den Siegeszug europäischen Fortschritts aus. In vergleichender Perspektive untersucht die Autorin im Anschluss, wie Cook und der französische Entdecker Jean-François Galaup de Lapérouse Eingang in nationale Erinnerungskontexte fanden. Zwar polarisierte die kulturelle Erinnerung an Lapérouse weitaus weniger als die an den britischen Entdecker, der insbesondere in Australien als äußerst ambivalent wahrgenommen wurde. Beiden Entdeckergestalten kommt jedoch insbesondere durch die Beteiligung wissenschaftlicher Laien eine hohe Aktualität für die Wirkmacht des Narrativs eines Zweiten Entdeckungszeitalters zu.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass mit Expeditionen ins Inselmeer eine sehr gut lesbare Studie vorliegt, die auf einer beeindruckenden Bandbreite an gedruckten Quellen und Literatur basiert. Experten und Expertinnen insbesondere der anglophonen Forschung zum Thema werden vielleicht nicht auf gänzlich Unbekanntes stoßen. Jedoch gelingt es Juterczenka, neue rezeptionshistorische Perspektiven auf "Entdeckungen" zu entwickeln und das Thema konzise an der Frage auszurichten, wie die europäische Erkundung des Pazifiks Vorstellungen über Europa und seinen Platz in einer sich globalisierenden Welt prägte. Durch die starke Syntheseleistung der Arbeit ist das Buch lesenswert für Spezialistinnen und Spezialisten, aber auch für Studierende sowie eine breite Leserschaft.
Sünne Juterczenka: Expeditionen ins Inselmeer. Zur Rezeption von Pazifikreisen im 18. Jahrhundert (= Frühneuzeit-Forschungen; Bd. 27), Göttingen: Wallstein 2024, 384 S., 17 z.T. farb. Abb., ISBN 978-3-8353-5684-9, EUR 42,00
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.