Der vorliegende Band über die Kreuzzugspredigt des Dritten Kreuzzugs ist eine Überarbeitung der Dissertation des Autors, die 2019 an der Universität Wien abgeschlossen wurde. Es sei vorausgeschickt, dass der Rezensent als einer der externen Gutachter der Dissertation fungierte und während der Weiterentwicklung der Arbeit mit Alexander Marx in gelegentlichem Austausch stand. Aus der Lektüre des Bandes wird klar, dass Autor und Rezensent - in der Einleitung freundschaftlich als "critical antipode" bezeichnet (X) - in einigen zentralen Punkten unterschiedlicher Auffassung sind.
Das fast 600 Seiten starke Buch ist ein eindrückliches Zeugnis der Schaffenskraft, der Belesenheit und der Beharrlichkeit des Autors. Die Bibliografie weist 99 mittelalterliche Manuskripte aus und belegt somit die enorme Quellenarbeit, die der Studie zugrunde liegt. Ihr eigentliches Thema sind die Schriftquellen der Kreuzzugspredigt des Dritten Kreuzzugs. Das Buch schließt somit an ein Forschungsfeld an, dass sich bis anhin hauptsächlich mit Kreuzzugspredigten nach 1200 befasst hat. Der inhaltliche und methodologische Fokus ergibt sich einerseits aus der ereignisgeschichtlichen Brisanz des Dritten Kreuzzugs und andererseits durch die genregeschichtliche Entwicklung von Predigttexten am Ende des 12. Jahrhunderts.
Zur Zeit des Dritten Kreuzzugs waren die Normierungsprozesse, die die Produktion von Predigttexten im 13. Jahrhundert bestimmten, erst in Ansätzen vorhanden. Marx sieht sich deshalb mit dem methodologischen Problem konfrontiert, dass für die Kreuzzugspropaganda der 1180er und 1190er Jahre kaum klar zuordenbare Texte überliefert sind, die Auskunft über den Inhalt der konkreten Predigttätigkeit geben. Er löst dieses Problem mit dem grundsätzlich einleuchtenden Postulat, dass selbst Predigttexte, die inhaltlich und/oder paratextuell nicht eindeutig der Kreuzzugspredigt zugeordnet werden können, den Predigern als Themenlieferanten und Inspiration gedient haben müssen.
Marx unterzieht deshalb eine Großzahl von Predigtexten einer vornehmlich thematischen Diskursanalyse ausgehend von Bibelzitaten und inhaltlichen Versatzstücken, die er aus eindeutig kreuzzugsbezogenen Texten filtriert hat. Allerdings muss man sich fragen, warum Marx darauf besteht, auch Predigt- und andere Texte, die solche Themennennungen beinhalten, durchweg als Kreuzzugspredigten ("crusade sermons") zu bezeichnen. Zum einen ergibt sich daraus das Problem, dass sich mit dieser Methodologie der Fundus der Kreuzzugspredigttexte wahrscheinlich endlos erweitern ließe, worauf Marx selbst hinweist (IX), und das Etikett 'Kreuzzugspredigt' somit beliebig und hinfällig würde. Zum anderen fehlt in den meisten Fällen eine eigentliche Untersuchung der Argumentationsstrukturen der untersuchten Texte und ihrer genauen Kommunikationszusammenhänge.
Neuere Forschungen zu Predigten des 13. Jahrhunderts geben einmal mehr klare Hinweise darauf, dass selbst paratextuell eindeutig bestimmten Kreuzzugsszenarien zugeordnete Texte in ihrer überlieferten Form zahlreiche editorische Umarbeitungen für multifunktionellen Predigtgebrauch aufweisen. In ihrer überarbeiteten Form können selbst solche Texte deshalb nur begrenzt Auskunft über die Inhalte der tatsächlich gehaltenen Predigten geben. [1] Leider fehlt in Marx' Studie die genaue Analyse der intentionalen und editorischen Aspekte der untersuchten Texte sowie derer kommunikativer Rahmenbedingungen, die Hinweise über den Gebrauch der Texte geben könnten, fast gänzlich.
Es lohnt sich deshalb, das vorliegende Buch nicht primär als eine Abhandlung über Kreuzzugspredigten des Dritten Kreuzzugs zu lesen, sondern als durchaus gelungene Darstellung und Analyse eines hauptsächlich theologisch ausgestalteten Diskursfeldes, in dem die Ereignisse um die Schlacht von Hattin von 1187, die darauffolgende Eroberung Jerusalems durch Saladin und die alarmistischen Reaktionen des christlichen Europas auf diese Ereignisse verhandelt wurden. Themen wie die symbolische Bedeutung des Kreuzes im Banne des Verlusts der Hauptreliquie des Kreuzes Christi in Hattin, die Wechselbeziehungen von weltlichen und spirituellen Jerusalemkonzeptionen, die Reflexion eschatologischer Vorstellungen und apokalyptischer Zukunftsvisionen als Konzeptionsrahmen für die Einordnung der Kreuzzüge, die Auswirkungen der intellektuellen Dynamik der erwachenden Pariser Universitätsszene auf die theologische Situierung des Kreuzzugsgeschehens: all das wird von Marx gründlich und detailreich diskutiert und dargestellt. Daraus ergibt sich nicht nur ein umfassendes Bild einer intellektuellen Intervention von theologischer Seite, die die Diskurse zu den Kreuzzugsaktivitäten seit dem Ersten Kreuzzug aufgreift und die Krisensituation des Dritten Kreuzzugs in theologisch geprägte Denkmuster und Weltanschauungen einpasst. Gleichzeitig bildet diese Intervention den Nährboden und die Brücke zur Weiterentwicklung der Kreuzzugsbewegung im 13. Jahrhundert unter der Führung von Päpsten, die dem intellektuellen Milieu der Pariser Universität nahestanden. Mit seiner feingliedrigen Studie füllt Marx also eine allzu lang leer gebliebene Forschungslücke.
In einer so ausführlichen wie thematisch vielschichtigen Studie gäbe es eine Vielzahl von Details, die eine genauere, kritische Würdigung verdienten. Dazu bestehen in diesem Rahmen jedoch weder Raum noch Notwendigkeit. Die thematische Ausrichtung, der methodologische Ansatz und die dezidierten Aussagen von Marx' tour de force werden den akademischen Diskurs beleben und seine Thesen und Ergebnisse werden zweifelsohne in der engeren Fachwelt einer kontroversen Diskussion unterzogen werden. Das ist an sich schon ein überaus erfreuliches Resultat der vorliegenden Studie. Unter diesem Aspekt wäre es jedoch wünschenswert gewesen, wenn das Buch ein rigoroseres Lektorat erfahren hätte. Es hätte sich gelohnt, die oftmals umständlichen Argumentationslinien zu straffen und zu kürzen, um den Leser*innen den Lektüreaufwand zu erleichtern und das Leseerlebnis zu verschönern. Dabei stören speziell auch die mitunter unnötig belehrenden und oft allzu apodiktischen Urteile, die Marx seinem Publikum und anderen Forschenden zumutet.
Abschließend sei betont, dass das vorliegende Buch bei aller kontroversen Lesart einen substanziellen und wichtigen Beitrag zum Thema Kreuzzugspredigt und Kreuzzugspropaganda im Hochmittelalter liefert. Allein die Präsentation und Aufarbeitung sowie die Einbettung in den Forschungsdiskurs von zahlreichen bisher wenig beachteten Predigttexten und theologischen Traktaten des ausgehenden 12. Jahrhunderts muss als wertvoller Baustein für die Weiterentwicklung mehrerer übergeordneter Forschungsdiskurse zur Repräsentation der Kreuzzüge, zur Genreentwicklung von Predigtexten und zur Bedeutung einer aufblühenden Bildungslandschaft in den Jahrzehnten vor 1200 gewertet werden.
Anmerkung:
[1] Nicole Bériou / Christoph T. Maier (eds.): Philip the Chancellor and Eudes of Châteuroux. Nine Sermons on Crusade and Heresy, 1226-1231 (= Oxford Medieval Texts), Oxford 2024, xxxvii-lxxiii.
Alexander Marx: The Preaching of the Third Crusade (1187-1192). The Early University of Paris, Biblical Exegesis, and the Coming Apocalypse (= Commentaria; Vol. 16), Leiden / Boston: Brill 2024, XV + 597 S., ISBN 978-90-04-70752-8, EUR 147,66
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