Dieses Werk zur Geschichte der Rotary Clubs [1] ist wegen seines Umfangs ungewöhnlich, aber auch wegen des zeithistorisch turbulenten Frühjahrs 2025, in dem es gelesen wurde und zu Vergleichen aufforderte.
Vor zehn Jahren taten sich etwa 70 Mitglieder der Rotary Clubs (RC) in Deutschland und Österreich zusammen, um mit Hilfe dieses Gedenkbuches den von den Nationalsozialisten verfolgten Freunden wieder ein Gesicht zu geben. Seitdem entstanden mehrere Publikationen [2], darunter dieses Werk mit fast 350 Biographien und einer längeren, zeithistorischen Einleitung des Wirtschafts- und Sozialhistorikers Hermann Schäfer. Ebenfalls vom Fach ist Claus-Hans Hauptmeyer, der den Expertenkreis und seine Lenkungsgruppe geleitet und das Vorwort geschrieben hat. Somit ist es ein Gemeinschaftswerk von Rotariern über Rotarier für künftige Rotarier-Generationen geworden.
Das Gedenkbuch wird ergänzt und aktuell gehalten von der Rotary-Datenbank. [3] Jede Biographie enthält biographische Kurzinformationen, den eigentlichen Lebens- und Berufsweg sowie Literaturhinweise für weitere Recherchen. Nach den Biographien folgt ab Seite 819 die unpaginierte "Gedenkliste der ausgeschlossenen und diskriminierten Mitglieder" und ab Seite 873 das ausführliche Personenregister.
Ähnlich wie die Freimaurer wurden die Mitglieder von RCs im Deutschen Reich und in Österreich von den nationalsozialistischen Machthabern ab 1933 wegen ihrer liberalen und humanistischen Grundeinstellungen diskriminiert. Die NS-Politik richtete sich sowohl gegen Einzelpersönlichkeiten als auch gegen die einzelnen Clubs, so dass sich diese schließlich 1937 zur Selbstauflösung gezwungen sahen. Das Muster für diese Diskriminierung folgte der bekannten traurigen Chronik der Machtergreifung und -sicherung des rassistisch-antiliberalen Führerstaates. Sowohl im Vorwort als auch in der Einleitung machen die Autoren deutlich, dass sie Schuld abtragen wollen. Dabei geht es ihnen um die sogenannte 'erste Schuld', die die Rotarier vor dem Zweiten Weltkrieg gegen jüdische und politisch nichtkonforme Clubmitglieder begangen haben, als sie deren Ausschluss oder Austritt oder gar offene Verfolgung durch den beginnenden Terror durch SA und/oder gesetzliche Maßnahmen des Staates zuließen. Es geht Hauptmeyer und Schäfer aber auch um die sogenannte 'zweite Schuld'. Diese sehen sie in der langen Zeitdauer nach 1945, die verging, ehe sich Rotarier der (ab 1946) wieder gegründeten Clubs am Beginn des zweiten Jahrtausends aufraffen konnten, sich der ersten Schuld aktiv zu erinnern und durch Wort und Schrift Aufklärung über die Schicksale der verfolgten Rotarier zu leisten. Die selbstkritische Einleitung vermerkt dabei, dass ein ausdrückliches Diskriminierungsverbot in den Rotary-Satzungen erst etwa 2010 eingeführt wurde. Seitdem ist geregelt, "dass niemand 'aufgrund des Geschlechts, der Rasse [!], der Hautfarbe, Glaubensrichtung, nationalen Herkunft oder sexuellen Neigung [!] in der Mitgliedschaft benachteiligt werden darf". (122)
Der erster Rotary Club in Deutschland wurde 1927 in Hamburg gegründet. Er ging auf die Initiative des Vorstandsvorsitzenden der HAPAG, des ehemaligen Reichskanzlers Wilhelm Cuno, zurück. Der Wiener RC war bereits zwei Jahre zuvor gegründet worden. Die berufsbezogene Mitgliedschaft erwarben - damals wie heute - ausgesuchte Vertreter der Wirtschaft, der Kultur und der öffentlichen Verwaltung. Dadurch etablierte sich in einem sozial-exklusiven Raum eine Elite. Bereits vor 1933 traten manche Rotarier in die NSDAP ein, wenngleich ihre Partei die Clubs wegen angeblicher geheimbündlerischer oder pazifistischer Aktivitäten attackierte. Da die Clubs auch jüdische Mitglieder hatten, wurden sie Ziele der ersten antisemitischen Welle des 'Dritten Reiches' ab Frühjahr 1933. In den Folgejahren verschärfte der "Maßnahmen- und Normen-Staat" (Ernst Fraenkel) den Druck auf die RCs, die sich wiederum interner Spannungen ausgesetzt sahen: Jüdische oder oppositionelle Mitglieder fühlten sich von anderen ausgegrenzt, verließen das Land oder wurden gar verhaftet. Manche übten vorauseilenden Gehorsam und suchten die Nähe der neuen Machthaber. Die Club-Leitungen machten sich Sorge um den Fortbestand von Rotary in Deutschland und versuchten bereits im Mai 1933 in Gesprächen auf hoher Ebene, d.h. bei dem Reichsführer SS Heinrich Himmler sowie im "Braunen Haus" (29-32), einen Kompromiss zu erreichen. Es ging um die Durchführung des sogenannten Arierparagraphen für Rotarier in Beamtenstellung sowie um die gleichzeitige Mitgliedschaft in der Partei und in den RCs. Weiterer Druck von außen und vorauseilender Gehorsam von Rotariern, die ihre jüdischen und nichtkonformen Mitglieder, die einstigen Freunde, im Stich ließen, waren die wesentlichen Gründe, dass Verhandlungen um den sinnvollen Weiterbestand der Rotary Clubs scheiterten. 1936, ein Jahr vor der Selbstauflösung, zählten die deutschen RCs 1.273 Mitglieder. In einigen Clubs gehörte bereits die Hälfte von ihnen entweder der NSDAP, der SA oder der SS an. Schäfer schätzt, dass nach 1933 der Verlust an Mitgliedern, der durch das "Ausscheiden" jüdischer Rotarier entstand, etwa 16 % ausmachte (68).
Das Beeindruckende dieses Gedenkbuches liegt weniger an den Zahlen als an den vielen dargestellten Einzelschicksalen. Darunter befinden sich diejenigen, die wie Thomas Mann (RC München 1928-1933; 512-516) rechtzeitig in die Emigration flüchteten. Auch der evangelische Theologieprofessor Paul Tillich, ein Adorno-Schüler (RC Frankfurt/Main 1929-1933; 706-707), ging ins Exil. Als konservativ-demokratischer Oberbürgermeister von Köln legte sich Konrad Adenauer, der spätere erste Bundeskanzler, heftig mit NSDAP-Funktionären an, blieb aber trotz Repressalien im Lande (RC Köln 1928-1933; 173-175). Der Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler blieb ebenfalls und trat aktiv dem deutschen Widerstand gegen Hitler bei (RC Leipzig 1936/37 als Ehrenmitglied; 332-334). Zu den prominenten jüdischen Deutschen, denen die Flucht nach 1933 gelang, zählten unter anderen der mit Thomas Mann befreundete Schriftsteller Bruno Frank (RC München 1928-1933; 304-306) und der Schriftsteller Karl Wolfskehl, ein Freund auch von Stefan George (RC München 1928-1933; 770-771), der sehr gut vernetzte Hamburger Bankier Max M. Warburg (RC Hamburg 1927-1934; 735-738), der Stettiner Schiffsreeder Arthur Kunstmann (RC Stettin 1933/34; 467) und der Wiener Wirtschaftswissenschaftler Ludwig von Mises (RC Wien 1929-1938; 807).
Dieses Werk stellt zum einen ein wichtiges schriftliches Denkmal für die vielen aufrechten Rotarier dar, ohne selbstkritisch die vielen menschlichen Schwächen zu verschweigen. Es ist zum anderen eine große wissenschaftliche Fundgrube, die reichlich Stoff für sozialhistorische Einzeluntersuchungen, insbesondere zur Elitenforschung, bietet.
Anmerkungen:
[1] Für Nicht-Rotarier wichtig zu wissen: Nach eigenen Angaben ist Rotary damals (1905 Gründung durch den Amerikaner Paul P. Harris) wie heute "ein internationales Netzwerk aus über 1,2 Millionen engagierten Männern und Frauen" mit dem Ziel, "Menschen verschiedener Herkunft und Berufe zum Ideenaustausch zusammenzuführen, um daraus lebenslange Freundschaften entstehen zu lassen." (https://www.rotary.org/de/about-rotary/history). An der Basis gibt es die Rotary Clubs, koordiniert vom jeweiligen Regional-Gouverneur, sowie an der Spitze Rotary International (USA) mit der Rotary Foundation, die die eingeworbenen Spenden für Projekte sammelt.
[2] Vgl. insbesondere: Hermann Schäfer / Peter Diepold / Carl-Hans Hauptmeyer / Kurt-Jürgen Maaß (Hgg.): Rotary unter dem Nationalsozialismus. Lehren aus der Geschichte - für die Zukunft, 2. Aufl. Freiburg 2019.
[3] https://memorial-rotary.de/ (aufgerufen am 15.04.2025)
Hermann Schäfer: Die Rotary Clubs im Nationalsozialismus. Die ausgeschlossenen und diskriminierten Mitglieder. Ein Gedenkbuch, Göttingen: Wallstein 2024, 892 S., ISBN 978-3-8353-5635-1, EUR 38,00
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