sehepunkte 25 (2025), Nr. 5

Birte Poulsen / Poul Pedersen / John Lund (eds.): Karia and the Dodekanese

Das hier anzuzeigende Werk ist die Verschriftlichung einer gleichnamigen Tagung, die am 24. und 25. Januar 2018 am Danske Institut in Athen stattfand und die darauf abzielte, die reichhaltige und vielfältige archäologische Forschung in der Zielregion, das heißt in Südwestkleinasien und auf den vorgelagerten ägäischen Inseln (unter anderem Rhodos und Kos), auf aktuellem Stand zusammenzuführen und umfassend zu dokumentieren (um Missverständnissen gleich vorzubeugen: die "cultural interrelations" im Buchtitel sind also rein materiell zu verstehen). Eine solche Synopse ist auch deswegen wichtig, weil der Untersuchungsraum nicht nur heutzutage durch eine EU-Außengrenze zweigeteilt wird, sondern schon rezeptionsgeschichtlich von Griechen auf der einen und "barbarischen" Karern auf der anderen Seite bevölkert war und man für die Letzteren bekanntlich weit weniger Interesse aufzubringen pflegte als für die Ersteren, ein Ansatz, der freilich längst überwunden ist.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen, herausgekommen sind zwei Bände mit 34 Beiträgen auf insgesamt über 450 Textseiten, die die Zeit von ca. 400 v.Chr. bis 500 n.Chr. behandeln. Beide Bände beginnen mit einem identischen Vorwort und einer Karte, daran anschließend kommt eine Einführung der Herausgeber:innen, die die jeweils folgenden Kapitel kurz zusammenfasst und einordnet. Gegliedert ist die Publikation grob nach Denkmalgattungen und zugleich chronologisch, Band 1 befasst sich mit der spätklassischen und frühhellenistischen Periode, während Späthellenismus, Kaiserzeit und Spätantike dem (umfangreicheren) zweiten Band vorbehalten sind. Die zum Teil recht ausführlichen Literaturhinweise stehen am Ende eines jeden Beitrags, und jeder Band hat hinten ein knappes Register. Hervorzuheben ist die hohe Qualität der Abbildungen und das Druckbild (auf Hochglanzpapier!) ganz allgemein, hier wurden - bei einem annehmbaren Preis - keine Kosten gescheut.

Natürlich ist es äußerst schwierig, bei einem solchen "Mammutprojekt" noch irgendwie einen roten Faden erkennen zu können, und manche Zusammenhänge werden durch die gewählte Anordnung nach zeitlicher Reihenfolge eher auseinandergerissen, wie zum Beispiel die verschiedenen italienischen Bestandsaufnahmen zu den Forschungen auf Kos (Nr. 10 ["Karian influences in Early Hellenistic Kos: political, urban and religious aspects"] von Elisabetta Interdonato in Band 1; Nr. 11 ["The language of Koan architecture between Synoikism and Late Hellenism"], 14 ["Kos: the official language of the Imperial architecture"] und 16 ["The Early Byzantine architecture in Kos and the interactions with the nearby regions of Asia Minor"] von Giorgio Rocco, Monica Livadiotti, Isabella Baldini und Claudia Lamanna in Band 2).

Aber: Band 1 etwa legt einen klar erkennbaren Schwerpunkt auf die Hekatomnidenzeit und den damit verbundenen städtebaulichen Aufschwung in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts v.Chr., der in der dänischen Forschung gerne als "Ionian renaissance" bezeichnet wird. Und dabei geht es nicht nur um das Mausoleum selbst, besonders spannend ist die Präsentation der erst 2005 entdeckten monumentalen Grabanlage in Mylasa durch Adnan Diler (Bd. 1 Nr. 7 ["The Hekatomneion in Mylasa: preliminary studies on the cult"]), die Hekatomnos, dem Vater des Maussolos, zugewiesen wird und die daher vielleicht das Vorbild für das berühmte Grabmal des Sohnes war. Die Bautätigkeit der Hekatomniden strahlte jedenfalls auf die benachbarten Inseln aus (Bd. 1 Nr. 1 [. Luigi M. Caliò, "Theatroeideis poleis. Cities and urbanization in Eastern Greece"], 9 [Christine Wilkening-Aumann, "The Temple of Hemithea at Kastabos and the 'Ionian Renaissance'"] und 10 [Elisabetta Interdonato, "Karian influences in Early Hellenistic Kos: political, urban and religious aspects"]), und auch in vielen anderen Beiträgen zeigt sich: Karien und die Dodekanes waren über das gesamte Altertum hinweg eine architektonische und kunstgeschichtliche Koinē (so zum Beispiel Bd. 2 Nr. 4 [Nikolas Dimakis, Giorgos Doulfis, "Karian reflections in Halasarna, Kos"], oder ebenda Nr. 13 [Chrysanthi Tsouli, "Cultural interdependence between Kos and Karia as illustrated by the grave markers (semata) of the Hellenistic period"]), freilich mit überregionalen Bezügen (dies zeigen nicht zuletzt die Verbindungen nach Alexandria, die von Helen Fragaki [Bd. 1 Nr. 12 ("Western Asia Minor workshops and the Early Hellenistic architecture of Alexandria")], Elena Ghisellini [Bd. 2 Nr. 5 ("Relations between the Dodekanese, Karia and Alexandria: the case of the sculpture")] und Nikoline Sauer [Bd. 2 Nr. 10 ("Tracing networks of the Hellenistic amphora market: a study based on Rhodian, Knidian and Koan transport amphoras")] thematisiert werden).

Im Einzelnen stellen die beiden Bände eine wahre Fundgrube an archäologischer Detailforschung dar, die wahrscheinlich nur absolute Spezialisten in ihrem Wert richtig ermessen können, beispielsweise, wenn Winfried Held mit verschiedenen Steinarten argumentiert (Bd. 2 Nr. 7 ["Mutual influences between Dodekanesian and Karian sanctuaries in the Hellenistic period: the sanctuaries of Apollo in Loryma and Amos, and the "Corinthian Temple" in Kaunos"]), oder bei den materialgesättigten Studien von Kerstin Höghammar, die die koischen Inschriften nach Ausländern durchsucht hat (Bd. 2 Nr. 8 ["The moving movers. Foreigners buried on Kos in the Hellenistic period"]), oder von Nikoline Sauer, die die Verteilung von über 200.000 rhodischen, knidischen und koischen Amphorenstempeln analysiert (Bd. 2 Nr. 10 [s.o.]). Solch "ungeschminkte" Wissenschaft ist allerdings zum Teil mühsam zu lesen und für Nicht-Archäologen mitunter schwer zu kontextualisieren. Herausragend unverständlich war die "space syntax analysis" (Bd. 1 Nr. 14 ["Kos: the official language of the Imperial architecture"]), die in dem betreffenden Beitrag offenbar als allgemein bekannt vorausgesetzt wurde, und auch bei der "network analysis" in Nr. 10 in Band 2 (s.o.) wäre es schön gewesen, wenn die Autorin den intellektuellen Mehrwert dieser Methode stärker herausgearbeitet hätte.

Doch bleiben dies Ausnahmen, "Karia and the Dodekanese" ist zweifellos ein großer Wurf. Dem dänischen Institut in Athen gebührt das Verdienst, in einer monumentalen Zusammenschau die neueste Forschung im Untersuchungsgebiet bequem zugänglich gemacht zu haben. Die Erfahrung aus anderen Regionen zeigt, dass das auf künftige Projekte befruchtend wirkt (zu denken ist hier etwa an die Lykien-Symposien 1977, 1990 und 2005).

Rezension über:

Birte Poulsen / Poul Pedersen / John Lund (eds.): Karia and the Dodekanese. Cultural Interrelations in the Southeast Aegean. Volume I: Late Classical to Early Hellenistic, Oxford: Oxbow Books 2021, XIV + 197 S., zahlr. Abb., ISBN 978-1-78925-510-2, GBP 48,00

Birte Poulsen / Poul Pedersen / John Lund (eds.): Karia and the Dodekanese. Cultural Interrelations in the Southeast Aegean. Volume II: Early Hellenistic to Early Byzantine, Oxford: Oxbow Books 2021, XVI + 295 S., zahlr. Abb., ISBN 978-1-78925-514-0, GBP 50,00

Rezension von:
Hartmut Blum
Universität Tübingen
Empfohlene Zitierweise:
Hartmut Blum: (Rezension), in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 5 [15.05.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/05/36101.html


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