Die Engländerin Mary Ward (1585-1645) zählt zu den bedeutendsten Frauen der frühneuzeitlichen Kirchengeschichte. Sie gründete das Institut der Englischen Fräulein, den neben den Ursulinen wichtigsten Schulorden der Frühen Neuzeit. [1] Mary Ward stammte aus einer katholischen Landadelsfamilie. Um ihrer Berufung zum Ordensleben zu folgen, musste sie England verlassen und trat zunächst in den Klarissenkonvent von Saint Omer in den Spanischen Niederlanden ein. Die traditionellen Nonnenklöster entsprachen jedoch nicht Mary Wards Vision von einem apostolischen weiblichen Religiosentum. Ihr Bestreben war es, einen Frauenorden nach dem Vorbild der Gesellschaft Jesu zu gründen. Das Apostolat der Englischen Fräulein war eine höhere Bildung für Mädchen, wie sie die Jesuiten für Knaben leisteten. Zu Mary Wards Lebenszeit wurden Konvente und Schulen in Saint Omer, London, Lüttich, Köln, Trier, Rom, Neapel, Perugia, München, Wien und Preßburg gegründet. Ihre Gemeinschaft sollte ohne Klausurverpflichtung auskommen und nicht dem jeweiligen Ortsbischof, sondern unmittelbar dem Papst unterstellt sein. Diese für ihre Zeit radikalen Ansprüche stießen auf erbitterten Widerstand der männlichen Amtskirche. Die päpstliche Bestätigung von Mary Wards Institut wurde verweigert. 1631 mussten alle Niederlassungen und Schulen geschlossen werden. Mary Ward wurde der Häresie angeklagt und für zwei Monate in einem Münchener Kloster inhaftiert. Erst im Jahre 1978 erhielt das Institutum Beatae Mariae Virginis jesuitische Konstitutionen. 2004 änderten die Englischen Fräulein ihren Namen offiziell in Congregatio Jesu. Mary Wards Seligsprechungsprozess ist bis dato nicht abgeschlossen.
Mary Wards Spiritualität, ihre revolutionären Vorstellungen von einem jesuitischen Ordensleben für Frauen und daraus resultierend ihr lebenslanger Kampf um die kirchliche Anerkennung ihrer Gemeinschaft spiegeln sich in ihren Schriften wider. Im Jahre 2007 veröffentlichte Sr. Ursula Dirmeier CJ eine vierbändige Ausgabe "aller bis dato erreichbaren, für Mary Ward und die Gründungsgeschichte relevanten Dokumente in der jeweiligen Originalsprache" (Vorwort). [2] Im vorliegenden Band stellt sie eine Sammlung ausgewählter Originaltexte, die von der Ordensgründerin verfasst oder mitverfasst worden sind, in deutscher Übersetzung zusammen.
Die Sammlung ist in drei Abschnitte gegliedert. In ihren Autobiografischen Skizzen (3-39) reflektiert Mary Ward auf Anordnung ihres Beichtvaters über ihre Kindheit und Jugend in ihrer katholischen Familie in England sowie über ihre Berufung zum Ordensleben und ihre vergebliche Suche nach einem für sie geeigneten Kloster.
Mary Wards Schriften und Worte (1606-1645), welche den Hauptteil des Bandes (41-353) ausmachen, beinhalten sehr heterogene Textsorten wie "Aufzeichnungen aus den Exerzitien, autobiografische Notizen, Briefe an Mitschwestern ebenso wie Institutspläne, die älteste Fassung der Regeln, Bittschriften und Verteidigungen" (Vorwort).
Die Quellentexte sind chronologisch geordnet. Jedem Kapitel, das zumeist einem Kalenderjahr entspricht, ist eine sehr knappe Einleitung vorangestellt, welche den historischen bzw. inhaltlichen Kontext erläutert. Für jeden Quellentext wird angegeben, in welchem Archiv sich das jeweilige Aktenstück befindet und wo dessen Edition bei Dirmeier bzw. in älteren Druckausgaben zu finden ist. Hierbei konnte die Herausgeberin auf die Vorarbeiten älterer Mitschwestern, wie Immolata Wetter, zurückgreifen.
Mary Ward reiste ihr gesamtes Erwachsenenleben zwischen England, Deutschland und Italien. Sie schrieb Briefe und Bittschriften an den Papst sowie an Kardinäle und Bischöfe und korrespondierte mit Beichtvätern und mit Landesfürst*innen. Insbesondere Mary Wards Briefe an ihre Mitschwestern belegen eindrucksvoll, welchen lebensbedrohlichen Schwierigkeiten und Anfeindungen sie sich bei der Etablierung ihres Instituts gegenübersah. Ihre Briefe zeugen aber auch von ihrer Freundschaft und liebevollen Fürsorge für ihre Gefährtinnen. In einem dritten Teil werden unter dem Titel Tradierte Worte (355-412) Aussprüche Mary Wards, die von ihren Zeitgenoss*innen überliefert sind, zusammengefasst.
Der vorliegende Band hat den Charakter einer praktischen Handreichung für alle an der Ordensgründerin Mary Ward interessierten und dürfte besonders ordensnahe Kreise, wie etwa das Lehrpersonal der zahlreichen Mary Ward-Schulen, ansprechen, da es wesentlich einfacher zu benützen ist als eine wissenschaftliche Edition in Originalsprache. Da die Textsammlung aber nicht auf den Nachweis der archivischen Überlieferung und der zugrundeliegenden Edition verzichtet, bietet sie einen niederschwelligen Einstieg in wertvolle Quellen für die Erforschung der Religions- und Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit. Eine Einleitung mit einer Biografie Mary Wards und weiterführende Literaturangaben fehlen allerdings.
Anmerkungen:
[1] Zu den gegenreformatorischen weiblichen Reformorden siehe die grundlegenden und richtungsweisenden Forschungen von Anne Conrad: Zwischen Kloster und Welt. Ursulinen und Jesuitinnen in der katholischen Reformbewegung des 16./17. Jahrhunderts (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte. Abteilung Religionsgeschichte; Bd. 142), Mainz 1991. Zur Biografie von Mary Ward ebenda 84-101.
[2] Ursula Dirmeier CJ (Hg.): Mary Ward und ihre Gründungen. Die Quellentexte bis 1645 (= Corpus Catholicorum. Werke Katholischer Schriftsteller im Zeitalter der Glaubensspaltung; Bde. 45-48), Münster 2007.
Sr. Ursula Dirmeier CJ (Hg.): Mary Ward - Schriften und Worte. Gesamtausgabe in deutscher Sprache (= Corpus Catholicorum. Werke katholischer Schriftsteller im Zeitalter der Glaubensspaltung; Bd. 50), Münster: Aschendorff 2024, VII + 420 S., ISBN 978-3-402-10529-0, EUR 73,00
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