Anna Moskals Studie beruht auf ihrer Dissertation, die unter der Leitung von Philipp Ther im Rahmen des Projekts "Out of Place. Ethnic Migration, Nation State Formation and Property Regimes in Poland, Czechoslovakia and Israel" entstanden ist. Dieses internationale Projekt wurde 2006-2009 am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz und an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) realisiert. Die Forscher beschäftigten sich auch mit Pressburg (Bratislava) [1] und der israelischen Stadt Ramla. Moskals Forschungsansatz beruht auf der "Erkenntnis, dass (Zwangs-) Migration und Eigentumspolitik eine zentrale Rolle bei der nationalen Aneignung bestimmter Räume spielen" (3). Im Buchtitel wird die für die Analyse maßgebliche Kategorie deutlich: der Konflikt zwischen den Zentral- und Lokalbehörden in Posen (Poznań) und seine Aushandlung innerhalb zweier historischer Perioden - nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Polens 1919-1929 und nach der Befreiung 1945-1947. Der Konflikt bezog sich auf die Rolle, die Großpolen, und insbesondere Posen und seine Einwohnerschaft, im polnischen Staat spielen sollten. Moskal betont, dass Posen in der Zwischenkriegszeit "die Hochburg der politischen Opposition war, die diese Stadt zu einem Gegengewicht zur Hauptstadt Warschau ausbauen wollte" (41).
Die Verfasserin schildert diese Prozesse, indem sie den Begriff "Polonisierung" verwendet; zugleich weist sie "auf aktuelle Proteste polnischer Gesprächspartner" (5) hin, die "Repolonisierung" bevorzugen würden. Moskal untersucht ihren Forschungsgegenstand anhand dreier Fallstudien: der Posener Messe, des "Großen Theaters" und konfessioneller Friedhöfe. Dies waren charakteristische Komponenten der polnischen Markierung der Stadtlandschaft, die als Antwort auf die in den 1890er Jahren in Angriff genommenen analogen Maßnahmen der deutschen Behörden anzusehen sind. [2] Allerdings erscheint es nicht vollkommen begründet zu sein, auf die beiden Perioden und sehr unterschiedlichen Forschungsgegenstände den Begriff "Polonisierung" anzuwenden. Von einer "Polonisierung" können wir lediglich im Zusammenhang mit der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und in Bezug auf die Institutionen, die vor 1793 nicht existiert hatten, sprechen.
Eindeutig polonisiert wurde vor allem die Posener Messe. Nach dem Ersten Weltkrieg sollte sie eine klare Antwort auf die Ostdeutsche Ausstellung von 1911 darstellen, die darauf abgezielt hatte, die schnelle und moderne Entwicklung der damaligen deutschen Ostgebiete nachzuweisen. Indem man nach 1918 die Ausstellungsgebäude für die polnischen Messe- und Ausstellungszwecke adaptierte, wollte man etwas Ähnliches beweisen - und zwar die Fortschrittlichkeit der polnischen Industrie und die Errungenschaften des jungen Staates. Eine entscheidende Phase war hierbei 1929 die Durchführung der Allgemeinen Landesausstellung (Powszechna Wystawa Krajowa), mit der die Leistungen der polnischen Wirtschaft während der ersten zehn Jahre der Souveränität Polens dokumentiert wurden. Die aufwendigen Bemühungen der Posener Behörden, diese Veranstaltung in der Hauptstadt Großpolens stattfinden zu lassen, beweisen ihr Bestreben, die Bedeutung der deutschen Ausstellung von 1911 zu minimieren.
Der Kontext ist aber noch deutlich umfangreicher. Die Autorin erwähnt nämlich nicht, dass die Posener Ausstellung von 1911 ein bemerkenswertes Präludium zu der Ausstellung war, die in Breslau 1913 anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Völkerschlacht bei Leipzig und des Sieges über Napoleon organisiert wurde. Die Posener Veranstaltung akzentuierte die wirtschaftliche Entwicklung des "eingedeutschten" Großpolens sowie Nieder- und Oberschlesiens. Sie betonte auch den angeblich deutschen Charakter Posens. In Breslau dagegen konzentrierte man sich auf den historischen Kontext der Befreiungskriege und die Rolle der schlesischen Hauptstadt bei der Bezwingung Napoleons. Die Ausstellungen von 1911 und 1913 sind daher im Zusammenhang zu betrachten, sie manifestierten nämlich die Macht Deutschlands im Osten - sowohl in wirtschaftlicher als auch in historischer Hinsicht. Dies fand auch in der Symbolik der Ausstellungsgebäude seinen Ausdruck: im Oberschlesischen Turm in Posen und im Pavillon der Historischen Ausstellung in Breslau (beides Entwürfe Hans Poelzigs) sowie in der Breslauer Jahrhunderthalle Max Bergs. Ganz offensichtlich bezog sich die Allgemeine Landesausstellung 1929 auf Veranstaltungen von 1911 und 1913. Auch die im Juni 1929 in Breslau eröffnete Ausstellung "Werk und Wohnraum" (WuWa), die vom Schlesischen Landesverband des Deutschen Werkbundes organisiert wurde, sollte hier mitberücksichtigt werden.[3] Beide Veranstaltungen von 1929 konkurrierten zwar miteinander, hatten aber das gemeinsame Ziel, die moderne Entwicklung der beiden Staaten nachzuweisen. Im Zusammenhang der Breslauer Veranstaltung wiederum müsste man auch die ab 1921 in Posen stattfindenden Messen betrachten - letztlich bestand die Intention stets darin, die Öffentlichkeit vom Polentum Großpolens beziehungsweise vom Deutschtum Schlesiens zu überzeugen.
In der zweiten Fallstudie erörtert Moskal die Übernahme des deutschen Stadttheaters in Posen 1919 und seine Umgestaltung in die anfangs bedeutendste Opernbühne Polens. Auch hier handelte es sich um eine materielle Aneignung. Das Theater stellte eine Komponente des Kaiserforums - einer imposanten städtebaulichen Anlage im Zentrum Posens - dar und war eines der symbolträchtigsten Elemente der Markierung des deutschen Territoriums in Posen. Die Geschichte des Theaters bis 1918 wird von Moskal in interessanter Weise geschildert, allerdings ohne den besonderen Charakter des gesamten Stadtviertels zu berücksichtigen. Dieses ist ausschließlich mit dem etwas früher entstandenen Kaiserforum in Straßburg zu vergleichen, das nach 1918 und nach 1945 französisiert wurde. Im Fall des Posener Theaters kann man von einer "Polonisierung" des Theatergebäudes und des gesamten Bauensembles des Kaiserforums sprechen. Das Repertoire, die Leitung und das Personal wurden hingegen eher "repolonisiert". Seit 1875 existierte nämlich in Posen ein modernes polnisches Theater mit eigenem Repertoire. Die 1919 eröffnete Oper, die den Platz des deutschen Stadttheaters einnahm, setzte gewissermaßen die Traditionen des früheren polnischen Theaters fort, das sich weiter auf Theaterstücke konzentrierte, während im Großen Theater hauptsächlich Opernstücke gespielt wurden. Moskal erörtert auch sehr knapp - und dabei leider zu oberflächlich - die deutsche Besatzung 1939-1945 und deutet die Jahre 1945-1949 als Fortsetzung der Programm- und Personalpolitik sowie der Einstellung der Stadtbehörden gegenüber der Oper aus der Zwischenkriegszeit.
In der dritten Fallstudie beschäftigt sich die Autorin mit den evangelischen Innenstadtfriedhöfen, die man in der Zwischenkriegszeit in Stadtparks verwandeln wollte. Aufgrund des Widerstands der evangelischen Gemeinde wurde das Vorhaben nicht verwirklicht. Erst im Laufe des Zweiten Weltkriegs lösten die deutschen Behörden diese Friedhöfe teilweise auf, und die polnischen Behörden führten dieses Bestreben nach 1945 fort.
Moskals Buch ist eine spannend verfasste Studie, die sich auf eine gründliche Archiv- und Presserecherche stützt und die sehr umfangreiche polnische Fachliteratur sorgfältig nutzt. Im Kontext der polnischen Forschungen nimmt diese Arbeit einen neuen Standpunkt in Bezug auf die Frage nach der "Polonisierung" und der "Repolonisierung" Posens nach 1918 und nach 1945 ein, wenn auch dieser Aspekt größtenteils bereits in anderen Zusammenhängen erörtert worden ist. Für deutsche Leser ohne Polnisch-Kenntnisse liefert dieses Buch nicht nur aufschlussreiche Informationen zur Geschichte Posens, sondern auch zur preußischen Herrschaft im polnischen Teilungsgebiet.[4] Die Studie passt also hervorragend in die Strömung der postcolonial studies, auch wenn Moskal selbst sich nicht darauf bezieht. Sehr wünschenswert wäre es, dieses Buch auch in polnischer Sprache zu veröffentlichen. Es könnte nämlich einen Anstoß für Studien zu polnischen Städten innerhalb anderer Teilungsgebiete liefern, die man nach 1918 repolonisierte. Schon jetzt stellt es einen bedeutenden Ansatzpunkt zur Analyse der "Französisierungsprozesse" nach 1918 und nach 1945 im Elsass und in Lothringen dar.
Anmerkungen:
[1] Iris Engelmann: Die Slovakisierung Bratislavas. Universität, Theater und Kultusgemeinden 1918-1948, Wiesbaden 2012.
[2] Vgl. Zenon Pałat: Architektura a polityka. Gloryfikacja Prus i niemieckiej misji cywilizacyjnej w Poznaniu na początku XX wieku [Architektur und Politik. Die Verherrlichung Preußens und der deutschen zivilisatorischen Mission in Posen zu Beginn des 20. Jahrhunderts], Poznań 2011; Rezension von Christoph Schutte, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 63 (2014), S. 157-158, der allerdings den Titel falsch angibt und das Wort "znaczenie" falsch übersetzt - und zwar mit "Bedeutung" statt "Markierung".
[3] Jadwiga Urbanik: WUWA 1929-2009. Wrocławska wystawa Werkbundu [WUWA 1928-2009. Die Breslauer Ausstellung des Werkbundes], Wrocław 2009.
[4] Dies ist insbesondere im Zusammenhang des bisher nicht ins Deutsche übersetzten Buches Zenon Pałats, sowie des für die Wahrnehmungsfrage des Stadtraums grundlegenden Buches von Zofia Ostrowska-Kębłowska: Architektura i budownictwo w Poznaniu w latach 1780-1880, 2. Aufl., Poznań 2009, zu betonen, was zweifelsohne sehr schade für die deutschen Leser ist.
Anna Moskal: Im Spannungsfeld von Region und Nation. Die Polonisierung der Stadt Posen nach 1918 und 1945 (= Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Ostmitteleuropas; Bd. 23), Wiesbaden: Harrassowitz 2013, XIV + 298 S., ISBN 978-3-447-06755-3, EUR 56,00
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