Von Stephan Conermann
Auch dieses FORUM "Islamische Welten" beschäftigt sich mit der Forschung zu einem bestimmten islamwissenschaftlichen Thema. Standen im April die Mamluken, die Ägypten und Syrien von 1250 bis 1517 kontrollierten, im Vordergrund, so liegt der Fokus dieses Mal auf dem indischen Mogulreich (1526-1848).
Nach dem Delhisultanat (1206-1414) und den anschließenden Sayyid- und Lodi-Dynastien (1414-1526) stellt es den vierten muslimischen Herrschaftsverband auf dem Subkontinent dar. Sein "Gründer", der timuridische Lokalherrscher Babur, hatte sich von seinem Stammsitz im Ferghana-Tal aus nach einigen vergeblichen Versuchen, Samarqand zu erobern, in Kabul festsetzen können. Von dort zog er nach Indien, wo Delhi eingenommen wurde. Als Babur 1530 starb, existierte noch kein gefestigtes Mogulreich. Erst sein Enkel Akbar (1556-1605) leitete zahlreiche erfolgreiche militärische Unternehmungen, durch die das Herrschaftsgebiet der Moguln in großem Umfang erweitert wurde. Akbar steht ferner für eine Reihe einschneidender Reformen. Er zentralisierte die Provinzverwaltung und das Steuersystem und schuf ein für die ökonomische Infrastruktur stabiles Währungssystem. Sein Versuch, eine neue pan-indische Glaubensform zu entwickeln, war allerdings sehr umstritten und konnte sich langfristig nicht durchsetzen.
Unter dem nächsten Mogulherrscher Jahangir (1605-27) festigten sich die inneren Strukturen des Reiches. Nach seinem Tod 1627 und der Entmachtung seiner einflussreichen Gemahlin Nur Jahan durch den Wesir Asaf Khan bestieg sein Sohn Shah Jahan (1627-1657/58) den Thron. Die höfische Kultur, insbesondere die Architektur, aber auch die Dichtung und Miniaturmalerei erlebten eine Zeit der Blüte. 1633 war es darüber hinaus möglich, das schiitische Sultanat von Ahmadnagar dem Mogulreich einzuverleiben. Drei Jahre später folgten Golkonda und Bijapur. Dann aber hatte Shah Jahan einige Rückschläge hinzunehmen, und als 1657 der Padishah erkrankte, ließen sich seine beiden Söhne zum Herrscher ausrufen. Awrangzeb siegte schließlich in diesem Bruderstreit. Während seiner Regierungszeit (1658-1707) erfolgte die weitere Ausdehnung des Reiches nach Süden auf Kosten einer massiven Finanzkrise. Des Weiteren rebellierten die wiedererstarkten, wenn auch untereinander zerstrittenen Rajputen. Auf dem Dekkhan stellten neben Golkonda und Bijapur die Marathen unter Führung des Hindus Shivaji eine ernsthafte Gefahr für Auwrangzeb dar. Er verlagerte daher die Hauptstadt in die Region. 1686 fiel Bijapur, ein Jahr darauf Golkonda, aber die Marathen blieben. Die Finanzierung der Kriegszüge erschöpfte das Reich, die hohen Steuerlasten führten zu Aufständen der Jats um Delhi und Agra und der Sikhs im Punjab.
Awrangzebs Erbe, Bahadur Shah (1707-1712), versuchte noch einmal, grundlegende Reformen durchzuführen, aber der Verfall des Reiches war schon zu weit fortgeschritten. Marathen und Briten bauten ihre Machtpositionen aus, die Provinzen wurden zu halbautonomen Staaten. Innere Machtkämpfe schwächten das Zentrum. Farrukh Siyar (1713-1719), der erst nach erbitterten und langwierigen Auseinandersetzungen mit seinen Brüdern an die Macht gelangte, konnte seine Position nicht festigen. Wie sehr das Mogulreich als einheitlicher Herrschaftsverband an Kohärenz und Struktur verloren hatte, zeigte sich in den 1720er und 1730er Jahren zur Zeit der Regierung von Muhammad Shah (1736-1747). 1724 trat Muhammad Shahs Premierminister Asaf Jah zurück, um fortan als Nizam von Hyderabad auf dem Dekkhan als praktisch unabhängiger Herrscher zu regieren. Damit gingen dem Mogulreich ein Drittel der Staatseinkünfte und drei Viertel des Kriegsmaterials verloren. 1739 erfolgte schließlich der Einmarsch des persischen Herrschers Nadir Shah und die Plünderung Delhis.
Die hier skizzierte politische Geschichte bildet jedoch nur den Hintergrund für die mannigfaltigen komplexen und hochinteressanten gesellschaftlichen Prozesse innerhalb des Mogulreiches. Wie man in diesem FORUM sehen kann, widmet sich die Forschung nämlich vielen verschiedenen Facetten des sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Lebens während dieser Zeit. Ich wünsche allen eine erbauliche Lektüre!