Von Nils Freytag
Die Monarchiegeschichte der Moderne erlebt seit über einem Jahrzehnt eine bemerkenswerte Konjunktur - gerade die der deutschen Monarchien. Neben eher klassischen Biographien stehen insbesondere kultur-, symbol- und mediengeschichtlich inspirierte Studien, welche die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Herrschaft, Gesellschaft und Öffentlichkeiten unter neuen systematischen Gesichtswinkeln in den Blick nehmen. [1] Bemerkenswert ist dies auch deshalb, weil die Institution "Monarchie" aus strukturgeschichtlicher Perspektive im oligarchisch-polykratischen Wirrwarr der anonymisierten Interessengruppen des Deutschen Kaiserreichs bereits vor der Revolution von 1918/19 untergegangen schien. Einer Beschäftigung mit ihr haftete lange der Ruch des methodisch Altbackenen und des Personalistischen an. Wer sich für Herrschergestalten und Monarchien interessierte, galt als Teil einer überkommenen, biographisch ausgerichteten Geschichtswissenschaft.
Das ist eine zugespitzte Sichtweise, denn die Auseinandersetzung um die Position und Verantwortung des monarchischen Individuums und damit die Kardinalfrage nach dem Verhältnis von Person und Struktur verschwand auch nach der sozialgeschichtlichen Wende nicht völlig von der geschichtswissenschaftlichen Tagesordnung. Sieht man einmal von verfassungsgeschichtlichen Studien ab (etwa der Streit zwischen Ernst Rudolf Huber und Ernst-Wolfgang Böckenförde um die Kernmerkmale der konstitutionellen Monarchie), dann zeugt davon insbesondere die bis weit in die 1980er Jahre hinein lebhaft geführte Debatte um das sogenannte "persönliche Regiment" Wilhelms II. Sie kreiste vor allem um die Grundfragen, welche Macht der letzte deutsche Kaiser tatsächlich besaß, auf welchen Wegen er sie überhaupt auszuüben vermochte und inwiefern seine Herrschaftsweise als modern zu bezeichnen ist. [2]
Wie sehr diese vor allem von angelsächsischen Historikern inspirierten Fragen die Geschichtswissenschaft auch weiterhin beschäftigen, dokumentieren mehrere der in diesem SEHEPUNKTE-FORUM vorgestellten Biographien, die sich auch aus Anlass des 150. Geburtstags Wilhelms II. (27. Januar 1859) an eine breitere geschichtsinteressierte Öffentlichkeit wenden. Sie nehmen auf teilweise neuer Quellenbasis politische Einstellungen und Institutionen der Wilhelminischen Monarchie ebenso ins Visier wie die monarchischen Legitimationsgrundlagen und das Verhältnis zwischen kaiserlichen Herrschaftsmechanismen und moderner Inszenierung. Zwei der hier besprochenen Bücher verfolgen diese Problemkreise sogar über das Ende der deutschen Monarchien hinaus und richten damit das Augenmerk stärker auf Fragen nach epochenübergreifendem monarchischen Kontinuitäten und damit zugleich auch auf den bereits im 19. Jahrhundert einsetzenden Wandel unter den Vorzeichen der Moderne.
Anmerkungen:
[1] Genannt seien hier nur die wegweisende Studie von Johannes Paulmann: Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn u.a. 2000, sowie als anregender Sammelband Jan Andres, Alexa Geisthövel und Matthias Schwengelbeck (Hgg.): Die Sinnlichkeit der Macht. Herrschaft und Repräsentation seit der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 2005.
[2] Einen grundsoliden Überblick über den Gang und die zentralen inhaltlichen Argumente der Debatte bietet Ewald Frie: Das Deutsche Kaiserreich, Darmstadt 2004, 69-81.