sehepunkte 4 (2004), Nr. 2

Brenda Maddox: Rosalind Franklin

Für die beiden großen wissenschaftlichen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts, die unsere Vorstellung vom Aufbau der Materie und dem Bauplan des Lebendigen revolutionierten, war die Forschungsarbeit von Frauen unverzichtbar. In beiden Fällen, nämlich bei der ersten experimentellen Spaltung des Atomkerns ebenso wie bei der Erkenntnis, wie die molekulare Struktur des genetischen Erbmaterials beschaffen ist, wurde die Rolle der beteiligten Wissenschaftlerinnen heruntergespielt, vergessen und verleugnet, gar diffamiert. Wenn sich Stimmen gegen diese Ungerechtigkeiten erhoben, wurden sie vom großen Publikum zumeist überhört. Erst in der Frauen- und Geschlechterforschung der letzten Jahrzehnte wurden die Gründe dafür gezielt untersucht und systematisch wahrgenommen.

Der Nobelpreis für das Doppelhelix-Modell der DNA ging im Jahr 1962 gemeinsam an Francis Crick, James Watson und Maurice Wilkins. Rosalind Franklin konnte bei dieser Ehrung nicht mehr berücksichtigt werden, denn sie war zu diesem Zeitpunkt bereits seit vier Jahren tot. 1968 veröffentlichte Watson seinen persönlichen Bericht über den bewegten Verlauf der Entdeckung, der nicht ohne Einwände blieb. Insbesondere Franklin wurde das Opfer von Entstellungen und Beleidigungen, die eine frauenfeindliche Haltung zum Ausdruck bringen. Nichtsdestotrotz wurde "The Double Helix" ein internationaler Bestseller. Das nun vorliegende Buch von Brenda Maddox nimmt dagegen in Anspruch, das Bild von Rosalind Franklin zu korrigieren und sich dabei nicht nur auf die kurze Spanne von Januar 1951 bis März 1953 zu beschränken, in der sie sich auf die Untersuchung der DNA konzentrierte, sondern ihr "komplexes, erfolgreiches und aktives Leben" (12) insgesamt darzustellen.

Franklin schloss ihr Studium in Cambridge 1945 mit einer Promotion in Physikalischer Chemie ab. Ihre Untersuchungen zur Mikrostruktur von Kohlen hatte sie noch während des Krieges als Forschungsassistentin bei BCURA (British Coal Utilisation Research Association) begonnen, und danach setzte sie diese Arbeiten von 1947 bis 1949 am Laboratoire Central des Services Chimiques de L'Etat in Paris fort. Dort erweiterte sie ihr kristallografisches Wissen und eignete sich die Technik der Röntgenspektroskopie an. Auf dieser Grundlage wandte sie sich neben der Analyse von amorphen Substanzen vor allem den großen, unübersichtlichen Molekülstrukturen zu, wie sie in der Mikrobiologie vorkommen. Die beiden folgenden Stationen ihrer Forschungstätigkeit wurden das Kings College in London, wo ihr 1951 die ersten klaren Röntgenbeugungsaufnahmen der DNA gelangen, und schließlich das Birbeck College, ebenfalls in London, wo sie begann, die Proteinstrukturen von Viren aufzuklären. Jedes ihrer Arbeitsgebiete erwies sich als außerordentlich zukunftsträchtig.

In der internationalen Konkurrenz um die Entschlüsselung der DNA ließ sie sich jedoch nicht zu übereilten Schlussfolgerungen hinreißen, und am Ende waren es ihre Messungen, welche die Grundlage für das korrekte Modell bildeten, mit dem Crick und Watson im Frühjahr 1953 an die Öffentlichkeit traten. Das Material war ohne ihr Einverständnis von Wilkins an die beiden Forscher am Cavendish Laboratory in Cambridge weitergegeben worden.

Im Streit zwischen Franklin und Wilkins am Kings College kamen neben den persönlichen Differenzen auch die Bedingungen von Kooperationsverhältnissen in einer männlich dominierten Hierarchie zum Tragen. Noch als Leiterin einer Forschungsgruppe am Birbeck College hatte Franklin gegen das Misstrauen seitens des ACR (Agricultural Research Council) zu kämpfen, um die langfristige Finanzierung der gemeinsamen Arbeit zu sichern. Die Anerkennung von Franklins Forschungsarbeit durch einen entsprechenden Status erfolgte mit Verzögerungen. Die entscheidende Wende kam erst 1957 durch eine großzügige US-amerikanische Förderung. In einer Wissenschaftskultur, die Frauen weitgehend ausschloss, blieben die ganz großen Auszeichnungen, wie die Aufnahme in die Royal Academy of Science, bis 1944 für die männlichen Kollegen reserviert und damit auch der Zugang zu den professionellen Netzwerken, aus denen die Vorschläge für den Nobelpreis kommen. Franklins Name wurde 1962 in Stockholm von den Preisträgern nur ein einziges Mal bei Wilkins in einer Nebenrolle erwähnt.

Trotz allem war Franklins Position privilegiert, denn die Einbußen in ihrer Karriere berührten nicht die materielle Grundlage ihrer Existenz. Sie war 1920 als Tochter einer wohlhabenden anglo-jüdischen Familie geboren worden, in der das Zusammenleben von wechselseitiger Anerkennung, gesellschaftlicher Aktivität und offener Auseinandersetzung geprägt war. Ihr liberal-konservatives Elternhaus war in hohem Maße sozial engagiert, etliche nähere Verwandte Franklins waren politisch aktiv, bekleideten hohe Ämter oder setzten sich für sozialistische Ziele und die Rechte von Frauen ein. Rosalind Franklin hatte engen Kontakt zu ihrer Familie und besaß einen weitläufigen Kreis von Freunden und Kollegen. Ebenso wie während ihrer Jahre nach dem Krieg in Frankreich schätzte sie später bei ihren längeren Besuchen in Amerika die ungezwungene oder zumindest weniger feindliche akademische Kultur gegenüber Frauen als Wissenschaftlerinnen. Eine Krebserkrankung setzte ihrem Leben im Alter von nur 37 Jahren ein abruptes Ende.

Maddox' Darstellung basiert vor allem auf einer überaus großen Anzahl von Interviews mit Franklins Freunden und ihren ehemaligen Kollegen, darüber hinaus wurden Archivmaterialien aus Nachlässen hinzugezogen sowie einige Gegendarstellungen zu Watsons Bericht. Das Buch ist gut lesbar und flott geschrieben, leider etwas zu flott, daher rühren seine Probleme. Mehrfach muss man über offenkundige Widersprüche hinweg lesen, wie etwa: "Als sie den (amerikanischen) Kontinent überquerte, lernte sie viele berühmte Wissenschaftler kennen - Erwin Chargaff, George Gamow, Vladimir Vand, Isidore Fankuchen -, von denen sie einige bereits in Europa getroffen hatte" (218).

Gravierender ist ein Widerspruch, der die ganze Darstellung durchzieht. Über eine Reise, die Franklin 1956 zusammen mit Francis und Odile Crick in Spanien unternahm, heißt es beispielsweise: "Das Ehepaar hatte viel Spaß mit ihr. Über ihr Privatleben wussten sie nichts. 'Aber?, sagte Crick, 'tat das überhaupt jemand??" (239). Privatleben wird gleichgesetzt mit Ehe und Liebesaffären, doch im Fall von Franklin ist nichts darüber in Erfahrung zu bringen. In jedem Kapitel aber wird die Frage danach gestellt und ein möglicher Kandidat ausfindig gemacht, daraufhin folgen Überlegungen, warum es - trotz ihrer Pariser Eleganz - nicht hin und wieder zu einer "Laborromanze" (140) kam. Es ist ein Thema, über das auch viele Gesprächspartner von Maddox fast ein halbes Jahrhundert später noch gerne spekulieren. Der unkritische Umgang mit den in den Interviews geäußerten Erinnerungen befördert einen Klatsch im Stil von "Vogue". Dies wird besonders ärgerlich, wenn Franklins angenommene sexuelle Unerfahrenheit und Ahnungslosigkeit am Beispiel einer versuchten Vergewaltigung während einer Tramp-Tour 1953 in Israel mit einem Zitat kolportiert wird: "Ros hätte gar nicht gewusst, was vergewaltigt werden bedeutet" (209). Auf diese Weise werden letztlich Watsons Diffamierungen neu aufgelegt; zwar erscheint Rosalind Franklin nun als eine gut aussehende und geistreiche Frau, deren Erscheinung gar nicht mehr blaustrümpfig wirkt, aber ihre Weiblichkeit bleibt doch eigenartig und zweifelhaft.

Franklins klare Entscheidung für die Wissenschaft als Beruf und gegen ein Frauenleben, in dem Ehe und Mutterschaft grundlegend sind, kommt nicht in den Blick und auch nicht, dass die Alternative den Wissenschaftlerinnen ihrer Zeit von außen aufgezwungen wurde. In der Frauen- und Geschlechterforschung wird das gesellschaftliche Verhältnis zwischen privat und öffentlich als fundamental angesehen, um die zentralen Konflikte von Wissenschaftlerinnen zu verstehen. Stattdessen erscheint hier ein weiblicher Charakterdefekt: "Rosalind trennte in ganz außergewöhnlichem Maße ihre unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmale. Jene, die die eine Seite kannten, bekamen sehr selten die andere zu sehen" (135). Wenig später heißt es ganz im Gegensatz dazu: "Norma, die Rosalind aus nächster Näher erlebte, bekam einen deutlichen Eindruck ihrer zweischneidigen Persönlichkeit" (145). Damit wird das Leitmotiv von "sol y sombra" (135) oder der "zwei Rosalinds" (246) fortgeschrieben. Rosalind Franklin dagegen registrierte deutlich, dass sie nicht nur als Frau, sondern zudem als Jüdin nur dann als ein volles Mitglied der 'scientific community' anerkannt und auch so behandelt werden würde, wenn sie außergewöhnliche Leistungen aufweisen könnte.

Der zweite Aspekt, dessen Darstellung in dem vorliegenden Buch nicht gelingt, betrifft Franklins jüdische Identität. Zwar wird ihr Vater zitiert, der das Judentum als eine Religionsgemeinschaft feststellt und sich deshalb als ein gleichberechtigter englischer Staatsbürger versteht. Aber unmittelbar darauf wird von genealogischen Familienaufzeichnungen berichtet und geschlussfolgert: "Die intellektuelle Komponente dieser genetischen Erbschaft lag auf der Hand: Die Franklins entstammten einer Linie von Gelehrten und Herrschern" (18). In gleicher Weise zweideutig werden die antisemitischen Vorurteile, denen sich die Juden in England ausgesetzt sahen, behandelt. Die Unschärfe setzt sich fort im Bericht über Franklins Zeit im Paris der Nachkriegszeit, wo sie außer Adrienne Weill, die sie bereits als Flüchtling in Cambridge kennen gelernt hatte, weitere Überlebende der nationalsozialistischen Verfolgung traf. Die selbstbewusste Jüdin und wohl behütete Tochter aus London, die sich zusammen mit anderen aus ihrer Familie für die Flüchtlingshilfe eingesetzt hatte und die Nachrichten über NS-Verbrechen mit Entsetzen wahrnahm, kam in einen Kreis, in dem viele noch vorrangig damit beschäftigt waren "herauszufinden, wer am Leben und wer tot war" (90).

Vor diesem Hintergrund ist auch ihre Beziehung zu Jacques Méring zu sehen, ihrem dortigen Chef und Lehrer. Er war russisch-jüdischer Herkunft, Mitglied der kommunistischen Partei und hatte den Krieg in Grenoble verbracht, wohin das französische Verteidigungsministerium seine Forschungsabteilung ausgelagert hatte. Maddox interpretiert das Verhältnis folgendermaßen: "Méring war bekanntermaßen verheiratet - das heißt irgendwo in seiner Vorkriegsvergangenheit gab es eine Ehefrau, die aber nicht unmittelbar in Erscheinung trat" (97). Er habe sie "magisch angezogen", doch seine Nachlässigkeit, diese Dinge zu regeln, habe die "puritanische" (97) Rosalind Franklin in ein "grausames Dilemma" (97) gestürzt. Noch lange habe sie "im Banne des charismatischen Méring" (141) gestanden. Die Zusammenarbeit von Franklin und Méring wird mit sexuellen Anspielungen und Stereotypen aufgeladen, wenn etwa er als "französischer Charmeur" (97) und sie mit "leuchtenden Augen" (97) beschrieben wird, und die historische Situation ihrer Begegnung reduziert sich auf Bilder von Paris, die aus einem Reiseprospekt stammen könnten (vergleiche 91). Zugrunde liegt ein völliges Unverständnis gegenüber dem Band eines Schuldgefühls und dem zugleich bestehenden Riss in der Erfahrung zwischen denen, die keine Opfer waren und dennoch dem Kollektiv der vom deutschen Nationalsozialismus Verfolgten angehörten, und denen, die das NS-Regime überlebt hatten.

Auffallend viele von Franklins Freunden und von den Kollegen, mit denen sie gerne zusammenarbeitete, waren jüdischer Herkunft. So auch Aaron Klug, ihr Mitarbeiter in der Zeit am Birbeck College, der die gemeinsame Arbeit nach ihrem Tode fortsetzte und der 1982, als ihm der Nobelpreis verliehen wurde, mit großer Achtung von ihr sprach. Wie er waren Franklins Freunde und Kollegen weder religiös noch politisch dem Zionismus nahe stehend, dennoch bedeutete ihr Judentum mehr als eine Sache von Familientradition. Die Frage, die zu stellen wäre, richtet sich auf die Folgen, die mit dem historischen Ereignis des nationalsozialistischen Genozids für das Ziel jüdischer Gleichberechtigung überhaupt gesetzt waren. Die Wissenschaftsgeschichte berücksichtigt die spezielle Situation jüdischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in der Zeit während des Zweiten Weltkriegs und nach der Shoah lediglich am Rande und erfasst daher ein gemeinsames Moment in der offiziellen Erinnerung der beiden großen wissenschaftlichen Entdeckungen jener Zeit, der Kernspaltung und der DNA-Struktur, das zur Diskriminierung der beteiligten Frauen entscheidend beitrug, nur unzureichend (wie sich dies im Fall der Kernphysik darstellt, hat Ruth Sime in "Lise Meitner. Ein Leben für die Physik" herausgearbeitet).

In dem vorliegenden Buch von Maddox findet sich eine Reihe schöner Bilder von Rosalind Franklin aus den verschiedenen Abschnitten ihres Lebens. Aber leider enthält es kein Verzeichnis ihrer Schriften und auch kein zusammenfassendes Verzeichnis der Literatur, die über sie verfasst wurde. Die Übersetzung ist nachlässig, etwa wird zu dem Fachbegriff "monochromatisch" in Klammern als Erklärung "einfache Wellenlänge" (89) angefügt, was ein sinnloser und verwirrender Kommentar ist. Auf einer Reise nach Kroatien unternahm Franklin eine Besteigung des Triglav in den "Julianischen Alpen" (214), die in deutschen Atlanten jedoch als Julische Alpen verzeichnet sind. Zum unvorsichtigen Umgang mit Röntgenstrahlen wird ein Kommentar von Louise Heller zitiert, die auf dem "Gebiet der Gesundheitsphysik bei der Atomenergieeinrichtung der Vereinigten Staaten" (139) tätig sei. Um dem Rätsel dieses Fachgebiets auf die Spur zu kommen, wird man wohl die englische Ausgabe befragen müssen.

Franklins Entschlossenheit zur Wissenschaft und zur Unabhängigkeit des Denkens ermöglichten es ihr, in der wenigen Zeit, die sie zur Verfügung hatte, ein hervorragendes und bleibendes Werk zu schaffen. Um ihre Motivation und ihre Eigenwilligkeit zu verstehen, ist das Buch "Rosalind Franklin und DNA", das Anne Sayre in Erinnerung an ihre Freundin schrieb und in dem sie sich ausführlich mit Watsons Diffamierungen auseinander setzt, nach wie vor unbedingt lesenwert, wenn auch Maddox einiges an neuen Details über Franklins Biografie mitteilen kann. Jenes Buch aber, das ihrem "komplexen, erfolgreichen und aktiven Leben" in seiner Gesamtheit gerecht wird, ist noch zu schreiben. Ich hoffe deshalb, dass das Buch von Brenda Maddox dazu anregen wird.

Rezension über:

Brenda Maddox: Rosalind Franklin. Die Entdeckung der DNA oder der Kampf einer Frau um wissenschaftliche Anerkennung. Aus dem Englischen von Conny Lösch, Frankfurt/M.: Campus 2003, 308 S., 30 s/w-Abb., ISBN 978-3-593-37192-4, EUR 24,90

Rezension von:
Elvira Scheich
Institut für Gesellschaftswissenschaften und historisch-politische Bildung, Technische Universität Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Elvira Scheich: Rezension von: Brenda Maddox: Rosalind Franklin. Die Entdeckung der DNA oder der Kampf einer Frau um wissenschaftliche Anerkennung. Aus dem Englischen von Conny Lösch, Frankfurt/M.: Campus 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 2 [15.02.2004], URL: https://www.sehepunkte.de/2004/02/3094.html


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