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Michael Hochedlinger: Krise und Wiederherstellung. Österreichische Großmachtpolitik zwischen Türkenkrieg und "Zweiter Diplomatischer Revolution" 1787-1791 (= Historische Forschungen; Bd. 65), Berlin: Duncker & Humblot 2000, 520 S., ISBN 3-428-10023-9, DM 168,00

Rezensiert von:
Max Plassmann
Universitätsarchiv, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf

Michael Hochedlinger hat mit seiner Dissertation zweifellos eine Arbeit vorgelegt, die noch lange als Standardwerk von jedem zur Hand genommen werden wird und werden muss, der sich mit der österreichischen Außenpolitik und dem europäischen Mächtesystem zur Zeit der Französischen Revolution beschäftigt.

Das zu besprechende Buch stellt allerdings nur einen Teil der äußerst umfangreichen Dissertation dar, die insgesamt aufgesplittet auf drei verschiedene Druckorte erscheinen wird. Dies ist zu bedauern, erschwert es doch den Zugang zum Gesamtwerk. Der vorliegende Band widmet sich der österreichischen Großmachtpolitik in den Jahren 1787 bis 1791, die durch den Türkenkrieg, den scharfen Gegensatz zu Preußen und die Französische Revolution geprägt waren. Die Habsburgermonarchie erwies sich trotz - oder zumindest teilweise auch gerade wegen - der josephinischen Reformen in dieser Zeit als gefährdete Großmacht, die der Konfrontation mit allen drei Problemkreisen eher schlecht als recht gewachsen war, am Ende aber dennoch zu einer Konsolidierung kam.

Frankreich fiel als Bündnispartner vor und während der Revolution aus, was das Kaunitzsche Bündnissystem von 1756 ins Wanken brachte. Damit fehlte auch der Rückhalt, den Frankreich während des Länderschachers zwischen Russland, Preußen und Österreich um polnische und osmanische Gebiete den Habsburgern hätte gewähren können. Das russische Bündnis, das zu einem Eintritt Österreichs in den Türkenkrieg geführt hatte, erwies sich ebenfalls als wenig hilfreich. Überdies drohte ein Zweifrontenkrieg gegen die Osmanen und die auf polnische Gebiete spekulierenden Preußen, den man nicht führen zu können glaubte, zumal die Habsburger mit ihren aufständischen belgischen Besitzungen in einen weiteren Konfliktherd am Rande der Französischen Revolution hineingezogen wurden, ganz zu schweigen von den ungarischen Unabhängigkeitsbestrebungen und den Verwicklungen der Reichspolitik, die bei Hochedlinger allerdings eher stiefmütterlich behandelt werden. Auch der zweimalige Herrscherwechsel in kurzer Zeit (Joseph II., Leopold II.) hat nicht zur Stabilität der Habsburgermonarchie beigetragen.

Die demütigende Konvention von Reichenbach und der Friede von Sistowa markierten schließlich die Höhepunkte der Staatskrise, die u.a. durch einen Wechsel des Bündnissystems überwunden wurde. Die "Erbfeindschaft" zu Preußen, die ein halbes Jahrhundert eine Konstante der österreichischen Politik gewesen war, wurde in einer zweiten diplomatischen Revolution aufgegeben, so dass man sich fortan gemeinsam gegen die neue Bedrohung im europäischen Staatensystem, das wieder erstarkende und bald expansive Frankreich, wenden konnte. Der greise Kaunitz erlebte noch den Untergang seines Systems, das gemeinsam mit seinem Schöpfer von den Ereignissen überholt worden war.

Hochedlinger stellt die außenpolitischen und diplomatischen Vorgänge dieser krisenhaften Zeit minutiös und auf der Grundlage breitester Quellenstudien dar. Ein Literaturverzeichnis von etwa 45 Seite Länge zeugt überdies von der intensiven Berücksichtigung bisheriger Forschungen.

Doch nicht allein derjenige, der sich über den Gang der Diplomatie informieren will, wird bei Hochedlinger fündig. Auf etwa 40 Seiten stellt er die institutionellen Voraussetzungen außenpolitischen Handelns des Wiener Hofes dar, nämlich Aufbau und Kompetenzen von Beratungsorganen des Kaisers und von Behörden sowie die Technik des diplomatischen Verkehrs und der Kommunikation mit Gesandten. Wertvoll ist auch eine biographische Zusammenstellung des Personals der Geheimen Hof- und Staatskanzlei und der Reichshofkanzlei im behandelten Zeitraum (61-64). Auch die Entwicklung des europäischen Mächtesystems in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sowie die geostrategische Lage der Habsburgermonarchie werden als Voraussetzungen und Hintergrund der österreichischen Außenpolitik skizziert.

Insgesamt hat das Werk den Charakter eines diplomatiegeschichtlichen Handbuchs. Dem möglichen Einwand, dass Diplomatiegeschichte nicht mehr zeitgemäß sei, begegnet Hochedlinger in der Einleitung, in der er den Wert einer "thick description" außenpolitischer Vorgänge hervorhebt. Trotz aller Bemühungen früherer Forschergenerationen sei in vielen Bereichen die Basis des Faktenwissens noch so gering und lückenhaft, dass ohne eine exakte Untersuchung der Vorgänge die Basis für weitreichende Deutungen des Geschehens fehle (17). Dem Autor ist hierin sicher zuzustimmen, und ihm ist dafür zu danken, dass er den mühevollen Weg einer "thick description" gegangen ist, die so manche Wissenslücke schließt. Allzu leicht geht die Forschung den einfacheren Weg, abgehoben von der Basis jeder seriösen historischen Analyse, von den Quellen nämlich, um Strukturen und langfristige Entwicklungen beschreiben zu wollen.

Leider bleibt es jedoch in diesem Teilband von Hochedlingers Dissertation bei der Beschreibung. Nutzt man das Werk nicht als Handbuch, sondern unterwirft man sich der Mühe, es tatsächlich ganz zu lesen, so bleibt man am Ende ratlos, denn es fehlt eine Zusammenfassung, die die gewonnenen Einzelergebnisse bündelt und in ein Gesamtbild der österreichischen Außenpolitik einordnet. Dieses Manko wird hoffentlich der angekündigte Folgeband beheben.

Die Benutzbarkeit der Arbeit wird überdies durch zwei Umstände erschwert: Zum einen ist nur ein Personenregister vorhanden, während Sach- und Ortsindices leider fehlen. Dies mag mit dem Umfang der Arbeit entschuldigt werden, zumal der klar gegliederte Aufbau des Buches zu den einzelnen Problemkreisen einen relativ schnellen Zugang bietet. Schwerwiegender wirkt sich jedoch die Zitierweise Hochedlingers aus. Er nutzt fast ausschließlich Sammelanmerkungen, die Archivalien und Literatur zu ganzen Abschnitten anführen. Dies entlastet zwar den laufenden Text, aber selbst bei wörtlichen Zitaten wird oft nicht deutlich, aus welchem der vielen, zumeist ohne Folioangabe angeführten Schriftstücke sie entnommen sind. Hochedlingers Argumentation wird dadurch bisweilen schwer überprüf- und nachvollziehbar.

Doch dieser Mangel kann nicht dazu führen, das Werk negativ zu beurteilen. Der Verfasser löst seinen Anspruch, eine dichte Beschreibung der österreichischen Außenpolitik zu liefern, in vorbildhafter Weise ein.

Empfohlene Zitierweise:

Max Plassmann: Rezension von: Michael Hochedlinger: Krise und Wiederherstellung. Österreichische Großmachtpolitik zwischen Türkenkrieg und "Zweiter Diplomatischer Revolution" 1787-1791, Berlin: Duncker & Humblot 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 1, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=89>

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