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Joachim Castan: Hochschulwesen und reformierte Konfessionalisierung: Das Gymnasium illustre des Fürstentums Anhalt in Zerbst 1582-1652 (= Studien zur Landesgeschichte; Bd. 2), Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag 1999, 300 S., ISBN 3-89812-016-3, DM 50,00

Rezensiert von:
Markus Friedrich

Die anzuzeigende Osnabrücker Dissertation - leider fehlen Hinweise auf Betreuer/In und Fachbereich der Arbeit - von Joachim Castan hat sich der Erforschung einer mittleren Bildungsinstitution im Reich der Frühen Neuzeit angenommen, des Gymnasiums Illustre in Zerbst. Auf Grund neu- bzw. wiederentdeckter Aktenbestände wird eine umfassende Geschichte der Einrichtung angestrebt ("integrativer Ansatz", 25). Dazu gliedert Castan sein Material in sechs Teile, die - neben Einleitung und Zusammenfassung - den "konfessionellen und territorialen Rahmen", die "Geschichte des Gymnasium illustre", die "Struktur der Hochschule" und schließlich "Lehrangebot und Methode" in den Blick nehmen wollen. Das Gymnasium zu Zerbst erscheint als Bildungseinrichtung mittleren Niveaus, die trotz gelegentlicher "Visionen" (106-111) niemals ernsthaft an das Format einer Volluniversität herangeführt werden konnte.

Fast die Hälfte der Arbeit ist einer im Detail bemerkenswerten, insgesamt jedoch ermüdenden Geschichte der Schule und der politisch-territorialen Rahmenbedingungen gewidmet. 1582 gegründet, war Zerbst zunächst eine Hochburg des Philippismus, die nach der Vertreibung der sächsischen Philippisten weiteren Zulauf erhielt (Caspar Peucer). Verschiedene institutionelle und wirtschaftliche Probleme begleiteten die Einrichtung von Anfang an, ohne dass im bis 1652 reichenden Untersuchungszeitraum hierfür Abhilfe geschaffen worden wäre. Ohnehin - dies ist ein bemerkenswertes Ergebnis - beurteilt Castan das Engagement des anhaltinischen Fürstenhauses für die fürstlich gegründete Hochschule als zurückhaltend bzw. ambivalent. Exemplarisch ist dafür die Hochschuldruckerei, der eine wirtschaftliche Entfaltung strukturell unmöglich gemacht worden sei (204-213). Ausführlich diskutiert werden die "Landesteilung von 1603 und ihre Folgen für die Hochschule", die insgesamt gravierend waren (86-96). Eine zentrale Herausforderung für die Hochschule Zerbst war das zunehmende Eindringen des Calvinismus. Castan kann überzeugend darlegen, dass sich die zumeist noch philippistisch geprägten Lehrer recht erfolgreich gegen die Einführung der neuen Konfession durch M.F. Wendelin seit 1611 gewehrt haben. Schließlich der Dreißigjährige Krieg, dessen Auswirkungen dem Zerbster Gymnasium streckenweise fast die endgültige Schließung gebracht hätten. Insgesamt schwankte das Gymnasium Zerbst zwischen guten Ausgangsbedingungen, heftigen Krisen, strukturellen Defiziten und verschiedenen Wiederbelebungsbemühungen hin und her.

Auch hinsichtlich der schulischen Institutionen bietet Castan viele beachtenswerte Details, etwa durch den Verweis auf den Betrieb einer eigenen Mensa (199-204) oder auf die Auseinandersetzung um den rechtlichen Status einer Schule, die zwar zumindest partiell Hochschulcharakter haben sollte, aber gerade juristisch weit von universitärem Status entfernt war (161-169). Die Untersuchung der Professoren und Studenten fördert Hinweise zu Professorenkarrieren, zur regionalen Ausrichtung der Studenten (v.a. eine europaweite Anziehungskraft von Zerbst vor der Etablierung einer reformierten Hochschule in Frankfurt/Oder), zur durchschnittlichen Verweildauer der Immatrikulierten (ein Viertel bis ein Drittel aller Studenten blieb "5 bis 10 Jahre" dort!) und weitere Einzelheiten zu Tage. Die Analyse des Lehrangebots schließlich gibt einen Überblick über behandelte Themen und Bücher in allen vier vertretenen 'Fakultäten', ehe Castan sich einer ausführlichen Einlassung auf das Ramismus-Problem zuwendet (277-292). Diesbezüglich kann Castan den Fall Zerbst als ein weiteres Beispiel dafür etablieren, wie heftig um 1600 über die Einführung dieser Methode und ihre Erweiterung zum ‚Philippo-Ramismus' diskutiert wurde. Am Ende ergibt sich, dass der Ramismus nicht als herrschende Lehre etabliert werden konnte, obwohl gerade der Rektor Wendelin darauf hinarbeitete.

Angesichts der bisher erwähnten und weiterer zahlreicher Einzelheiten, die Castan vorstellen kann, gibt es keinen Grund, an der umfassenden zukünftigen Beachtung seiner Arbeit zu zweifeln. Wer immer sich materialgesättigte Einsichten in die Zustände frühneuzeitlicher Bidlungsinstitutionen verschaffen möchte, zumal solcher unterhalb universitären Niveaus, wird gut beraten sein, das Buch heranzuziehen. Doch damit ist noch nicht gesagt, dass auch die Darstellung und Interpretation Castans in allen Aspekten zu überzeugen vermag. So ist gerade in den Teilen zur Geschichte des Territoriums und der Schule eine gewisse Redundanz störend. Beispielsweise muß der Leser mehrfach Abschnitte lesen, in denen der allmähliche Übergang des "Fürstenhauses ins Reformiertentum" beschrieben wird (nochmals 72). Zu wenig scheint mir zudem die Seite des Fürstenhauses überhaupt in den Blick zu kommen, seine Sicht auf die Schule. Fürstliche Räte etwa kommen nur ausnahmsweise aus den Quellen zur Sprache.

Hinzu kommt andererseits eine bedauernswerte Knappheit bei der Ausarbeitung anderer, wichtiger Themen. Die - ganz zurecht als zentral herausgestellte - "Calvinismus- und Philippismus-Problematik" scheint mir allzu kurz ausgeführt zu sein (27-32, später noch passim). So ergibt sich, dass der Unterschied nur an zwei dogmatischen Fragen (Prädestination und Abendmahlslehre) festgemacht wird. Die Chance, die beiden Strömungen am Zerbster Beispiel weiter zu profilieren - etwa in sozialer, (universitäts-)politischer, intellektueller Hinsicht - wird kaum genutzt, zu erwähnen wäre allenfalls die unterschiedliche Handhabung akademischer Zucht (169-178). Zudem erfolgt eine Integration der Zerbster Professorenschaft in den deutschen oder gar europäischen Kontext kaum (wo Zerbst mit dem 'zeitgenössischen Standard' verglichen wird, ist dieser in sehr vielen Fällen allein durch den grundlegenden, aber stark raffenden Handbuchartikel Arno Seiferts repräsentiert). Besonders auffällig ist dies im letzten Teil der Arbeit, in dem das Lehrangebot nur auf die institutionellen Bedingungen Zerbstens (keine dauerhafte juristische Professur, Marginalität der Medizin etc.) bezogen wird. Das Lehrangebot erscheint nach Lektüre der einschlägigen Seiten dagegen ohne intellektuelle Konturierung - abgesehen vom wenig überraschenden Ergebnis, dass melanchthonisch-humanistische Traditionen auch hier wirksam waren. Die literarische Produktion der Professoren bleibt fast völlig ohne Analyse. Die Chance, Georg Bersmanns Rolle als Philologe an Hand seiner Editionen zu analysieren, bleibt ebenso ungenutzt wie die Möglichkeit, Marcus Friedrich Wendelins Theologie vorzustellen. Gerade zwei, fast ausschließlich aus älterer Sekundärliteratur (v.a. aus Gaß) gearbeitete Seiten sind ihm gewidmet. Wo, wenn nicht an seinem Beispiel, hätte die Möglichkeit bestanden, zumindest einen Zerbster Lehrer ausführlich und mit europaweitem Bezug zu würdigen? Umso mißlicher, als Castan mitteilt, dass sich ein Vorlesungsmanuskript Wendelins erhalten hat (aus dem offenbar seine Dogmatik hervorging, 264). Leider wird auch darauf kein weiteres Wort verwendet, obwohl ein Vergleich durchaus interessante Ergebnisse hätte zeitigen können. Auch bisher unentdeckte Briefwechsel Peucers über das kopernikanische Weltbild finden lediglich knappste Erwähnung (255f.). Zudem ist mißlich, dass zwar der Zerbster Lektürekanon rekonstruiert wird, sich seine 'Analyse' aber zumeist auf knappe Inhaltsangaben der antiken (!) Referenztexte beschränkt (z.B. 239-246 mit unverhältnismäßig reichen Literaturangaben zur Antike). Ein Vergleich mit dem Kanon anderer Schulen unterbleibt. Auch in diesem Abschnitt finden sich selbstredend interessante Einzelheiten, etwa die Bemerkung, dass in Zerbst offenbar keine Musik gelehrt wurde. Auch die Bemerkungen zum Stand der Hebräischlehre interessieren. Doch insgesamt hätten - an den Arbeiten Schindlings und Menks gemessen - hier weitere Möglichkeiten bestanden.

Dass der fehlende Vergleich mit anderen Institutionen gelegentlich zu Einseitigkeiten führt, sei zuletzt aufgezeigt. Gegen - den mit dem Rezensenten nicht verwandten - Arnd Friedrich wird explizit auf einem Zusammenhang zwischen Calvinismus und Ramismus beharrt (290-293). Gewiss, Castan kann ein Zerbster Zeugnis anführen, das Ramismus den Calvinisten zuordnet. Freilich gibt er selbst zu, dass es sich dabei um eine Wahrnehmung handele, über deren 'Berechtigung' er nicht urteilen wolle (292). Ob damit der Schluss gerechtfertigt ist, dass "das konfessionelle Element auch beim Streit um den Ramismus eine zwar unterschwellige, aber doch maßgebliche Rolle spielte" (290), ist fraglich. Schon ein Blick in Henkes nach wie vor maßgebendes Buch über Helmstedt hätte gezeigt, dass auch an dieser Universität eine starke pro-ramistische, aber eben dezidiert (gnesio)lutheranische Fraktion existierte (Pfaffrad; in Hannover, aber von Helmstedt ausgehend, auch St. Buscher)!

So muss insgesamt fraglich bleiben, ob die Studie von Castan in der Lage ist, die durch ihr aufschlußreiches und beachtenswertes Material aufgeworfenen bzw. artikulierten Probleme der frühneuzeitlichen Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte auch zu beantworten. Das Fehlen eines Registers sowie etliche grammatikalische Unstimmigkeiten und fehlende Worte unterstützen den ambivalenten Eindruck bei der Lektüre des Buches.

Empfohlene Zitierweise:

Markus Friedrich: Rezension von: Joachim Castan: Hochschulwesen und reformierte Konfessionalisierung: Das Gymnasium illustre des Fürstentums Anhalt in Zerbst 1582-1652, Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag 1999, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 1, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=84>

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