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Rainer Berndt (Hg.): Petrus Canisius SJ (1521-1597). Humanist und Europäer (= Erudiri Sapientia. Studien zum Mittelalter und zu seiner Rezeptionsgeschichte; Bd. 1), Berlin: Akademie 2000, 500 S., ISBN 3-05-003493-9, DM 168,00

Rezensiert von:
Peter Arnold Heuser
Bonn

Die Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen veranstaltete im September 1997 aus Anlass der 400. Wiederkehr des Todestages des heiligen Petrus Canisius, des ersten deutschen Jesuiten, ein internationales Symposion in Frankfurt am Main. Die angezeigte, von Ordensgeneral Peter-Hans Kolvenbach SJ und Rainer Berndt SJ eingeleitete Publikation sammelt die Tagungsbeiträge und eröffnet zugleich eine neue Schriftenreihe "Erudiri Sapientia. Studien zum Mittelalter und zu seiner Rezeptionsgeschichte", die das Frankfurter Hugo-von-Sankt-Viktor-Institut herausgibt.

Die Beiträge verteilen sich in lockerer Form auf drei Sektionen. Sektion 1 ("Humanistisches Erbe und zeitgenössische Bildung") umfasst sieben Beiträge, die sich der Themenstellung nur zum Teil unterordnen: Karl Otmar Freiherr von Aretin untersucht die Haltung des Canisius zum Religionsfrieden im Reich, Norbert Brieskorn SJ geht den Spuren römisch-katholischen Rechtsdenkens im frühen Jesuitenorden nach. Luce Giard fragt, warum Canisius nur schwach an der Ausarbeitung der jesuitischen "Ratio studiorum" partizipierte. Notker Hammerstein referiert über Staatsanschauungen des 16. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der Konfessionalisierung Europas. Josef Lössl studiert das Aufeinandertreffen von konfessioneller Theologie und humanistischem Erbe am Beispiel der Auswahledition der Hieronymusbriefe, die Canisius im Jahre 1562 vorlegte. Fidel Rädle bewertet Canisius als lateinischen Autor. Hermann Josef Sieben SJ berichtet über die Patristik im Jesuitenorden von Canisius bis Fronton du Duc.

Die zweite Sektion - "Europa in seinen Regionen und die Krise der antiqui und moderni" - umgreift ebenfalls ein breites Themenspektrum. Anne Conrad berichtet über die frühen Wohltäterinnen und Stifterinnen der Societas Iesu, über die semireligiösen Frauenvereinigungen im Umfeld des Ordens und über den Anteil von Frauen am jesuitischen Bildungswesen. José María Iñurrítegui Rodríguez studiert die kontroversliterarischen Aktivitäten in der oberdeutschen Ordensprovinz zur Zeit des Canisius. Michael Maurer berichtet über die Grundlegung eines europäischen Bewußtseins im Konfessionellen Zeitalter 1555-1648. Rainer A. Müller beschreibt die Canisianische Kollegienpolitik, Stanislaw Obirek SJ den Beitrag, den Canisius zur Erneuerung des Katholizismus in Polen leistete. Thomas M. Lucas SJ analysiert die Ausbreitungsstrategie des Ordens, die auf die urbanen Zentren und Residenzen zielte.

Die dritte Sektion widmet sich unter der Überschrift "Die Sendung der Gesellschaft Jesu nach Deutschland" dem Hauptarbeitsfeld des Canisius im römisch-deutschen Reich. Paul Begheyn SJ informiert über die Entstehung der klassischen Edition der Canisius-Briefe von Otto Braunsberger SJ (1850-1926) und über den Stand der Arbeiten an einem Supplementband, den Begheyn und Vincent Hunink erarbeiten. Rita Haub berichtet über das spirituelle Testament des Petrus Canisius, dessen vollständige Fassung sie 1996 im Archiv der Oberdeutschen Ordensprovinz der Jesuiten in München entdeckte. Barbara Hallensleben studiert als Dogmatikerin die Einstellung des Canisius zu Personen und Gruppen, die außerhalb der römischen Kirche standen. Hans Pörnbacher berichtet über den Einfluss des Jesuitenheiligen auf die frühe deutsche Barockliteratur. Klaus Schatz SJ untersucht Loyalitätskonflikte bei den ersten Jesuiten in Deutschland; Michael Sievernich SJ studiert das theologische Kompositionsprinzip der Katechismen von Martin Luther und Canisius.

Eine 65seitige Bibliographie schließt den Band ab und ermöglicht einen schnellen Überblick über die Literatur zur Geschichte des Jesuitenordens im 16. Jahrhundert. Register der Bibelstellen und der Personen erleichtern die Orientierung innerhalb des Bandes.

Gelegentliche Fehlleistungen der Beiträger reichen vom entstellenden Schreibfehler - wenn etwa der Nuntius Aleander zum "Nuntius Alexander" wird (48) - über terminologische Ungenauigkeiten - wenn etwa Ferdinand I. als "römischer Kaiser" und nicht als römischer König den sogenannten "geistlichen Vorbehalt" erließ (27) - bis zu einigen gravierenden Fehlurteilen. Herausgegriffen sei Brieskorns Formulierung, dass sich "überhaupt erst" im 16. Jahrhundert eine Wissenschaft vom römischen Recht herausgebildet habe (66). Es geht nicht an, der mittelalterlichen Romanistik der Glossatoren und der Kommentatoren die Wissenschaftlichkeit abzusprechen. Der positive, solide Gesamteindruck wird durch solche Ausrutscher aber in keiner Weise getrübt.

Wenn Canisius bereits im Buchtitel als ein Humanist apostrophiert wird, so bedarf das jedoch der kritischen Reflexion. Jesuitengeneral Kolvenbach vertritt diese Zuschreibung in seiner einleitenden Ansprache "Petrus Canisius SJ (1521-1597): Humanist und Europäer" ebenso wie der Herausgeber Rainer Berndt SJ, der Canisius als "Humanist dank seiner Herkunft und Ausbildung" (22) bezeichnet. Immerhin äußern sich die Beiträger differenzierter. Der Literaturwissenschaftler Fidel Rädle beispielsweise bezeichnet Canisius geradeheraus als "Antityp des humanistischen Literaten" (167). Canisius war in seinen Augen "zwar ein begabter Lateiner, aber von Geblüt keineswegs ein Humanist" (Rädle in: Notker Hammerstein / Gerrit Walther (Hg.): Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche, Göttingen 2000, 136). Hans Pörnbacher formuliert, dass Canisius "eher aus den Quellen der Devotio moderna getrunken hat als aus denen des Humanismus" (366). Die Begriffsverwirrung ist bezeichnend. Sie zeigt, dass das Verhältnis der Societas Iesu zum Renaissancehumanismus nicht hinreichend geklärt ist.

Der Jesuitenorden erkannte früh, dass die Pflege der Humaniora unerlässlich war, um gegenüber dem konfessionellen Gegner zu 'punkten' und Ansehen bei den territorialen und städtischen Eliten zu gewinnen, deren Unterstützung der Orden zielbewusst suchte. Die Jesuitenschulen griffen deshalb die philologischen Errungenschaften des Humanismus gezielt auf. Trotzdem bleibt zu beachten, dass die Humaniora im Orden im Dienst einer Philosophie und einer Theologie standen, die durch Neuthomismus und spanische Spät- bzw. Neuscholastik geprägt waren, also gerade nicht humanistisch sind. Rainer A. Müller bezeichnet die Jesuitenkollegien des 16. und 17. Jahrhunderts treffend als "Bildungsanstalten sui generis, in denen Humanismus, spätscholastische Theologie und reformstrenge Spiritualität eine bemerkenswerte Symbiose eingingen" (262). Das jesuitische Bildungswesen war nach Müller ein "compositum mixtum aus scholastischen Traditionen, humanistischem Bildungsgut und reformpädagogischen Konzepten" (272).

Ulrich Muhlack hat kürzlich einen Weg aus der Begriffsverwirrung vorgeschlagen, der auch in Hinsicht auf den Jesuitenorden bedenkenswert erscheint. Im genannten "Späthumanismus"-Band von Hammerstein und Walther wirbt Muhlack für eine Unterscheidung "zwischen der humanistischen Auslegungsweise als einer bestimmten Denkfigur und dem Humanismus als einer selbständigen Bewegung, die diese Auslegungsweise und damit diese Denkfigur programmatisch verkündet" (177). Während die humanistische Auslegungsweise und der philologische Standard der Humanisten bis ins 18. Jahrhundert hinein wirkten, endete die humanistische Bewegung, die diese Denkfigur propagierte und durchsetzte, nach Muhlacks Ansicht mit Reformation und Gegenreformation. Mit der Indienstnahme des humanistischen Bildungskonzepts für eine scholastisch geprägte Philosophie und Theologie, wie sie für das jesuitische Bildungswesen charakteristisch ist, befindet man sich - um mit Muhlack zu sprechen - "deutlich jenseits der Demarkationslinie" (177) der humanistischen Bewegung, wenngleich "das humanistische Bildungskonzept" fortwirkte und "endgültig zur humanistischen Auslegungskunst in neuen weltanschaulichen Zusammenhängen" wurde (178).

Der angezeigte Band sei allen empfohlen, die sich solide und auf hohem Niveau über die Geschichte der Gesellschaft Jesu im 16. Jahrhundert informieren möchten.

Empfohlene Zitierweise:

Peter Arnold Heuser: Rezension von: Rainer Berndt (Hg.): Petrus Canisius SJ (1521-1597). Humanist und Europäer, Berlin: Akademie 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 1, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=83>

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