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Jürgen Strothmann (Bearb.): Westfalen und Europa im 17. Jahrhundert. Die Chronik des Adolff Wilhelm Moerbecke zu Stevening 1633 - 1672 (= Westfälische Quellen und Archivpublikationen; Bd. 22), Münster: Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Westfälisches Archivamt 2000, 383 S.

Rezensiert von:
Ralf-Peter Fuchs
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Das Fürstbistum Münster, das Heilige Römische Reich, Europa: Bereits ganz am Anfang der Chronik des Adolff Wilhelm Moerbecke überlagern sich die räumlichen Bezüge. Die Schilderung der Ereignisse beginnt im Jahre 1633 mit der Einquartierung hessischer Truppen im münsterischen Gebiet. Der Verfasser war sich jedoch der Tatsache durchaus bewußt, daß diese Vorgänge in einen großen "Schwedischen Krieg" einzuordnen waren, der auf den militärischen Einfall Gustav Adolfs ins Reich "dor behulp van vele der Dutschen vorsten, rycks- en anseesteden" (75) im Jahre 1630 zurückging.

Durch die vom Westfälischen Archivamt vorgelegte Edition ist der historischen Forschung eine wichtige Quelle zugänglich gemacht worden, die uns zum Teil über bislang unbekannte Einzelheiten der Kriegsereignisse des 17. Jahrhunderts im niederrheinisch-westfälischen Raum unterrichtet. Ihre Relevanz geht jedoch noch darüber hinaus. Zwar war die Chronik ursprünglich als kurze Darstellung ("kort verhael") des Kriegsverlaufs im Fürstbistum konzipiert worden. Bei der Fortführung der vermutlich in den 1640er Jahren begonnenen Niederschrift gewannen weitere historische Schauplätze jedoch zunehmend an Bedeutung. Moerbecke berichtet mit Blick auf das Fürstbistum und die Nachbarterritorien über Ereignisse im Dreißigjährigen Krieg, im sogenannten Düsseldorfer Kuhkrieg, in den kriegerischen Konflikten zwischen dem Landesfürsten Christoph Bernhard von Galen und der Hauptstadt seines Territoriums sowie zwischen dem Fürstbistum und den Niederlanden. Darüber hinaus informiert er den Leser über weitere Kriege der 1650er bis in die 1670er Jahre, u.a. den Schwedisch-Bremischen Krieg, den Schwedisch-Dänischen Krieg und den Englisch-Niederländischen Krieg. Schließlich sind einige Exkurse zur Englischen Revolution und zur späteren Restauration des Königtums von besonderem Interesse.

Über die im Rijksarchief Zwolle befindliche Handschrift, die nahezu vollständig von Jürgen Strothmann transkribiert worden ist, erschließen sich damit auch die beträchtlichen Möglichkeiten eines im niederländisch-westfälischen Grenzraum lebenden Adeligen, sich mit Nachrichten zu versorgen. Wie Strothmann ausführt, griff der in Haus Stevening bei Ahaus lebende Moerbecke vornehmlich auf die in großer Zahl erscheinenden gedruckten "Zeitungen" zurück. Die bekanntesten, das "Theatrum Europaeum" sowie das "Diarium Europaeum", können dabei weitgehend als Informationsquelle ausgeschlossen werden. Moerbecke bezog sein Wissen aus anderen "Zeitungen", die er nicht namentlich erwähnt. Dabei war er bestrebt, diese Nachrichten möglichst originalgetreu in seine Chronik einfließen zu lassen.

Strothmann ist daher beizupflichten, daß es sich bei der Chronik kaum um ein Ego-Dokument handelt. Dennoch ist die Bedeutung auch für einen an wahrnehmungsgeschichtlichen Fragestellungen interessierten Historiker nicht zu unterschätzen. Sie tritt im gelegentlichen Abweichen vom Tenor des reinen Berichtens zutage, etwa bei der Bewertung des Prozesses gegen Karl I. von England. Moerbecke kann und will nicht verhehlen, daß er die Enthauptung des Königs sowie die Inbesitznahme königlichen Gutes durch die Revolutionäre als Ungeheuerlichkeiten betrachtet (234). Ebensowenig verbirgt er seine Sympathie für den 1660 nach England zurückkehrenden Karl II., dem er eine glückliche und langandauernde Regierung wünscht (286). Darüber hinaus werden die Friedensverhandlungen und -verträge von 1648 kommentiert: In den Berichten über das Jahr 1645 ist der Wunsch Moerbeckes zu lesen, Gott möge dem bereits 26 Jahre andauernden grausamen Krieg im Reich ein Ende setzen (147). Auch weist der Chronist im Jahre 1648 auf verbreitete Skepsis gegenüber den Verhandlungen zwischen Spanien und den Niederlanden hin: "Tegen die opinie van velen" (183) sei es nach 80 Jahren zum Friedenschluß gekommen. Nur wenige Jahre später, 1651, bringt der Autor - einem verbreiteten Muster der zeitgenössischen Chronistik folgend - seine Sorge um die friedliche Zukunft zum Ausdruck, nachdem er vom Auftauchen ungewöhnlicher, unbekannter Tiere im Fürstbistum Münster erfahren hat (204), die sich als Vorboten weiteren Unheils deuten lassen.

Diese exemplarischen Beobachtungen können den Quellenwert der Chronik Moerbeckes nur unterstreichen. So bleibt festzuhalten, daß die Edition eine Bereicherung für die Frühneuzeitforschung darstellt. Ihr sind zudem einige Beiträge beigefügt, die die Erschließung erleichtern: die einführenden Texterläuterungen und Mitteilungen der Editionsregeln seitens des Bearbeiters, genealogische Informationen zur Familie des Adolff Wilhelm Moerbecke zu Stevening, erarbeitet durch Josef Wermert, und linguistische Überlegungen zu den im Text verwendeten Sprachen von Robert Damme. Literaturhinweise, ein Glossar, ein Personen- und ein Ortsindex runden den Band ab.

Empfohlene Zitierweise:

Ralf-Peter Fuchs: Rezension von: Jürgen Strothmann (Bearb.): Westfalen und Europa im 17. Jahrhundert. Die Chronik des Adolff Wilhelm Moerbecke zu Stevening 1633 - 1672, Münster: Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Westfälisches Archivamt 2000, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 6, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=75>

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