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Werner Rösener (Hg.): Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft vom Mittelalter bis zur Moderne (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; Bd. 156), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, 412 S., ISBN 4123-525-35472-X, DM 92,00

Rezensiert von:
Alexander Schunka
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Kommunikation ist im Zuge des jüngsten Umbruchs von Wissensverarbeitung und -vermittlung zu einem Schlüsselbegriff geworden. So verwundert es nicht, wenn auch die historische Forschung in den letzten Jahren die Kommunikationsgeschichte als wichtiges Thema entdeckt hat. Diese Forschungsrichtung profitiert von verschiedenen Ansätzen benachbarter Disziplinen und zeichnet sich im Idealfall durch ein hohes Maß an Interdisziplinarität aus. Freilich muss dabei in Betracht gezogen werden, dass Kommunikation sich auf dem besten Wege befindet, zu einem "Plastikwort" zu werden, das in nahezu jedem Kontext anwendbar ist. Im hier anzuzeigenden Sammelband scheint diese Gefahr mitunter auf.

Das Buch versammelt die Ergebnisse einer Tagung des Arbeitskreises für Agrargeschichte aus dem Jahre 1997, die einem aus kommunikationsgeschichtlicher Sicht bislang vernachlässigten Phänomen gewidmet war: Formen der Kommunikation auf dem Lande vom Mittelalter bis zur neuesten Zeit. Drei leitende Fragekomplexe dienten als Richtschnur: die Rolle von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der ländlichen Gesellschaft, Formen und Funktionen der Kommunikations- und Verkehrsbedingungen sowie die Beziehungen zwischen Land und Stadt als unterschiedlichen Kommunikationsräumen. Das Schwergewicht des Bandes liegt im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit, einer Umbruchsperiode, die bereits zuvor in ihrer kommunikationsgeschichtlichen Bedeutung gewürdigt wurde.

In der Einleitung versucht der Herausgeber Werner Rösener zunächst eine Klärung des Begriffs der "Kommunikation", bevor angesichts neuerer mediengeschichtlicher Arbeiten die Desiderate hervorgehoben werden, deren Erforschung die folgenden Beiträge gelten. Unter Kommunikation sollen demnach in Anlehnung an den Medientheoretiker Harry Pross "alle Formen von Verkehr, Verbindung, Vermittlung und Verständigung" verstanden werden. Dadurch wird Kommunikation zu einem grundlegenden Bedürfnis jeder Gesellschaft, gleichgültig, ob es sich um "interpersonale", "apersonale", also mit Hilfe technischer Medien durchgeführte, oder "massenmediale" Kommunikation handelt (S. 9f.). Seit sich ab dem Spätmittelalter im Hinblick auf Schriftlichkeit, Volkssprachlichkeit, Buchdruck oder der Verbreitung der Geldwirtschaft die Kommunikationsmedien und die Formen von Öffentlichkeit änderten, wuchs der Bedarf an Kommunikation und führte nicht nur zu einer quantitativen, sondern auch zu einer qualitativen Veränderung der Kommunikationsformen und -möglichkeiten. Das Anliegen der Beiträge ist es, Kommunikation auf dem Lande mit diesen eher allgemeinen Phänomenen in Beziehung zu setzen. Verschiedene Konzeptionen des Kommunikationsbegriffs führen allerdings in der Folge mitunter zu recht disparaten Herangehensweisen.

Werner Röseners Artikel über "Dinggenossenschaft und Weistümer" widmet sich Fragen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Rahmen ländlicher Gemeinschaften. Gerade die Versammlungen der Dinggerichte trugen dazu bei, sich über elementare Herrschaftsfunktionen zu vergewissern und "eine einheitliche Untertanenschaft herauszubilden" (S. 51). Im späten Mittelalter wurden die bäuerlichen Weisungen der Dinggerichte vermehrt schriftlich festgehalten, um aus der Sicht der Herren einer "Erosion von Herrschaftsrechten und Besitztiteln entgegenzuwirken" (S. 67). Diese Verschriftlichung diente im Prozess der Territorialisierung zunehmend auch der Abgrenzung gegenüber konkurrierenden Herrschaften. Die Entstehung schriftlicher Weistümer hing von der Einwirkung der Herrschaft ab, die ihrerseits durch symbolische Elemente die Dingversammlungen für sich zu instrumentalisieren wusste. "Die Gerichtsweistümer waren daher in erster Linie ‚Kampfinstrumente der Herren untereinander' und nicht Mittel zur Durchsetzung genossenschaftlicher Rechte gegenüber einem Herrn" (S. 74), lautet Röseners Fazit. Eine Untersuchung der Aneignung und Umsetzung dieser Rechtsinstrumente im kommunikativen Spannungsfeld zwischen Herren und Bauern könnte diese These weiter untermauern.

Der mit Abstand längste Beitrag stammt von Enno Bünz. Er befasst sich mit Kommunikationsformen im spätmittelalterlichen ländlichen Niederkirchenwesen. Auf fast einhundert Seiten geht der Autor Fragen von Informationsvermittlung und -austausch sowohl innerhalb der Kirchenorganisation als auch im sakralen Raum selbst sowie zwischen Pfarr- und Dorfgemeinde nach, obgleich man sich des Eindrucks nicht immer erwehren kann, dass der vom Verfasser beschworene "alte Wein" (S. 83) der Volksfrömmigkeit oder Alltagsreligiosität in den "neuen Schläuchen" der Kommunikation angeboten wird. Die hierarchische Organisation der Kirche ermöglichte es theoretisch, dass kuriale Anweisungen auch den Pfarrer der kleinsten Dorfgemeinde erreichten, obgleich spätmittelalterliche Visitationsberichte - so das Eichstätter Visitationsprotokoll von 1480 - den Eindruck vermitteln, dass einige Pfarrer die kirchlichen Richtlinien sehr eigenwillig auslegten (S. 98). Auf das kirchliche Kommunikationsnetz griffen sogar die Landesherren zurück, wenn wichtige Nachrichten verbreitet und von der Kanzel verkündet werden sollten (S. 109). Mangelnde Ausbildung und fehlende Sprachkenntnisse der Pfarrer konnten jedoch zu Missverständnissen und Desinteresse der Kirchgänger speziell an der Predigt führen, insbesondere, wenn Pfarrer in anderssprachigen Grenzgebieten des Reiches eingesetzt wurden. Der Autor zeigt, dass in der Organisation des Gemeindelebens und der administrativen Gemeindeverwaltung die Geistlichen weitgehend auf sich selbst gestellt waren (S. 142). Der Pfarrer war aber andererseits auch Teil des sozialen Netzes im Dorf, sowohl als Vertreter sittlicher Normen der Kirche als auch als Grund- und Zehntherr der Pfarrpfründe. Die Dorfgesellschaft hatte umgekehrt mitunter Einfluss auf die Pfarrerwahl (S. 149). So ergab sich eine Symbiose zwischen Kirche und Welt (S. 165). Wie weit ein Zusammenspiel von Glaube und Dorfgemeinde gehen konnte, veranschaulicht Rudolf Schlögl, der dem Einfluss der Kirchenzucht auf die gemeindliche Rügehoheit anhand von Visitationen des 16. Jahrhunderts nachgeht. Je nach den Auswirkungen der Kirchenzuchtmassnahmen verteidigten die Gemeinden entweder ihre dörfliche "Grenze des Öffentlichen" dagegen (S. 249); unter Umständen konnte eine radikalere, "durchgehende Verchristlichung" jedoch auch für einen impliziten Zusammenschluss von Kirchenzucht und dörflicher Rügepraxis sorgen (S. 252).

Zwei Beiträge beschäftigen sich explizit mit Formen von Schriftlichkeit in der ländlichen Kommunikation: Klaus Lorenzen-Schmidt geht der Frage von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in Schleswig-Holstein an der Wende vom Spätmittelalter zur Neuzeit nach, und Reiner Prass verfolgt die Durchsetzung schriftlicher Elemente auf dem Lande anhand zweier westfälischer Regionen am Ausgang des Ancien Régime. "Bauern konnten also früh schreiben und lesen", konstatiert Lorenzen-Schmidt (S. 180). Alle Bauern? möchte man fragen. Und: Wie sah es mit klein- und unterbäuerlichen Schichten aus? Dass "in den Landgemeinden des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit schriftliche Formen der Kommunikation bestanden" (S. 186), hat die Forschung der letzten Jahre gezeigt. Man würde an dieser Stelle aber gerne mehr über semiorale Kommunikationsformen erfahren: etwa über die Vorlesepraxis, die Aufnahmefähigkeit der Zuhörerschaft, Orte des Wissensaustauschs vom Wirtshaus bis zur Spinnstube - Orte also, an denen sich das Gelesene verbreitete und in mündliche Rede überging. Zudem wäre es lohnend, die innerdörfliche soziale Differenzierung bäuerlicher und unterbäuerlicher Schichten im Hinblick auf Oralität und Literalität näher zu betrachten.

Reiner Prass zeigt anhand der Signaturen von Brautleuten in Eheregistern die Wandlungen der Unterschriftsfähigkeit in zwei ostwestfälischen Regionen im 18. Jahrhundert, die unterschiedlich stark von Bildungsbestrebungen sowie von Handel und Gewerbe und nicht zuletzt wohl von innerfamiliären Faktoren beeinflusst wurden, und verdeutlicht, dass es sich bei einer so gestalteten Alphabetisierung nicht um einen linearen Prozess handelte. Wenn davon aber auf die Literalität im Sinne allgemeiner Schreib- und Lesefähigkeit geschlossen wird, so darf, wie der Autor selbst hervorhebt (S. 340), nicht übersehen werden, dass die Fähigkeit zur Unterschrift des eigenen Namens wenig darüber aussagt, ob die betreffenden Personen wirklich lesen und schreiben konnten. Die dem Beitrag beigegebenen Tabellen tragen wenig zur Verständlichkeit der aufwendigen statistischen Auswertung bei.

Werner Trossbach widmet sich der dörflichen Erinnerung und Überlieferung auf der Basis von Zeugenverhören. Der Autor legt Wert auf die Feststellung, bäuerliche Erinnerung nicht als statisch zu betrachten und die Gedächtnisfähigkeit oraler oder semiliterater Gesellschaften nicht zu überschätzen. Die bäuerliche Erinnerung auf dem Weg zur Überlieferung zeigte sich weitgehend nutzbezogen und auf die Lebensverhältnisse rückführbar. Nur so konnten bestimmte Personen als "wandelnde Grundbücher" (S. 215) konstitutiv für die Gedächtnisbildung einer Gemeinschaft wirken, während andererseits die bäuerliche Bevölkerung das eigene Lebensalter nicht genau angeben konnte (S. 210) oder selektiv mit bestimmten Gedächtnisstützen wie Naturkatastrophen oder Kriegen umging (S. 212). Die ländliche Überlieferung zeigte einerseits eine schöpferische Kraft und Dynamik, andererseits kann sie nicht abseits eines offiziellen, obrigkeitlichen Diskurses betrachtet werden. Durch die Frage nach der Tradierung von Wissen, also den eigentlichen Inhalten kommunikativer Akte, bindet der Verfasser ländliche Kommunikationsprozesse vorzüglich in jenen sozialen Kontext ein, dem sie entsprangen.

Eine Außensicht auf das Dorf stellt Heinz-Dieter Heimann anhand von Kartenwerken des 15. und 16. Jahrhunderts dar. Während die Abbildung ländlicher Verhältnisse zunächst vor allem als Schauplatz zur Verbildlichung politischer Zeitgeschichte diente, kam es im Verlauf des 16. Jahrhunderts zur funktionalen Abbildung des städtischen Umlands. Die frühmodernen Verwaltungsanforderungen trugen dazu bei, so der Verfasser, dass ein geographischer Weltbildwandel auch das Dorf als eigenständigen Siedlungsraum berücksichtigte (S. 207). Wie eigenständig die Dorfbevölkerung selbst sein konnte und auf welche Weise bäuerliche Untertanen in der Frühen Neuzeit den Weg aus dem Dorf zu ihrem Herrscher suchten und in direkte Kommunikation mit dem Landesherrn traten, verdeutlicht Renate Blickle. Sie zeigt die Möglichkeiten bayerischer Dorfbewohner zu gewaltlosen Protestmaßnahmen, zu Supplikationen und Demonstrationen auf. Damit werden grundlegende Fragen personalen Herrschaftsverständnisses angesprochen: Persönliche Herrschaft zeigt sich demnach als wichtiges Regierungselement des Landesherrn im 16. und 17. Jahrhundert. Die minutiös geplanten und inszenierten Demonstrationen lassen sich zudem durchaus als Vorläufer gewaltloser Demonstrationen betrachten, die damit nicht mehr nur als Phänomen des 19. und 20. Jahrhunderts betrachtet werden sollten.

Drei weitere Beiträge beschäftigen sich mit Wandlungserscheinungen dörflicher Kommunikation im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Gunter Mahlerwein postuliert am Beispiel der Aufteilung von Gemeindebesitz und des Vordringens des modernen Staates ins Dorf einen grundlegenden Wandel um 1800. Ob wirklich "in dem Masse, wie gemeinsame Nutzungen aufgehoben wurden, auch die Kommunikationsnotwendigkeiten in den Hintergrund traten" (S. 361), mag bezweifelt werden. Dass auch in der Zeit nach der Allmendeaufteilung die Landbewohner noch Kommunikationsbedarf besaßen, zeigt Clemens Zimmermann, der die Verbreitung von Telegraf und Telefon auf dem Lande untersucht. Das Telefon etwa ersetzte die älteren Kommunikationsbeziehungen nicht: Da es um die Wende zum 20. Jahrhundert in einem Dorf oft nur einen Fernsprechapparat gab, entwickelte sich die telefonbesitzende Familie oder das Postamt zu einem zentralen Anlaufpunkt innerhalb der Nachbarschaft. Zum Massenmedium wurde das Telefon zunächst also nicht, anders als gedruckte Publikationen, deren Einfluss in der ländlichen Arbeiterkultur Andreas Gestrich für das Stuttgarter Vorortdorf Botnang um 1900 veranschaulicht.

Der besprochene Sammelband vermittelt divergierende Einblicke in die Geschichte ländlicher Kommunikation. Vor allem aber harrt der Umgang mit dem Kommunikationsbegriff einer weiteren Klärung: So wirft Rudolf Schlögls systemtheoretischer Ansatz etwa - will man sich nicht völlig der Luhmannschen Konzeption verschreiben - zwei Fragen auf, die die Grundkonzeption des Bandes tangieren. Kommunikation bedeute demgemäß immer die Frage nach sozialer Ordnung, denn Soziales bestehe "überhaupt aus Kommunikation (und nichts sonst!)" (S. 241). Entweder wird Kommunikation somit als umfassendes soziales Prinzip begriffen, wodurch sich in der Praxis recht mühelos viele Aspekte sozialen Lebens unter dem Deckmantel der Kommunikationsgeschichte behandeln lassen, oder diese Vorgehensweise macht den Begriff der Kommunikation hinterfragbar, denn warum sollte man sich mit Kommunikation beschäftigen, wenn man vielleicht auch ohne diesen ‚Umweg' nach den "Mustern des Sozialen" (ebd.) fragen könnte?

Werner Rösener weist in seinem Schlusswort darauf hin, dass ein Aufsatz über Migration und ein weiterer über Frauen auf dem Land nicht zum Druck gebracht werden konnten. Gerade diese Aspekte - man denke etwa an Mobilität und Heiratsverhalten, die Entstehung von Zuwandererdörfern oder Fragen von Kulturtransfer auf dem Lande - hätten den Problemkreis weiter abrunden können. Frauen treten als Akteure in den publizierten Beiträgen kaum auf. Dies ist schade, besaßen sie doch, wie die Geschlechterforschung zeigen konnte, eigene Kommunikationsräume und -strukturen, deren genauere Untersuchung zum Verständnis von ländlicher Kommunikation wohl wesentliche Aspekte hätte beitragen können. Ebenso bleiben verkehrs- und mediengeschichtliche Themen, vom Transport von Nachrichten bis zur Übermittlung von Wissen durch Flugschriften, Bücher, Radio, Fernsehen oder Internet, oder etwa der Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft, weitgehend ausgespart. Ob und wie sich mithin die jüngst postulierten "Kommunikationsrevolutionen" auch auf dem Lande bemerkbar machten, können die Beiträge gerade im Hinblick auf das 16. Jahrhundert nur erahnen lassen. Der Band zeigt aber, dass hier ein interessantes Thema aufgegriffen wurde, das weitere Forschungen nach sich ziehen wird. Nötig ist vor allem eine Standortbestimmung und konzeptionelle Abgrenzung von Kommunikation und Kommunikationsgeschichte, um wichtige Themenkreise nicht dem Verdacht der Beliebigkeit auszusetzen.

Empfohlene Zitierweise:

Alexander Schunka: Rezension von: Werner Rösener (Hg.): Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft vom Mittelalter bis zur Moderne, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=54>

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