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Erik A. Lund: War for the every day. Generals, Knowledge and Warfare in Early Modern Europe, 1680-1740 (= Contributions in Military Studies; Bd. 181), Westport, Connecticut / London: Greenwood Press 1999, 242 S., ISBN 0-313-31041-6, £ 40,95

Rezensiert von:
Torsten F. Reimer
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Belauscht man den amerikanischen Militärhistoriker dort, wo er sich unbeobachtet fühlt, dann weiß man: Die großen Männer sind wieder da. Während auf der einschlägigen H-Net-Liste noch diskutiert wird, wer der größte General aller Zeiten gewesen sei, kann sich der Frühneuzeithistoriker den in dieser Debatte kaum berührten Feldherren zuwenden. Erik Lund befasst sich in der aus seiner 1997 in Toronto angenommenen Dissertation hervorgegangenen Studie "War for the every day" mit den zwischen 1686 und 1723 in das habsburgisch/kaiserliche Generalsamt berufenen Offizieren. Das im Kern prosopographische Buch will so etwas wie eine Alltagsgeschichte der Generalität sein, eine "working history of generals" (S. 195). Lund geht es dabei nicht um Schlachtengeschichte, sondern er will zeigen, dass Offiziere in frühneuzeitlichen Armeen über umfangreiche Bildung, technische Fähigkeiten und quasi wissenschaftliche Kenntnisse verfügten: "The everyday work of the early modern general was bound up with planning forages and marches, and called for an understanding of agronomy, surveying, celestial navigation, botany, forestry, civil engineering, and naval architecture" (S. 5). Indem Lund sich dafür habsburgische Offiziere ausgesucht hat, wendet er sich explizit gegen den Vorwurf der Rückständigkeit der kaiserlichen Armee.

Lunds Arbeit gliedert sich in sechs Abschnitte und einen Anhang. Der Autor beginnt mit (1) einer Vorstellung "seiner" Generäle (eine Auflistung der Offiziere findet sich im Anhang), erörtert (2) Fragen der Taktik, Ausrüstung und Zusammensetzung der Truppen, um von da aus den Einsatz von (3) "Generals as Engineers" zu diskutieren. Im weiteren befasst sich die Studie mit der (4) Entwicklung des Generalstabs und dem (5) Krieg von 1737-1739, ehe sie mit (6) einem knappen Resümee endet.

Aus der Gruppe der 427 in seinem Raster enthaltenen Offiziere arbeitet Lund 271 Profile heraus. Dazu liefert er Statistiken zu den Herkunftsregionen, Geburts- und Sterbedaten und untersucht die Zeitabstände zwischen den Beförderungen. Dabei gilt (wie in den anderen Teilen des Buches) sein besonderes Augenmerk den Geburtsjahrgängen 1661-1665, der "Generation of 1683", einer Gruppe von später in die höchsten Positionen aufgestiegenen Offizieren, die größtenteils im Zuge der Rekrutierungen vor und während der zweiten Belagerung Wiens durch die Türken in kaiserliche Dienste getreten waren. Diese Eingrenzung ist m. E. auch das entscheidende Defizit des Buches. Bei der Kerngruppe hätte es sich angeboten, detaillierter auf die Einzelpersonen einzugehen, während für die Gesamtgruppe zu wenig Materialien vorliegen. Viele Belege in Lunds weiterer Argumentation beziehen sich nämlich auf die "Generation of 1683", bei der doch Zweifel über die Verallgemeinbarkeit der Ergebnisse bleiben, weil es sich letztlich nur um zehn (!) Personen handelt (auch wenn Stichproben aus den anderen Gruppen als weiterer Beleg dienen sollen). So kann weder die qualitative noch die quantitative Erschließung völlig befriedigen. Gerade mit Blick auf die für den Kreis um Prinz Eugen oft bemühte Patronage hätte man sich eine intensiv betriebene Verflechtungsanalyse gewünscht. Dies ist um so bedauerlicher, als Lund im Vorwort explizit auf solche Ansätze verweist, viele interessante Fragen aber leider mehr umreißt als wirklich verfolgt. Die Feststellung, dass ein bedeutender Anteil der technisch versierten Offiziere aus Italien kam, dient dem Autor als Argument gegen die oft behauptete technische Rückständigkeit der Südeuropäer, eine Diskussion über Zusammengehörigkeitsgefühle regional verbundener Offiziersgruppen unterbleibt aber. Man muss Lund jedoch zugute halten, dass das fünfte Kapitel dabei etwas Abhilfe schafft: Bei der Erörterung des schlechten Abschneidens der Kaiserlichen im Türkenkrieg von 1737-1739 wird am Beispiel von Streitigkeiten in der Armeeführung das durchexerziert, was man sich für das ganze Buch gewünscht hätte: Risse in der Führungsstruktur werden auf unterschiedliche Interessensgruppen zurückgeführt, die sich mit den Erkenntnissen gerade über die Herkunft der Generalität verbinden. Diese Erklärung, die eben nicht mangelnde Fähigkeit, sondern mangelnde Kohärenz der Ziele bemüht, zielt ein weiteres Mal auf die Befreiung des habsburgischen Militärs vom Vorwurf der Rückständigkeit. Bei den Abschnitten über Generalstab, Marine oder Pioniere macht Lund deutlich, dass im europäischen Vergleich wichtige Institutionen erst spät eingerichtet wurden, diese aber schon lange und teilweise deutlich länger als bei den Nachbarn auf informeller Basis bestanden hatten.

Enger mit sozialgeschichtlichen Ansätzen verbunden (wenn auch wenig überraschend) ist Lunds Konzept der "economy of knowledge". Die Armee wird als Umschlagplatz von Fähigkeiten gesehen, die für junge Männer ohne Ausbildung im späteren zivilen Berufsleben sehr nützlich sein konnten, gerade in einer Zeit, in der die Grenzen zwischen zivilem und militärischem Berufsfeld noch nicht so eng gezogen waren. Problematisch ist Lunds Argumentation aber im Hinblick auf die Offiziere. Zwar beschreibt er sehr deutlich die Vielzahl von Kenntnissen, die im militärischen Alltag nötig waren - die Verproviantierung großer Truppenkontingente, Kenntnisse über Topographie und Geographie bei der Planung von Marschrouten, der Bau von Feldbefestigungen etc. - lässt es aber an einer zeitlichen Einordnung mangeln. Denkt man an die organisatorischen und technischen Leistungen des Herzogs von Parma in den Niederlanden oder an römische Belagerungstechnik, dann wird klar, dass der Einsatz zehntausender Soldaten immer sorgfältige Planung und eine Vielzahl von Fähigkeiten erfordert. Sicher lässt sich im frühen 18. Jahrhundert mit deutlich mehr Berechtigung von einer Militärwissenschaft sprechen - auch die Anzahl der von Lunds Generälen auf diesem Feld veröffentlichten Traktate spricht dafür - ein genauerer Vergleich mit anderen Epochen wäre für die Herausarbeitung von Unterschieden aber unabdingbar gewesen. So bleibt immer das ungute Gefühl, einem quasi überzeitlichen Gemeinplatz aufgesessen zu sein: Komplizierte Tätigkeiten erfordern umfangreiche Kenntnisse. Ein solcher Vergleich müsste systematisch durchgeführt, ein Ausweichen auf Quellen außerhalb des Untersuchungszeitraums vermieden werden. Genau das muss der Autor aber tun, um den Archetyp eines "Wissenschaftler"-Generals beschreiben zu können. Dazu zieht er Antonio Stratico, den letzten Oberbefehlshaber der venezianischen Artillerie heran, zu dem Lund selbst anmerkt: "Stratico's case may seem atypical, but fortunately we have considerable preserved material indicating that scientific interests and abilities were typical of those inculcated in student artillerists" (S. 111). So wie hier bleibt wiederholt der Zweifel zurück, ob es nicht besser gewesen wäre, statt Beispiele aus einem anderen Untersuchungsraum anzubringen, eher die vielleicht etwas bruchstückhaften Quellen des eigenen Zeitraums zusammenzusetzen, dies um so mehr, als Lund im Resümee seinen "War for the every day" "a book about the details" nennt (S. 196).

Vieles vermag "War for the every day" zu liefern: Einen gut geschriebenen Einblick in die Alltagsaufgaben eines frühneuzeitlichen Generals, Ausführungen über die Position der "technischen" Generäle in der Armee, ausführliche Schilderungen der Leistungsfähigkeit des habsburgischen Militärs, viele interessante Details (z. B. über Pontonbrücken und die kaiserliche Marine) sowie die Verdeutlichung des "wissenschaftlichen" Hintergrundes der "großen Männer". Dabei ist einiges aber nicht präzise genug abgegrenzt oder etwas zu kurz geraten - um so erstaunlicher, bedenkt man den in Anbetracht der Kürze des Buches recht hohen Preis.

Empfohlene Zitierweise:

Torsten F. Reimer: Rezension von: Erik A. Lund: War for the every day. Generals, Knowledge and Warfare in Early Modern Europe, 1680-1740, Westport, Connecticut / London: Greenwood Press 1999, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=51>

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