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Thomas Dehesselles: Policey, Handel und Kredit im Herzogtum Braunschweig in der frühen Neuzeit (= Studien zu Policey und Policeywissenschaft), Stuttgart / Berlin / Köln: Kohlhammer 1999, IX + 219 S., ISBN 3-465-02778-7, DM 48,00

Rezensiert von:
Ulrich Rosseaux
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn

Es gibt so manches Gebiet im weiten Feld der Historie, dessen Existenz zwar dem Grundsatz nach bekannt ist, in das sich aber bisher kaum - oder noch öfter: gar keine - Forschungsreisende aufgemacht haben. Die hier in Rede stehende Arbeit von Thomas Dehesselles - eine im Wintersemester 1997/98 an der Universität Frankfurt angenommene juristische Dissertation - hat es sich zur Aufgabe gemacht, eben eine solche Gegend näher zu erkunden. In "Policey, Handel und Kredit" - so der Haupttitel - geht es um die Geschichte des Handelsrechts im Laufe der Frühen Neuzeit, dargestellt am Beispiel der Entwicklung im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel. Im Begriff der "Policey" bündeln sich dabei all jene Maßnahmen, derer sich die Obrigkeit bediente, um das Verhalten ihrer Untertanen zu reglementieren. Während dies für andere Aspekte des frühneuzeitlichen Lebens bereits verschiedentlich ins Blickfeld der Forschung geraten ist - man denke nur an die Kirchenordnungen oder die Kleider- und Luxusordnungen - kann der Bereich von Handel und Finanzwirtschaft getrost als Neuland für Forschungen dieser Art betrachtet werden. Diese Studie reiht sich somit in die Schar historischer und rechtshistorischer Arbeiten ein, die sich mit der Ausbildung frühneuzeitlicher Staatlichkeit im allgemeinen und deren fortschreitender juristischer Ausgestaltung im besonderen befassen. Dass sich Dehesselles - ebenso wie die Autoren vergleichbarer Untersuchungen - der Analyse seines Untersuchungsgegenstandes in einem Territorium verschrieben hat, erscheint angesichts der verfassungspolitischen Situation des Alten Reiches nur konsequent.

Als Quellengrundlage dienen rund 2300 landesherrliche Verordnungen aus dem Zeitraum von 1495 bis 1806, die das Ergebnis umfangreicher Nachforschungen in den entsprechenden niedersächsischen Archiven - hier v.a. im Staatsarchiv Wolfenbüttel - darstellen. Aus der Analyse dieser Quellengattung resultiert naturgemäß eine stark am Normativen orientierte Sichtweise. Für eine rechtsgeschichtliche Arbeit ist dies zwar wenig erstaunlich, trotzdem stellt sich manchmal der leise Wunsch ein, mehr - und sei es nur in Form einiger illustrierender Beispiele - über die tatsächliche Umsetzung der Rechtsnormen zu erfahren. Auch hat der Verfasser bewusst auf die Einbeziehung des zeitgenössischen Schrifttums über Fragen des "Policeyrechts" verzichtet (S. 3). Insoweit er dies mit dem von ihm favorisierten normengeschichtlichen Ansatz und arbeitsökonomischen Überlegungen begründet, mag man ihm folgen; die von ihm ergänzend angeführte Vermutung, dass diese Literatur sich ohnehin inhaltlich parallel zur Normengeschichte verhalte, ist bis zu ihrem Beweis allerdings mit einiger Vorsicht zu genießen.

Zu den Stärken der Arbeit gehört ihre klare Gliederung in insgesamt fünf Teile. Im ersten Abschnitt (S. 3 - 16) gelingt Dehesselles eine erfreulich knappe Darstellung der politischen, ökonomischen und demographischen Entwicklungen, die für das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel sowie für die Stadt Braunschweig während des Untersuchungszeitraums kennzeichnend waren. Wobei letztere ihre herausgehobene Behandlung zum einen der Tatsache verdankt, dass sie - ohne jemals den rechtlich abgesicherten Übergang zur Reichsstadt vollzogen zu haben - vom Spätmittelalter an bis 1671 eine weitgehende Autonomie gegenüber dem Landesherrn behaupten konnte, und zum anderen dem Umstand, dass sie als Messeplatz ein besonders interessantes Feld für rechtshistorische Studien zu handelsrechtlichen Fragen darstellt.

Der zweite Teil (S. 17 - 59) befasst sich hingegen mit dem Zustandekommen der "Policeynormen" im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel. Hierbei wird zunächst die Bedeutung von Reich und Niedersächsischem Reichskreis für die Herstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen geschildert und anschließend die Rolle der Landstände im innerterritorialen Rechtssetzungsprozess erörtert. Letztere verloren im ausgehenden 17. Jahrhundert deutlich an politischem Gewicht, konnten aber zum Ende des 18. Jahrhunderts infolge landesherrlicher Finanzschwierigkeiten einige Bedeutung zurückgewinnen. Augenfällig wird dies durch den Umstand illustriert, dass zwischen 1682 und 1768 kein Landtag einberufen wurde. Gleichwohl blieb den Landständen auch in dieser Zeit eine beratende Funktion in "Policeysachen" erhalten. Hinzu kommt, dass die Landesordnungen von 1498 und 1647 in einer Zeit entstanden sind, als die Beratung mit und die Zustimmung durch die Stände noch unabdingbar war. Des weiteren bietet dieser Abschnitt der Arbeit noch eine Darstellung der Verwaltungsorganisation im Herzogtum und in der Stadt Braunschweig.

Nachdem auf diese Weise in den beiden ersten Teilen die politischen, juristischen und administrativen Rahmenbedingungen und Entwicklungsstränge geklärt wurden, beinhalten die folgenden drei Abschnitte den Kern von Dehesselles Studie. Aus naheliegenden Gründen kann die Vielzahl der dort behandelten rechtlichen Einzelprobleme im folgenden allerdings nur in Form eines knappen Überblicks Erwähnung finden.

Der dritte Teil (S. 61 - 99) der Arbeit ist den rechtlichen Bestimmungen über den Handel im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel gewidmet. Aus verständlichen Gründen nimmt dabei der Getreidehandel breiten Raum ein. Mit Kornsperren, Verboten des Fürkaufs und diversen weiteren Beschränkungen des Handels suchten die Obrigkeiten die Versorgung der eigenen Territorien mit diesem Grundnahrungsmittel sicherzustellen. Dabei spiegelte sich die bis 1671 mehr oder minder autonome Stellung der Stadt Braunschweig auch in einer eigenständigen Politik und Rechtssetzung in Fragen des Getreidehandels wieder. Im Handel mit Garn, Flachs, Leinsamen und dem dafür notwendigen Saatgut lagen die Interesse eher auf dem Lande denn in der Stadt - und die Gestaltung der einschlägigen Rechtsvorschriften dementsprechend in der Hand des Herzogs. Ähnlich wie auch in den übrigen handelsrechtlichen Fragen geschah dies oftmals in Form von Einzelanweisungen, die bei Bedarf ohne oder mit nur sehr geringen inhaltlichen Veränderungen wiederholt wurden. Weitere "policeyrechtliche" Reglementierungen betrafen den Metallwarenhandel sowie den Handel mit Genussmitteln wie Kaffee oder Tabak.

Der vierte Teil der Studie (S. 101 - 158) befasst sich schließlich mit den juristischen Verfügungen zum Geld- und Kreditwesen. Angefangen mit dem Geldwert und den rechtlichen Problemen bei der Kreditsicherung werden zudem noch die Themen Zinsen, Pfandleihe, Kreditverbote, Wechselgeschäfte und Fragen des Konkursrechts behandelt. Die Ausführungen zum Geldwert bedürfen allerdings einer Klarstellung. Dehesselles Behauptung, dass die "Münzhoheit (...) bei den Landesherren" (S. 101) gelegen habe, ist in dieser globalen Form nicht zutreffend. Tatsächlich existierte mit der Reichsmünzordnung seit 1559 ein im Prinzip im ganzen Reich verbindlicher gesetzlicher Rahmen. Wie bei so vielen anderen Gesetzeswerken auf Reichsebene auch, gestaltete sich die Umsetzung der darin enthaltenen Bestimmungen zwar mühsam, trotzdem sollten die reichsrechtlichen Rahmenbedingungen gerade in einer normengeschichtlich ausgerichteten Studie besser berücksichtigt werden. In rechtlichen Fragen, die den Geldwert betrafen, waren dem Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel ebenso Zügel angelegt wie anderen Reichsfürsten auch, und als er dies seit 1617 einmal bewusst ignorierte und geringwertige Münzen in großer Zahl ausprägen ließ, bedeutete dies den Auftakt zur berühmt-berüchtigten Kipper- und Wipperinflation. Hinzu kommt, dass die Reichsmünzordnung den Vollzug der Münzpolitik in die Hände der Reichskreise gelegt hatte, so dass auch diese rechtliche Ebene von einiger Bedeutung für den Geldwert war, was in Dehesselles Ausführungen ebenfalls zu kurz kommt.

Im fünften Teil (S. 159 - 180) geht es um die rechtlichen Bestimmungen, die die Märkte im Herzogtum - hier besonders in der Residenzstadt Wolfenbüttel - sowie die seit 1505 kaiserlich und herzoglich privilegierten Jahrmärkte in der Stadt Braunschweig betrafen. Letztere wurden nach der Inbesitznahme der Stadt durch den Herzog (1671) im Zuge einer grundlegenden Neuordnung zu einer Reichsmesse aufgewertet. Ansonsten drehte sich eine Vielzahl der rechtlichen Bestimmungen um die Frage, welche Personengruppen wann, mit wem und zu welchen Bedingungen überhaupt, Handel treiben durften. Hinzu kamen Regelungen über spezielle Kaufgerichte, die ihre Entscheidungen bei Konflikten zwischen Handeltreibenden noch während oder unmittelbar nach dem Ende des jeweiligen Marktes fällen sollten. Dies sollte auch auswärtigen Kaufleuten eine realistische Chance in einem Rechtsstreit eröffnen und so die Attraktivität der Veranstaltungen erhöhen.

Gemessen am eingangs formulierten Anspruch des Autors kann die Dissertation von Thomas Dehesselles als in der Summe weitgehend gelungen bezeichnet werden. Ein bisher nahezu nicht beachtetes Feld der Rechtsgeschichte wird - abgesehen von den wenigen genannten Schwächen - sorgfältig und detailliert abgehandelt. Wer immer sich über die Entwicklung des Handelsrechts in den Territorien des Alten Reiches kundig machen will, wird hier fündig werden. Dies betrifft sowohl den an handelsrechtlichen Fragen und deren Genese interessierten Juristen wie auch den mehr auf die Entwicklung der frühneuzeitlichen Staatlichkeit und deren Ausprägung in diesem speziellen Feld hin orientierten Historiker. Auch für diejenigen, die sich für die Landesgeschichte Braunschweig-Wolfenbüttels oder die Geschichte der Stadt Braunschweig in der Frühen Neuzeit interessieren, enthält die Arbeit einiges Wissenswertes.

Gleichwohl kann nicht unerwähnt bleiben, dass der streng normengeschichtliche Ansatz der Arbeit einige Probleme grundsätzlicher Natur mit sich bringt. Stellvertretend für den Tenor des gesamten Textes mögen diese durch das folgende Beispiel illustriert werden: In seiner Darstellung der in den einschlägigen Verordnungen verwendeten Anredeformeln (S. 52 - 54) analysiert Dehesselles diese unter der Fragestellung, wer als Normgeber und wer als Normadressat auftritt. Als Ergebnis stellt er eine im Laufe des Untersuchungszeitraums zunehmende Tendenz hin zu abstrakten Formulierungen fest. Dieser Vorgang wird - was unter normenhistorischem Aspekt auch sinnvoll erscheint - als Vordringen von Moderne und Systematik in der Rechtssetzung gedeutet. Dass sich in solchen offiziellen Floskeln allerdings auch allgemeine Vorstellungen von politischer Herrschaft und ihrer Legitimität widerspiegeln, und dass Veränderungen in den Formulierungen in einem engen Zusammenhang mit der Entwicklung dieser Leitideen stehen, wird von Dehesselles´ immanent juristischer und allein am Normativen orientierter Interpretation allerdings nicht erfasst. Die Nichtberücksichtigung dieser geistes-, philosophie- und nicht zuletzt auch mentalitätsgeschichtlichen Ebenen führt im Ergebnis zu einer Erklärung, die zu kurz greift und lediglich an der Oberfläche des Beobachtbaren kratzt. Dies kann selbst dann kaum anders denn als Mangel empfunden werden, wenn man akzeptiert, dass die Frage, wieviele Anteile der Rechtsgeschichte denn nun auf die Jurisprudenz und wieviele auf die Historiographie entfallen sollen, in dieser Arbeit eindeutig zugunsten der ersteren beantwortet wurde. Sofern man die Gewichte hier etwas ausgewogener verteilt - wenn die Rechtsgeschichte mehr sein soll als eine reine Fachhistorie, spricht vieles für ein solches Vorgehen - führt dies unvermeidlich zu der Frage, ob nicht eine stärkere Verzahnung zwischen den spezifisch juristischen und den mehr historischen Erkenntnisinteressen und Methoden zu einem insgesamt befriedigerenden Ergebnis geführt hätte.

Empfohlene Zitierweise:

Ulrich Rosseaux: Rezension von: Thomas Dehesselles: Policey, Handel und Kredit im Herzogtum Braunschweig in der frühen Neuzeit, Stuttgart / Berlin / Köln: Kohlhammer 1999, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=44>

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