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Carlo M. Cipolla: Die Odyssee des spanischen Silbers. Conquistadores, Piraten, Kaufleute, Berlin: Wagenbach 1998, 126 S., ISBN 3-80313594-X, DM 36,00

Rezensiert von:
Heinrich Lang
Bamberg

Carlo Maria Cipolla erzählt in seinem Bändchen "Die Odyssee des spanischen Silbers. Conquistadores, Piraten, Kaufleute" zusammenfassend und überblicksartig die Geschichte der Ausbeutung lateinamerikanischer Silbervorkommen durch die Spanier sowie die weltweite Erfolgsgeschichte des aus dem Silber gewonnenen Geldes. Die bei Klaus Wagenbach erschienene Übersetzung der Orginalausgabe "Conquistadores, pirati, mercatanti. La saga dell'argento spagnuolo" (Società Editrice il Mulino, Bologna 1996) wurde, wie schon so oft bei italienischen Titeln, von Friederike Hausmann auf glänzende Weise geleistet, so dass Cipollas erfrischend lebendiger und teilnehmender bis suggestiver Sprachstil sensibel ins Deutsche übertragen erscheint. In elf kurzen (fast essayistischen) Kapiteln berichtet Cipolla von der "Reihe glücklicher Zufälle" (S. 11) für Spanien in der Mitte des 16. Jahrhunderts, die insbesondere das Königreich Kastilien und die Hafenstadt Sevilla zur Drehscheibe des damaligen - im Entstehen begriffenen - Welthandels werden ließen, zudem berichtet er von den Wirkungen der Silberzufuhr nach Europa, eingebettet in den Kontext der europäischen Wirtschaftsgeschichte. Hier liegt auch die Stärke des Buches: Cipolla, der Wirtschaftshistoriker, verbindet die serielle Geschichte der 'Carrera de las Indias' (das System des Flottenzugs zweimal jährlich zwischen Spanien und den Kolonien) mit den Voraussetzungen im europäischen Geldwirtschaftssystem und der Entwicklung auf den internationalen Geldmärkten. Sodann zeigt er, wie der Abfluss des Silbergeldes in den Orient, nach Indien und China die 'saga' des berühmten 'Real de a ocho' (schwere Silbermünze im Wert von acht reales) kennzeichnet - kurz, die weite Perspektive befreit den Blick der Historiker von der einzelnen Statistik und öffnet das Verständnis für gesamtökonomische Zusammenhänge. Die Nachteile dieser Kurzgeschichte des spanischen Silbers finden sich darin, dass Cipolla viel Bekanntes (allerdings sehr anschaulich) aufzählt, sich auf verdächtig alte Standardwerke stützt (Chaunu, Domínguez Ortiz, Hamilton) und oft im Abstrakten verharrt.

Spanien schuldet, so Cipolla, seine Größe im 16./17. Jahrhundert vor allem den Eroberungen und den Zufällen, wie denen der Entdeckung der Silberminen von Potosí und der Quecksilbervorkommen in Huancavelica. Die 'Conquistadores' waren gefangen vom Zauber des Goldes, für das sie jede Grausamkeit zu begehen bereit waren. Dass die spanischen Versuche, die Emigration in die 'Neue Welt' auf Spanier zu beschränken und den Handel bzw. die Ausbeutung Amerikas zu monopolisieren, nur sehr bedingt anschlugen, erfährt der Leser, der Klischees hinter sich lassen möchte, spät - wenn nämlich die Silbereinfuhr nach Spanien genauer untersucht wird. Zunächst schildert Cipolla griffig die Gefahren für das "System der Kommunikations- und Transportwege" (S. 45) - Naturgewalten und Piraterie, die verhältnismäßig wenig tatsächlichen Effekt auf die reale Menge der hin- und herpendelnden Flotten hatten. Die logistischen und physischen Verzögerungen im Flottenverkehr zwischen den Welten hatte allerdings beachtliche Schwankungen für die europäische Wirtschaft zur Folge - leider illustriert keine Fallbeschreibung diesen postulierten Umstand. Die gesamten Zahlenwerke für die Berechnung des Silberimports nach Spanien - sei es in Barrenform oder bereits als geschlagene Münzen - sind aufgrund des erheblichen Schwarzhandels, der mitunter die Hälfte der Ladungen effektiv ausmachte, extrem unscharf.

Als spannend und interpretatorisch fruchtbar erweist sich Cipollas Vorschlag, die Veränderung des gesamten Geldwesens durch die spanischen Importe von der Entwicklung des gesamteuropäischen Münzwesens her zu begreifen. Cipolla versteht es, seine Ergebnisse aus etwa der Studie zum Münzwesen im Florenz des 15. Jahrhunderts (La moneta a Firenze nel Cinquecento, Bologna 1987) gewinnbringend in diese weitere Perspektive einzuarbeiten. Während in den Kolonien bis zum Ende des 16. Jahrhunderts kein Metallgeld gehandelt wird (im Verlauf des 16. Jahrhunderts wird Silber als in Spanien geprägtes Silbergeld in die Kolonien reimportiert), wird von 1535 an in Mexiko vornehmlich der noch auf dem alten spanischen Münzsystem basierende 'Real de a ocho' geschlagen und nach Spanien in steigender Menge ausgeführt. Der 'Real de a ocho' wird aufgrund seiner massenhaften Erscheinung bald zur "Weltwährung", weil er aus Spanien, dessen Produktion bald schon dem Markt in den Kolonien nichts mehr zu bieten hat, besonders in die Kriegsgebiete abfloss, von den Genueser Großbanken oder Bankhäusern wie den Fuggern aufgesogen wird und als Hauptzahlungsmittel für die begehrten Produkte aus dem Orient, Indien und China nach Osten entschwindet. Erst eine infame Idee aus den Reihen der englischen Ostindienkompanie verschafft den Europäern seit dem 18. Jahrhundert einen Exportschlager nach China, der den Silberfluss zugunsten Europas wieder umkehrt: das Opium.

Eine zusammenfassende Würdigung muss durchwachsen ausfallen. Wer sich schnell in einen gewaltigen Ausschnitt der Weltwirtschaftsgeschichte mit Schwerpunkt auf dem aus amerikanischem Silber stammenden Geld einlesen will, dem sei Cipollas Buch ans Herz gelegt. Wiewohl die den fortlaufenden Text - nur rund die Hälfte der 126 Seiten - begleitenden Abbildungen zumeist wenig Bezug zum Text aufweisen, erzählen die Bildchen, die den Kapiteln jeweils vorangestellt sind, eine eigene, zum großen Bogen der Erzählung kontrastiv verlaufende Geschichte: sie berichten - von der 'Entdeckung' bis hin zur Versklavung der Indios durch die Spanier - die für die Ureinwohner Lateinamerikas äußerst nachteilig verlaufene Geschichte der Begegnung mit den 'Conquistadores' und Geschäftemachern aus der Alten Welt. Der bibliophilen Aufmachung des Buches zum Trotz fällt das Weglassen eines hilfreichen Registers/Indexes störend auf. Der Blick auf den Kolonialismus und die Weltwirtschaft von der Position der Geldgeschichte aus kann auch als verengend empfunden werden, die Wahrnehmung eines großen historischen Phänomens wird einseitig strukturiert, zumal die weiterbringenden Beispiele allesamt aus dem italienischen Raum stammen und dadurch die behauptete sukzessive Verschiebung der Geometrie der Weltwirtschaft kaum belegt wird. Kurzum, eine sehr gute Erzählung, die leider etwas knapp geraten ist.

Empfohlene Zitierweise:

Heinrich Lang: Rezension von: Carlo M. Cipolla: Die Odyssee des spanischen Silbers. Conquistadores, Piraten, Kaufleute, Berlin: Wagenbach 1998, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 3, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=29>

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