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Ulinka Rublack: The Crimes of Women in Early Modern Germany (= Oxford Studies in Social History), Oxford: Clarendon Press 2001, 292 S., ISBN 0-19-820886-3, £ 16,99

Rezensiert von:
Raingard Eßer
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Seit den 1990er-Jahren hat die Kriminalitätsgeschichte in Deutschland Konjunktur. Während sich einer ihrer Pioniere, Dirk Blasius, in seinem Forschungsbericht von 1988 neben seinen eignen Arbeiten fast ausschließlich auf anglo-amerikanische und französische Studien beziehen musste [1], hat sich wenige Jahre später eine aktive Gruppe vor allem junger Wissenschaftler des Themas "Devianz" in seinen unterschiedlichen Formen angenommen. Mittlerweile verfügt die Historische Kriminalitätsforschung über ein weitverzweigtes, gut ausgebautes Netzwerk (zu nennen sind hier auch die jährlichen Treffen des 1991 gegründeten Arbeitskreises historische Kriminalitätsforschung in der Vormoderne).

Die für die Forschung wohl fruchtbarste Verbindung ist die Kriminalitätsgeschichte mit der Historischen Anthropologie eingegangen. Der Forschungsschwerpunkt liegt hier wie da auf der Frühen Neuzeit. Dabei wird vor allem versucht, durch den Parameter abweichendes Verhalten und die gesellschaftliche Reaktion auf Devianz Aussagen über den Normen- und Wertehorizont der frühneuzeitlichen Gesellschaft zu erhalten, aber auch Erklärungs- und Handlungsmuster der unter Konformitätsdruck geratenen Männer und Frauen zu entschlüsseln. Wichtige Quellen sind Gerichtsakten, aus denen nicht nur der normative Anspruch frühneuzeitlicher Obrigkeiten herausgelesen werden kann. Gerichtsverhandlungen sind häufig auch die einzige Bühne, auf der uns frühneuzeitliche Menschen der Unterschichten und die ansonsten häufig schweigende - oder besser gesagt: verschwiegene - Masse der Frauen begegnen. Ihre Aussagen sind kodiert, angepasst an eine öffentliche, obrigkeitlich inszenierte Situation, deren Ausgang den Beteiligten im schlimmsten Fall den Kopf kostete. Dennoch können sie als Spiegel frühneuzeitlicher Gesellschaften und deren Codes gelesen werden.

Gerichtsprotokolle aus verschiedenen süddeutschen Städten - den protestantischen Reichsstädten Memmingen, Esslingen und Schwäbisch Hall und dem katholischen Konstanz - liefern auch die Quellengrundlage für Ulinka Rublacks Studie. Das Buch beruht auf ihrer Cambridger Dissertation und ist bereits 1998 in einer mittlerweile vergriffenen deutschen Ausgabe unter dem Titel "Magd, Metz' oder Möderin. Frauen vor frühneuzeitlichen Gerichten" im Frankfurter Fischer Verlag erschienen. Die hier nun in englischer Sprache vorliegende Paperback-Ausgabe von 2001 (die einer 1999 von Clarendon Press herausgebrachten Hardcover-Version folgt) ist für die anglo-amerikanische Leserschaft geringfügig erweitert worden und präsentiert erstmals eine (wenn auch auf die süddeutsche städtische Gesellschaft beschränkte) englischsprachige Studie zu frühneuzeitlicher weiblicher Kriminalität in Deutschland.

Rublack, eine Schülerin von Bob Scribner, versteht es überzeugend, anglo-amerikanische und deutsche Kriminalitätsforschung zusammen mit einer quellennahen Lektüre ihres Materials zu verarbeiten. Herausgekommen ist ein spannendes, lebendiges Buch, das seinem eigenen Anspruch gerecht wird: "[...] through an imaginative engagement with the stories of women, who were gossiped about, accused, and punished" (2) rekonstruiert die Autorin den Alltag frühneuzeitlicher Frauen in und am Rande der Gesellschaft in Auseinandersetzung mit den von Männern gemachten Gesetzen und den dahinter stehenden Ordnungsvorstellungen. Bewusst ausgeklammert wurde hier allerdings die wohl dramatischste Form weiblicher Kriminalität (im frühneuzeitlichen Sinne): das Hexenwesen. Da dieses Feld aber gerade in den letzten Jahren zur Genüge bearbeitet worden ist (man denke für den süddeutschen Raum etwa an die Arbeiten von Wolfgang Behringer), ist es mehr als gerechtfertigt, dass sich Rublack auf die geschlechtsspezifischen "Alltagsdelikte" ihrer Untersuchungsperiode konzentriert.

Die Studie bewegt sich auf drei Forschungsebenen. Zum einen rekonstruiert Rublack in bester historisch-anthropologischer Methode die Lebenswelten von Frauen in Konfliktsituationen. Wo immer es geht, lässt sie ihre Protagonistinnen selbst zu Wort kommen. Frauen sind keineswegs nur Opfer einer männlichen Justiz. Sie agieren vor Gericht, sie greifen als Zeuginnen und Anklägerinnen selbst in das Prozessgeschehen ein. Im Vorfeld einer Anklage streuen sie Gerüchte, diffamieren ihre Geschlechtsgenossinnen und erstellen Gutachten. Viele dieser Handlungen machen einen Prozess erst möglich oder notwendig. Das klingt nach aktiv Handelnden, nicht (allein) nach Opfern, ist allerdings nur im Rahmen der patriarchalischen Familienstrukturen frühneuzeitlicher Gesellschaft möglich.

Diese Strukturen bilden die zweite Untersuchungsebene von Rublacks Studie. Weibliche Kriminalität tritt zum größten Teil als Sexualdelikt und dessen Folgen (wie etwa Kindstötung) auf. Sie wird zudem schichtspezifisch sanktioniert: Wo sich reiche "Sünderinnen" freikaufen können, werden arme Delinquentinnen hingerichtet. Die sexuellen Aktivitäten außerhalb des Ehebetts wurden deshalb, so argumentiert Rublack im Sinne des Sozialdisziplinierungsparadigmas, zu kriminellen und damit zu für die Gesellschaftsordnung bedrohlichen Handlungen, weil die städtischen Obrigkeiten des 16. und 17. Jahrhunderts versuchten, patriarchalische Familienstrukturen als einzig akzeptable, weil besser zu dirigierende Gesellschaftsform durchzusetzen. Einher mit der Kriminalisierung "ungeordneter" Sexualität ging nämlich, wie Rublack nachweist, auch die Diskreditierung rein weiblicher Arbeitskultur (wie etwa der Spinnstube) als unmoralisch. Die Ursache für diesen verstärkten obrigkeitlichen Druck sieht Rublack weniger in der Konfessionalisierung der Gesellschaft als vielmehr in der traumatischen Erfahrung des Krieges, der die deutsche Geschichte des 17. Jahrhunderts prägte, und der beispielsweise zu einem dramatischen Anstieg unehelicher Kinder aus mehr oder weniger gewollten Verbindungen mit Soldaten führte.

Diesem sowohl moralischen als auch ökonomischen Problem begegneten die Stadtväter in Rublacks Fallstudien mit dem verstärkten Vollzug ihrer Gesetze. Daraus den Siegeszug staatlicher oder städtischer Kontrolle gegenüber den gesellschaftlichen Normen ihrer Untertanen abzuleiten, lehnt Rublack allerdings ab. Das Zusammenspiel wirtschaftlicher, kultureller, gesellschaftlicher und konfessioneller Faktoren führte nicht flächendeckend zu gesellschaftlichem Wandel, sondern wurde immer im Einzelfall ausgehandelt. Auf einer dritten Ebene versucht Rublack schließlich, Weiblichkeitsbilder und deren Wandel zu rekonstruieren. Hier eröffnet die Autorin allerdings eher neue Forschungsfelder, als dass sie Interpretationen - etwa zum Wandel der Bilder von unersättlicher und ungezügelter weiblicher Sexualität zur Vorstellung von passiver Sanftheit - vorstellt. Dessen ungeachtet entwirft die Autorin insgesamt ein fassettenreiches, fesselndes und informatives Panorama weiblichen Verhaltens vor Gericht.

Anmerkung:

[1] Dirk Blasius: Kriminologie und Geschichtswissenschaft. Bilanz und Perspektiven interdisziplinärer Forschung, in: Geschichte und Gesellschaft 14 (1988) 136-149.

Redaktionelle Betreuung: Joachim Eibach

Empfohlene Zitierweise:

Raingard Eßer: Rezension von: Ulinka Rublack: The Crimes of Women in Early Modern Germany, Oxford: Clarendon Press 2001, in: PERFORM 3 (2002), Nr. 5, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=250>

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