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Norbert Schindler: Wilderer im Zeitalter der Französischen Revolution. Ein Kapitel alpiner Sozialgeschichte (= Colloquia Augustana), München: C.H. Beck 2001, 442 S., ISBN 3-406-47478-0, € 39,90

Rezensiert von:
Winfried Freitag
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Thema der Salzburger Habilitation ist die Wilderei im Erzstift Salzburg des späten 18. Jahrhunderts und die Frage, inwiefern sie zum Ende der geistlichen Herrschaft beitrug. Begünstigt wurde die Arbeit durch eine sehr gute Quellenlage. Umfangreiche Prozessakten, Protokolle des Hofrates und der Hofkammer, Akten der Jägermeisterei, der Pfleggerichte und anderes mehr erlauben neue Einblicke in die vormoderne Wilderei. Das gilt vor allem für die vielfältigen Motive der Wilderer, auf die Schindler über das ganze Buch hinweg in immer wieder neuen Beispielen eingeht. Gerade weil es sich um ein ständig wiederkehrendes Thema handelt, ist man überrascht, keine Zusammenfassung zu finden, welche die einzelnen Beweggründe in ihrer Bedeutung abschätzt und miteinander vergleicht.

Breiten Raum beansprucht das illegale Pirschen als Nebenerwerb und aus purer Not. Im Gericht Golling, für das Schindler exemplarisch eine quantitative Erhebung vornimmt, stellten diejenigen, die nicht ohne Nebenverdienst auskamen, etwa Kleinbauern und Tagwerker, ungefähr ein Drittel aller Delinquenten. Bei vielen von ihnen kam zur ökonomischen Notwendigkeit die günstige Gelegenheit hinzu. Wer in einsam gelegenen Häusern wohnte, dem lief das Wild direkt vor die Flinte und der ging, wenn er es erlegte, nur ein geringes Risiko ein. Gelegenheit macht Wilderer - das galt auch für die landesherrlichen Jäger. Ihr Gehalt war so knapp bemessen, dass auch sie auf Nebeneinkünfte angewiesen waren. Die "Doppelidentität" Jäger-Wilderer wurde gegen Ende des Jahrhunderts sogar "zu einer gewohnten Erscheinung" (240). Dasselbe gilt für jene, die Schindler "Desperados" und "professionals der Wilderei" (265) nennt. Es sind dies kriminalisierte Rückfalltäter, denen "das Dickicht der Wälder zu ihrem eigenlichen Terrain" und das Wildern "zum nackten Existenzkampf" wurde (195). Sie erhielten starken Zulauf durch Deserteure, fanden sich zuweilen zu kleinen Trupps oder losen Banden zusammen und trugen zur Destabilisierung des Erzstifts bei.

Charakteristisch für eine zweite Gruppe von Motiven sind der Reiz des Unerlaubten, des Zugleich-Jäger-und-Gejagter-Seins, das Sich-beweisen-wollen und das "Theater der Männlichkeit" (177). Wer Mut und Geschick zeigte, sei es beim Erlegen des Wildes, sei es in den Auseinandersetzungen mit den landesherrlichen Jägern, stärkte sein Selbstbewusstsein und erwarb "Sozialprestige" (91), nicht zuletzt beim weiblichen Geschlecht. Auf der Suche nach den Motiven eines weiteren Drittels der Delinquenten wurde Schindler bei der inneren Ungleichheit der bäuerlichen Gesellschaft fündig. Viele junge Männer hatten kaum Chancen, jemals Hofinhaber zu werden. Für diese Bauernsöhne und -knechte bot das unerlaubte Pirschen eine Möglichkeit, ihre Zurücksetzung gegenüber den Hoferben und Erstgeborenen zu kompensieren. Es leitete Frustrationen und Aggressionen nach außen ab und fungierte damit als "Blitzableiter" (59), der zur Stabilisierung der besitzbäuerlichen Interessen beitrug.

Weitere Motive, auf die Schindler eingeht, hängen eng mit den repräsentativen Hofjagden zusammen. Damit bei solchen Anlässen Wild in großer Zahl erlegt werden konnte, mussten die landesherrlichen Jäger stark überhöhte Bestände hegen. Die bäuerliche Bevölkerung litt unter den Verheerungen, die das Wild auf ihren Feldern anrichtete. Wilderei war daher auch Schadensabwehr. Der Konflikt mit der Zentralgewalt erstreckte sich jedoch nicht allein auf das Wild, sondern auch auf die Kontrolle des Natur- und Wirtschaftsraums. Die großen Hofjagden waren Höhepunkte höfischen Lebens und zugleich eine "Demonstration der fürstlichen Hoheitsrechte über das Land". In ihnen kamen vor den Augen des gemeinen Mannes "Fürst und Land symbolisch zusammen, erstreckte sich der Herrschaftskörper des Landesherrn in einer für die Untertanen anschaulichen Art und Weise besitzergreifend auf das ihm untergebene Territorium" (30).

Diese Symbolik blieb nicht unwidersprochen. Wald und Hochgebirge waren noch Bereiche, die die politische Zentralgewalt nur unvollkommen kontrollieren konnte. Was die fürstlichen Jäger als ihr Revier ansahen, verteidigten die Untertanen als bäuerlichen Nutzungsraum; sie beharrten auf überkommenen Weide-, Holz- und Durchgangsrechten. Als im ausgehenden 18. Jahrhundert die Konflikte zwischen Jägern und Wilderern immer härter wurden und ein Jäger einen Pinzgauer Burschen im Blühnbachtal, dem bevorzugten Leibgehege von Fürstbischof Colloredo, ermordete, beantworteten die Wilderer das "Herrschaftstheater" der höfischen Jagd mit der theatralisch inszenierten Inbesitznahme eben dieses Tales. Sie begnügten sich nicht länger mit der Defensive, sondern nahmen im bäuerlichen Sinne ungenutztes Terrain symbolisch in Besitz. Damit erwuchs "aus der Tiefe der bäuerlichen Kultivierungsvorstellungen, vermittelt über deren burschenschaftliche Speerspitze der Wilderei, ein konkurrierender Anspruch auf die Landesherrschaft von unten" (297).

Ein anderes Beispiel von "Gegentheater" ist das provokative Erlegen eines Hirschen direkt unterhalb der Werfener Festung. Mit dieser Aktion reagierten einige Burschen auf die jährliche obrigkeitliche Reinszenierung der Niederschlagung eines Bauernaufstandes. Wildern zeigte sich hier als "deep play", das "an tiefere Schichten des kollektiven Bewußtseins rührte und die Erinnerung an erlittenes Unrecht, an Demütigung und Bedrückung in der symbolisch befreienden Gegenaktion wachhielt" (27). Hinter solchem Gegentheater vermutet man das Motiv, 'es dem Landesherrn zeigen', ihm deutlich zu machen zu wollen, dass man sich weder mit der Usurpation des Jagdrechtes abfindet noch die eigenen Interessen kampflos preisgibt. Schindler deutet das ein wenig anders. Für ihn ist "deep play" mehr als nur der aus Traditionen des Widerstands genährte Ausdruck von Selbstbehauptungswillen und Eigensinn. Für ihn ist es der eigentliche Kern dessen, was Wilderei ausmacht. Sie war, so sein Fazit, "ein tief verankertes gesellschaftliches Spiel, das bis auf die Durchsetzung der landesfürstlichen Jagdhoheit im hohen Mittelalter zurückreichte und in dem die bäuerliche Kultur der expandierenden staatlichen Herrschaft hartnäckig Grenzen setzte". Erst auf "dieser allgemeinsten Ebene des historischen Strukturkonflikts zwischen Bauern und vorrückender Staatlichkeit" habe "sich dann ein ganzes Bündel durchaus unterschiedlicher Handlungsmotive" abgezeichnet (326).

Diese Konstruktion einer "allgemeinsten Ebene" ist verfehlt. Der Konflikt wurde gerade deshalb zu einer longue durée oder Struktur, weil er sich nicht nur aus der Erinnerung an Unrecht und aus tradierten Formen des Widerstands speiste, sondern auch aus akuten Bedürfnissen: Materielle Not zwang viele Landbewohner zum Wildern, und keiner konnte es sich leisten, seine Felder ständig vom Wild verwüsten zu lassen. Indem Schindler diese Seite vernachlässigt, schlägt bei ihm das Pendel zum Kulturalismus aus. Damit einher geht eine Verklärung der bäuerlichen Kultur. Schindler verwahrt sich in seiner Einleitung gegen die Okkupation der Wilderei im frühen 19. Jahrhundert sowohl durch die Romantiker als auch durch "die Besitzbauern und ihre Lokalideologen aus der Volksschullehrerschaft". Beide hätten sich auf das "Naturrecht der freien Aneignung von Wald und Wild" berufen, beide "schamlos ihre eigenen Interessen" verfolgt. "Sie sprachen von der Freiheit der Berge und meinten objektiv die Durchsetzung der Marktwirtschaft." Der "bäuerliche(n) Wilderei in der Umbruchpreriode um 1800" komme jedoch das "historische Verdienst" zu, sich für einen Moment frei gemacht zu haben von dergleichen "scheinheiligen Geschäftemachern" (38).

Dieser Zugriff prägt das gesamte Buch. Seine Schwächen ergeben sich aus der Unterbewertung der Motive der Akteure und aus der zu engen Verknüpfung von Wilderei und bäuerlicher Kultur. Als 'social crime' kam Wilderei ohne die Bildung von Banden aus [1]. Von solchen kann nur im Zusammenhang mit den zu Ende des Ancien Régime vermehrt auftretenden Desperados die Rede sein; selbst die mehrmalige symbolische Besetzung des Blühnbachtales inszenierten die Pinzgauer Burschenschaften. Was für eine derartige Ausnahmesituation galt, galt erst recht für die alltäglichen Delikte. Indem eine Hand die andere wusch, entstand "jenes lose gesponnene Netzwerk", das "der Wilderei als Zuerwerbszweig die nötige Infrastruktur" (264) verschaffte. Es war "in die bäuerliche Alltagskultur eingelassen und an ihre üblichen Verrichtungen gleichsam nur angelagert" (243f.). Das ist richtig, aber zu eng. Schindler nimmt nicht genügend zur Kenntnis, dass das Netzwerk der Wilderei weit über die bäuerliche Sphäre hinausreichte. Auch bei den Motiven ist die Verengung der Wilderei auf die bäuerliche Kultur verfehlt. Adel und Klerus erwehrten sich ebenfalls der Beschneidung ihrer Rechte, auch für sie gab es Gründe, dem Fürsten zu trotzen und seine Jäger in die Schranken zu verweisen. Dafür liefert Schindler selber Beispiele (135f.). Schließlich weist er darauf hin, dass es eine allgemeine kulturelle Basis für Jagd und Wilderei gab. Auch die illegalen Wildschützen hätten sich an gewisse Normen wie Schonzeiten und einen rudimentären waidmännischen Kodex gehalten; sie stuften sich selbst als Jäger ein.

Anstatt eine realistische Abwägung des Anteils der Wilderei am Untergang des geistlichen Staates vorzunehmen, verklärt Schindler die Wilderer zur Speerspitze der Revolution. Dazu will allerdings nicht so recht passen, dass es den Schützen nur in wenigen Ausnahmefällen einzig und allein um das Eintreten für bäuerliche Rechte ging. In der Regel waren ihre Motive 'durchmischt'. Meist standen persönliche Interessen materieller oder psychischer Art im Vordergrund. Zudem war ihr Sieg nur ein vorläufiger, weil die Salzburger Zentralbehörden in den letzten Jahren des Ancien Régime den Kampf gegen sie lediglich verschoben hatten.

Mitverantwortlich für den Kulturalismus und die Schwächen des Buches ist Schindlers Erkenntnisinteresse. Es ist weniger auf die Wilderei selbst ausgerichtet, denn auf diese "als Sonde [...], um etwas tiefer in das Selbstverständnis der bäuerlichen Kultur vorzudringen" (325). Daraus resultieren jedoch auch seine Stärken. Die wichtigste liegt darin, die Aufmerksamkeit auf einen zentralen Aspekt der Wilderei zu lenken, der bislang - wohl auch wegen der meist unergiebigen Quellen - vernachlässigt wurde, nämlich auf die Wilderei als Gegentheater zu den Ansprüchen und dem Auftreten der feudalabsolutistischen Fürsten. Leider tendiert Schindler dazu, diesen Aspekt zu verabsolutieren. Damit erweist er nicht nur sich, sondern auch der Kulturgeschichtsschreibung einen Bärendienst. Dennoch ist aus dem Buch sehr viel zu lernen und zu erfahren, und es enthält meisterliche Passagen, die so spannend komponiert sind, dass man sie in einem Zug zu Ende lesen muss. Das gilt vor allem für den Kampf um das Blühnbachtal, die Auseinandersetzung in der Salzburger Regierung um die Wildereipolitik und für die Geschichte vom Bluntaumüller und seiner Frau.

Anmerkung:

[1] Vergleiche dazu bereits Winfried Freitag: Das Netzwerk der Wilderei. Wildbretschützen, ihre Helfer und Abnehmer in den Landgerichten um München im späten 17. Jahrhundert, in: Andreas Blauert / Gerd Schwerhoff (Hg.): Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne, Konstanz 2000, S. 707-757.

Redaktionelle Betreuung: Nils Freytag

Empfohlene Zitierweise:

Winfried Freitag: Rezension von: Norbert Schindler: Wilderer im Zeitalter der Französischen Revolution. Ein Kapitel alpiner Sozialgeschichte, München: C.H. Beck 2001, in: PERFORM 3 (2002), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=186>

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