header

Hans Pleschinski (Hg.): Ich werde niemals vergessen, sie zärtlich zu lieben. Madame de Pompadour. Briefe, München: Carl Hanser 1999, 448 S., ISBN 3-446-19753-2, DM 49,80

Rezensiert von:
Wolfgang Burgdorf
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Der Münchener Romancier Hans Pleschinski hat sich verliebt. Dies ist nicht verwunderlich, einem Romancier durchaus angemessen. Verwunderlich ist, dass er sich in eine Dame verliebt hat, die sich den irdischen Nichtigkeiten bereits vor 236 Jahren entzogen hat, in die Herzogin-Marquise de Pompadour (1721-1764), Baronne de Brette, La Rivière und Saint-Cyr-la Roche, Dame de Crécy-Couvé, Tréon, Aunay, Garancières, Le Boullay-les-deux-Eglises, Saint-Rémy-sur-Avre, Boißy-en-Drouais und anderen Orten. Beweisstück dieser Hingabe ist die hier anzuzeigende Auswahledition der Briefe der Pompadour, welche Hans Pleschinski mit Zwischentexten versehen hat. Anders als die ebenfalls vom Herausgeber besorgte Edition des Briefwechsels zwischen Voltaire und Friedrich II., dokumentieren die nun in deutscher Sprache in Auswahl edierten Briefe einer der bekanntesten Frauen der Weltgeschichte nicht nur den Esprit des Ancien Régime mit seinen zuweilen unwiderstehlich bösartigen bon mots, sondern auch den unvergleichlichen Charme des Ancien Régime und die hohe Kunst der Liebenswürdigkeit.

Die chronologisch geordneten Briefe spiegeln die Karriere der Mademoiselle Poisson, der Tochter eines Armeelieferanten, ihren Aufstieg aus einer eher zweifelhafter Reputation zur Gemahlin des Monsieur d´Étiolles und von dort zur Geliebten des Königs von Frankreich, Ludwig des Vielgeliebten, der den Zeitgenossen als der schönste Mann des Reiches galt. Solches Glück war den Mätressen des 18. Jahrhunderts in der Regel nicht beschieden. In dieser Stellung wurde Madame zur Gesprächspartnerin von Fürsten und Philosophen. Sie korrespondierte mit Diderot und Montesquieu, hielt ihre schützende Hand über die Enzyklopädisten, die Aufklärung, die Künste und sie hätte auch Rousseau gerne unterstützt, in dessen ungalanter Ablehnung sich jedoch bereits der Dogmatismus einer neuen Zeit äusserte, für den die Pompadour kein Verständnis aufbrachte. Um so aufnahmefähiger war sie hingegen für die Anregungen Voltaires, der anfänglich ihre Liebesbriefe korrigierte. Sich viele Jahre auf dem Zenith der königlichen Gunst haltend entschied Madame de Pompadour über den Sturz von Ministern und Marschällen, über Krieg und Frieden in Europa. Einen französischen Feldherrn ließ sie wissen: "Ich erröte, wenn ich sehe, daß Sie weniger Mut haben als ich", während sie einem anderen schreiben konnte: "Ich danke Ihnen für Ihren Brief und ihre Eroberung". Sogar der Papst korrespondierte mit ihr, die den Erzbischof von Paris ermahnte, sich mehr um die menschliche Güte und weniger um die Glaubensverfolgung zu kümmern und nicht zu vergessen, dass er zunächst Untertan und dann erst Bischof sei.

Am Ende ihrer 19jährigen Herrschaft wartete der junge Mozart ihr in ihrem Pariser Stadthaus, dem späteren Élysée-Palast, "wie einer natürlichen europäischen Instanz auf". Gestaltungswille und das Streben nach bleibendem Ruhm prägten sie. Sie verstand es, jedem Menschen zu begegnen, niemand vermochte sich ihrer durch nichts zu rekonstruierenden Ausstrahlung zu entziehen. Wohl nie wieder haben zwei Wangengrübchen in Verbindung mit einem Lächeln solche Macht ausgeübt. Zwar wurde Madame zuweilen von ihren Günstlingen enttäuscht, doch war sie insgesamt eine kluge Frau, die auch gelegentlich zu scharfen Urteilen neigte. Von den Russen sagte sie, "sie gleichen den deutschen Fürsten, jedermanns Freund, wenn man sie bezahlt". Überhaupt "Deutschland, dieses Land des Hochmuts und des Elends, wo man bei jeden Schritt auf Fürsten und Bettler trifft". Es sei "im Grunde nicht schlecht, diese kleinen Fürsten ein bißchen zu demütigen, die ihre Untertanen bis aufs Hemd ausnehmen, um in Paris glänzen zu können". Den Plan des Abbé de Saint-Pierre für einen Ewigen Frieden hielt sie, die Herrin der Macht, für "die Träumerei eines einfältigen Bürgers". Anläßlich des Umbaus des späteren Élysée-Palastes äußerte sie: "Überall wird über Bausucht gespottet. Ich stehe voll und ganz zu dieser angeblichen Besessenheit, die so vielen Elenden Brot gibt". Den französischen Botschafter in London bedauerte sie schon 1753, vor dem Ausbruch des Rinderwahnsinns, "im Lande des Rosbif und der Frechheit leben zu müssen".

In den Briefen der Madame de Pompadour entfaltet sich nicht nur ein großer Charakter in Verbindung mit eiserner Willenskraft und Disziplin, sondern auch eine Kulturgeschichte des französischen Hofes zur Zeit Ludwigs XV. Ihre Korrespondenz enthüllt tödliche Spiele der Macht ebenso wie tiefste Melancholie und Sehnsucht nach Ruhe; an ihren Bruder schrieb sie: "Ich gratuliere Ihnen und wünsche Ihnen Wohlergehen und keine Reue".

Ohne dass es andere bemerkten, ruinierte die Pompadour durch permanente Überanstrengung zuerst ihre Gesundheit - sie litt an Tuberkulose -, dann ihr Leben, und behielt doch stets die Contenance. Sie schlief selten länger als fünf, höchstens sechs Stunden, empfing bereits vor dem Frühstück Botschafter und Minister, schrieb bis zu hundert Briefe am Tag. Dabei entfernte sie sich niemals weiter als zweihundert Kilometer von Paris. Nachdem sie ihre über alles geliebte zehnjährige Tochter durch eine Blinddarmentzündung verloren hatte, schrieb der Herzog von Cory: "Da zuviel Schmerz ihrem Gesicht und vielleicht auch ihrer Stellung zu sehr geschadet hätte, fand ich sie weder verändert noch niedergeschlagen".

Bereits zu Lebzeiten wurde sie von mächtigen Feinden, teilweise Regierungsmitgliedern, mit Schmähschriften überhäuft. Das spezifisch auf sie gemünzte Genre, die sogenannten Poissonaden, entwickelte bald eine eigene Dynamik und verdeckte mit seinen Klischees das Bild dieser einzigartigen Frau. Obwohl es ihr "höchst unangenehm" war, auf diese Weise "Engländern und Lakaien als Zeitvertreib zur Verfügung zu stehen", war sie gleichwohl in der Lage, "erlesene Niederträchtigkeiten" über sie in eigenen Briefen weiterzugeben. So schrieb sie einer Freundin, dass sie bei einem Spaziergang mit dem Marschall von Sachsen im Park von Versailles gehört habe, wie jemand laut sagte, "da ist der Degen des Königs und seine Scheide".

Die Briefe der Pompadour, die ihre beeindruckende Persönlichkeit widerspiegeln, sind besonders in Deutschland eine echte Entdeckung, wo ihr Bild durch die preußische Propaganda des Siebenjährigen Krieges verzerrt wurde. Ältere deutsche Übersetzungen aus der Zeit unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg sind sinnentstellend selektiv, lust- und frauenfeindlich, nationalistisch und durch eine "moralische" Vorverurteilung geprägt. Sie sollten dazu dienen, die Überlegenheit der deutschen Kultur über die französische Zivilisation zu beweisen.

Insofern trifft es sich glücklich, dass Hans Pleschinski Madame de Pompadour erlegen ist und uns ein grandioses Lebens- und Epochenbild geliefert hat. Der Historiker mag es bedauern, dass es sich nur um eine Auswahl der Briefe handelt und insbesondere ein Index fehlt, doch dem unbeschreiblichen Reiz der Dame kann auch er sich schwerlich entziehen. Ihre letzten überlieferten Worte richtete sie vom Sterbebett an ihren Priester: "Warten Sie noch einen Augenblick, Monsieur le Curé, wir werden gemeinsam aufbrechen." Als ein Aprilregen die Fackeln ihres von Dienern und Schweizer Garden nach Paris begleiteten Totenzugs löschten, soll der wortscheue Ludwig XV. hinter einem der vielen Fenster von Versailles gesagt haben: "Madame hat sich einen schlechten Reisetag ausgesucht".

Empfohlene Zitierweise:

Wolfgang Burgdorf: Rezension von: Hans Pleschinski (Hg.): Ich werde niemals vergessen, sie zärtlich zu lieben. Madame de Pompadour. Briefe, München: Carl Hanser 1999, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=18>

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieser Rezension hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse ein.

footer