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Mario Zeck: "Im Rauch gehen Himmel geschüggt". Hexenverfolgungen in der Reichsstadt Rottweil, Stuttgart: Ibidem 2000, 197 S., ISBN 3-89821-043-0, DM 49,00

Rezensiert von:
Johannes Dillinger
Fachbereich III, Fach Geschichte, Universität Trier

Bei Zecks Arbeit zu den Hexenverfolgungen in Rottweil handelt es sich um die überarbeitete Fassung einer Tübinger Staatsexamensarbeit aus dem Jahr 1995. [1]

Zeck erschließt die ökonomische, soziale und administrative Struktur der Reichsstadt Rottweil. Das von ihr beherrschte, außerordentlich große Territorium wird mit seinen komplizierten Jurisdiktionsverhältnissen erschöpfend dargestellt. Eine Karte fehlt.

Die Hexenimagination, die sich in den Rottweiler Quellen greifen lässt, erweist sich als stark von der dämonologischen Hexenlehre beeinflusst. Ohne unmittelbar nachweisbare Beeinflussung durch den katholischen Ortsklerus wurden Hexereiverdächtigungen vornehmlich während ökonomischer Krisen wegen Missernten laut. Darüber hinaus kann Zeck nachweisen, dass Epidemien zu einer signifikanten Intensivierung der Hexenverfolgung in Rottweil führten. Die Lokalstudie bestätigt insofern bekannte große Trends der Hexenverfolgung.

Zwischen 1525 und 1701 erlebte Rottweil 287 Hexenprozesse, Verfolgungsschwerpunkte bildeten sich wie in zahlreichen anderen deutschen Territorien in den beiden letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts und Ende der 1620er Jahre aus. Nicht weniger als 266 Verfahren endeten mit einem Todesurteil. Auch in Rottweil war Hexerei eindeutig ein 'weibliches' Delikt: Nur 53 Angeklagte waren Männer. Ein schlichtes Säulendiagramm gibt Auskunft über die chronologische Verteilung der Prozesse und Todesurteile. Eine Differenzierung nach männlichen und weiblichen Prozessopfern, die mit geringfügigem Mehraufwand hätte geleistet werden können, bleibt aus.

Die Mehrzahl der Opfer der Verfolgungen stammte aus den Dörfern des Rottweiler Territoriums. Sie kamen größtenteils aus der unterbäuerlichen Randgruppe der Bettler, Tagelöhner und Vaganten. Zeck deutet die Hexenverfolgung Rottweils entlang der von Macfarlane und Schindler beschriebenen Linie überzeugend als Teil eines Schichtenkonflikts. [2] Die städtische und dörfliche Mittel- und Oberschicht als Träger der Verfolgung vermutete die Diener des Teufels in der von ihr als bedrohlich empfundenen, scheinbar stetig wachsenden Gruppe der Armen und Fremden. Umgekehrt sieht Zeck eine wesentliche Ursache für das Ende der Hexenverfolgung im Zusammenbruch der gewachsenen sozialen Strukturen im Dreißigjährigen Krieg: Bevölkerungsverluste und Wanderungsbewegungen verwischten die vordem überscharfen 'Klassen'-Grenzen und verwandelten den Zuwandernden vom belastenden Armen in eine dringend benötigte Arbeitskraft. Obwohl er Hexenprozesswellen und die periodische Ausweisung von "Unbürgern" parallelisiert, überfordert Zeck sein Quellenmaterial nicht mit Spekulationen über eine 'Instrumentalisierung' der Hexenprozesse. Methodisch sorgfältig beschreibt er Hexereiverdacht nicht als Mittel zum Zweck, sondern als genuine Äußerung sozialen Misstrauens mit dem Vokabular einer populären Dämonologie. [3] Ein ausführlich dargestellter Prozess illustriert Genese und Entwicklung eines Hexereigerüchts als Funktion von als feindlich erlebten Verhaltensweisen und ihrer Deutung im gesellschaftlichen Umfeld.

Problematisch ist, dass Zeck bei seiner Analyse die Hexenverfolgungen als statische Gegebenheit darstellt, obwohl sie sich über eine Periode von fast zweihundert Jahren hinzogen. Ob sich während dieser Zeit das Opferprofil veränderte, etwa im Hinblick auf das Alter, das Geschlecht, die soziale Position der Angeklagten und ihre Herkunft aus der Stadt Rottweil oder ihrem ländlichen Umland, erfahren wir nicht.

Zeck erklärt den hohen Anteil an Todesurteilen mit der Struktur der Rottweiler Kriminalgerichtsbarkeit, die juristische Kompetenzen in einem nur fünfköpfigen Gremium bündelte, das durch seine personelle Verbindung zum in Rottweil ansässigen kaiserlichen Hofgericht hohe Autorität genoss und keinerlei Kontrolle unterworfen war. Das in der Reichsstadt übliche Verfahren bei Hexenprozessen wird detailliert dargestellt.

Der Gefahr, seinen Forschungsgegenstand in insularer Vereinzelung nach Art von 'Heimatgeschichte' zu betrachtet, begegnet Zeck mit zwei Strategien: Erstens werden Rottweils Außenbeziehungen, die Kooperation des reichsstädtischen Justizapparats mit dem anderer Territorien, Amtshilfe und der Austausch von Besagungen ausführlich thematisiert. Im großen und unklar umgrenzten Territorium Rottweils bildet sich deutlich die Prägung der Prozesspraxis durch die territorialen Realitäten und Sachzwänge Südwestdeutschlands ab: Der interterritoriale Informationsaustausch über Denunziationen, aber auch politische Konflikte über Jurisdiktionsgrenzen erweisen sich einmal mehr als wesentliche Konditionen von Verfolgungen. Darüber hinaus wird zweitens Rottweil immer wieder vergleichend in Beziehung zu anderen südwestdeutschen Herrschaften und Reichsstädten gesetzt.

Dem Text schließt sich ein chronologisches Verzeichnis aller im Stadtarchiv Rottweil aufbewahrten Geständnisse und Urfehden aus Hexenprozessen mit genauer Archivsignatur an. Insbesondere Familienforscher dürften diesen über die Quellennachweise in den Anmerkungen hinausgehenden Service begrüßen. Die Bibliografie listet die Standardtexte zur Historiografie der Hexenprozesse ebenso wie eine umfassende Auswahl von Literatur zur Lokalgeschichte Rottweils auf. Angesichts der Fülle von Orts- und Personennamen sowie der großen Zahl von narrativen Episoden hätte man sich ein Register gewünscht.

Ausstattung und Layout des Buches entsprechen seiner inhaltlichen Qualität nicht. Insofern erscheint der Preis des schmalen Bandes sehr hoch.

Zecks Arbeit ist eine vorbildliche Lokalstudie und ein wichtiger neuer Beitrag zur Geschichte der Hexenprozesse im deutschen Südwesten.

Anmerkungen:

[1] Knappe Zusammenfassungen seiner Ergebnisse hat Zeck bereits publiziert, vgl. Mario Zeck: Reichsstadt Rottweil, in: Sönke Lorenz (Hg.): Hexen und Hexenverfolgung im deutschen Südwesten, Aufsatzband, Ostfildern 1994, 381-387.

[2] Alan Macfarlane: Witchcraft in Tudor and Stuart England, London 1970, ND Prospect Hights 1991, kompakt zusammenfassend S. 151. Norbert Schindler: Die Entstehung der Unbarmherzigkeit, in: Ders. (Hg.): Widerspenstige Leute. Studien zur Volkskultur in der frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. 1992, 258-314.

[3] Johannes Dillinger: "Böse Leute." Hexenverfolgungen in Schwäbisch-Österreich und Kurtrier im Vergleich (= Trierer Hexenprozesse. Quellen und Darstellungen, Bd. 5), Trier 1999, 196-233.

Redaktionelle Betreuung: Gudrun Gersmann

Empfohlene Zitierweise:

Johannes Dillinger: Rezension von: Mario Zeck: "Im Rauch gehen Himmel geschüggt". Hexenverfolgungen in der Reichsstadt Rottweil, Stuttgart: Ibidem 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 5, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=173>

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