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Wolfgang Reinhard / Heinz Schilling (Hg.): Die katholische Konfessionalisierung. Wissenschaftliches Symposion der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum und des Vereins für Reformationsgeschichte 1993 (= Reformationsgeschichtliche Studien und Texte; Bd. 135), Münster: Aschendorff 1995, 472 S., ISBN 3-402-03797-1, DM 148,00

Rezensiert von:
Werner Freitag
Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg

Ein Sammelband ist anzuzeigen, der die Forschungen zur katholischen Konfessionalisierung bilanzieren und gleichzeitig Impulse für weitere Forschungen geben will. Deshalb kann es bei dieser Rezension nicht darum gehen, alle Beiträge zu referieren. Vielmehr soll die Betrachtung darauf abzielen, inwieweit die vorgestellten Artikel dem Konzept Konfessionalisierung geschuldet sind und welche Erträge sie anbieten.

Die Faszination des Konfessionalisierungskonzeptes von Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling ergab sich aus der Forschungslandschaft der späten 1970er und frühen 1980er Jahre: Konfessionalisierung versprach in Heuristik und Kategorien Theologie-, Struktur-, kirchliche Rechts-, Verfassungs-, Mentalitäts- und Sozialgeschichte zu verbinden. Das Konzept führte die Verfassungsgeschichte aus der 'absolutistischen Sackgasse' und modifizierte die Überlegungen Zeedens zur Konfessionsbildung entscheidend. Beide Autoren insistierten darauf, den frühneuzeitlichen Modernisierungsprozess, der vor allem an der inneren Staatsbildung festgemacht wurde, mit der inneren Kirchenbildung zu verbinden.

Konfessionalisierung ist in der Folgezeit zum Zauberwort geworden - die beiden Sammelbände zur lutherischen und reformierten Konfessionalisierung sind sicherlich an erster Stelle anzuführen. Andererseits hat der Rezensent den Eindruck, dass, je länger je mehr, alter Wein in neue Schläuche gefüllt worden ist. Man denke hier insbesondere an die dem Konfessionsbildungskonzept verpflichteten sechs Sammelbände von Schindling/Ziegler.

Der Tagungsband setzt zu Recht beim Selbstverständnis der kirchlichen Hierarchie an, um dann auf die kirchlichen Institutionen einzugehen. Anschließend wird die Territorialisierung des Religionswesens (Willoweit) behandelt. Schon bei der Gliederung des Bandes fällt aber auf, dass das Kirchenvolk bzw. die Sozialdisziplinierung nur in ganz wenigen Aspekten dargestellt wird.

Für Klaus Ganzer ist das beherrschende theologische Thema des Konzils von Trient die Ablehnung der lutherischen Rechtfertigungslehre. Diese Abgrenzung führte zum (vorläufigen) Ende innerkatholischer Reformströmungen. Die tridentinische Ekklesiogie (Dorothea Wendebourg) erhielt durch den äußeren Feind eine Stärkung Roms, auch wenn es zu keiner formalen Festschreibung des päpstlichen Primats kam. Bei den Lehrdekreten wurde die Kirche ganz im Sinne der Tradition verstanden; die hl. Schrift gab nur einen Teil davon ab, so dass Angriffe der Reformatoren innerhalb des "geschlossenen Systems" keinen Ansatzpunkt mehr fanden. Bei Maron und Bireley finden sich Anbindungen an die Überlegungen von Reinhard und Schilling: Gottfried Maron beschreibt die Vereinheitlichung der Liturgie, ein für die katholische Konfessionalisierung ganz wesentliches Moment. Die nachtridentinische Kodifikationsarbeit führte zum Catechismus Romanus, Breviarium Romanum, Pontifikale und Rituale Romanum. Aus diözesaner Mannigfaltigkeit wurden römische Zentralisierung und Uniformierung. Robert Bireley beschreibt Entstehung und Zielsetzung der neuen Orden, für ihn "Hauptagenten der Christianisierung und Konfessionalisierung". Der Autor hebt insbesondere auf die Katechese ab und verweist auf die von Jesuiten, Ursulinen und anderen Orden ausgelöste Bildungsrevolution, die mit intensiverer Seelsorge einherging. Keinerlei Berührungspunkte mit dem Konfessionalisierungskonzept haben die Artikel von Ronnie Po-chia Hsia und Martin Heckel. Hsias Schilderung der Missionstätigkeit ist zwar spannend, hat jedoch keine Rückbindung zum Reich und zum katholischen Europa. Heckel stellt gekonnt wie immer die reichskirchenrechtlichen Rahmenbedingungen dar, greift aber den idealtypischen Zugriff des Konzepts und dessen modernisierungstheoretische Implikationen an (vgl. 187, Anm. 6).

Demgegenüber betrachtet Dietmar Willoweit katholische Territorien des 16. und 17. Jahrhunderts, um den Zusammenhang von Staatsbildung und Konfession aufzuzeigen. Dazu verweist er zunächst auf das spätmittelalterliche Kirchenregiment der Landesherren und geht dann auf den auch für katholische Landesherren bestehenden Zwang zur Konfessionalisierung ein, der zur konfessionellen Homogenität der Beamtenschaft und zum Aufbau frühmoderner Kirchenverwaltung führte. Anschließend hebt er auf die Motive und Umsetzungen der disziplinierenden Impulse des staatlichen und kirchlichen Rechts und der Landes- und Polizeiordnungen ab. Kirchliches Recht mündete in staatliche Verhaltenssteuerung, so seine überzeugende These: Christenpflichten und Untertanengehorsam standen in Zusammenhang, was Mehrkonfessionalität der Bevölkerung ausschloss. Ähnlich innovativ ist Angelo Turchinis Beitrag zur konfessionellen Bürokratisierung in Bayern und Mailand. Der Autor verbindet Konfessionalisierung mit einem weiteren Basisprozess der frühen Neuzeit, nämlich der Bürokratisierung. Er betrachtet die "Stabsdisziplinierung" (Oestreich) des Klerus. Harald Dickerhoff beschreibt die Neugründungen von Bildungseinrichtungen. Fast in jedem Hochstift wurden "Semiuniversitäten" mit philosophischen und theologischen Studiengängen gegründet. Ihr Zweck, so Dickerhoff, war die Ausbildung der städtischen und staatlichen Eliten sowie des Klerikernachwuchses. Er zeigt die konfessionell bestimmten Lehrinhalte der jesuitischen Einrichtungen auf und bestätigt die Reinhardschen Überlegungen zur Modernität des territorialisierten Bildungswesens. Allerdings hätte die Nachfrage nach dem katholischen Bildungsangebot noch besser aufgezeigt werden können, denn nur so kann erklärt werden, wie die jesuitischen Bildungsimpulse ein spezifisch konfessionelles Klima ermöglichten. Ich verweise hier auf Hsias Studie über Münster. Anne Conrad verbindet außerordentlich anregend geschlechtergeschichtliche Perspektiven mit dem Konfessionalisierungskonzept. Die Bildungsoffensiven des Tridentinums eröffneten gebildeten Frauen neue Betätigungsfelder abseits von Kloster und Ehe. Sie konnten bei Katechese und Mädchenbildung eine maßgebliche Rolle einnehmen. Dies führte zu einem 'Eigentor' der (männlichen) Kirchenhierarchie, denn in der Praxis, wie Conrad an ihrer Fallstudie zur Kölner Ursulasodalität belegt, zeigten sich organisatorische Unabhängigkeiten und eine Klerikalisierung der Frauen bis hin zum männerlosen Abendmahl. Diese Alternativen bot das Luthertum mit seiner Fixierung auf den "heiligen Haushalt" (Lyndal Roper) nicht, so dass auch aus dieser Perspektive die Attraktivität des weiblichen Semireligiosentums und die Erfolge im Bildungswesen verständlich werden.

Während also für den Bildungssektor und die katholischen Eliten, Konzilsväter, Kleriker und "Klerikerinnen", im Tagungsband Aufschlussreiches zu finden ist, wird den Erfolgsbedingungen tridentinischer Frömmigkeit und Disziplinierungen bei den Gläubigen in Stadt und Land kaum nachgegangen. Marc Venard beschreibt zwar für das Frankreich des 16. Jahrhunderts, dass sich die konfessionellen Vorstellungen der Bischöfe und ihrer Prediger mit den Erwartungen und Vorlieben der Bevölkerung trafen und dass auf diese Weise die Ausgrenzung und Unterdrückung der Hugenotten mit ermöglicht wurden, doch findet sich zur Frömmigkeit wenig. Auch der an sich interessante Artikel von Heribert Smolinsky über Ehespiegel betrachtet die Neudefinition des ehelichen Zusammenlebens ausschließlich von den Ideen und Konzepten her. Eine Studie über die konfessionelle Prägung des Zusammenlebens der Geschlechter steht aus.

Der einzige Beitrag, der sich dezidiert mit der Volksfrömmigkeit beschäftigt, behandelt in vergleichender Perspektive die Einführung des tridentinischen Katholizismus in Elsass und Lothringen 1500-1650 (Louis Chatelier). Allerdings sind Chateliers Ausführungen zum Erfolg von Heiligen- und Reliquienverehrung, Bruderschaften und Wallfahrten viel zu kurz (3 Seiten), um die religiösen Vorstellungen der Gläubigen zu ergründen.

In seinem Schlusswort fasst Reinhard die Diskussion zusammen und sucht danach, die Propria katholischer Konfessionalisierung zu benennen. Als Besonderheiten der katholischen Konfessionalisierung hebt er erstens auf die fortlebenden Traditionsbestände in Frömmigkeit und Kirchenverständnis ab, zweitens auf die institutionelle Kontinuität, drittens auf den Klerus, der sich weiterhin als geistlicher Stand definierte. Ferner betont er das im Vergleich zum Protestantismus unterschiedliche Verhältnis von Kirche und Staat und die im Katholizismus so typische Volksfrömmigkeit, die auf "Fremdkonfessionalisierung" und "Selbstkonfessionalisierung" beruht habe. Für diesen Bereich fordert er, dies wohl in zutreffender Einschätzung der Defizite der Tagung, weitere Studien ein.

Es stellt sich zudem für Reinhard (wie auch für den Rezensenten) die Frage, wie heutzutage mit dem einstmaligen Einbau des Modernierungsdiskurses umzugehen sei. Reinhard verweist auf die inzwischen konsensfähige Auffassung, bei der Bewertung des Prozesses auch die Ambivalenzen aufzuzeigen. Damit setzt sich Reinhard deutlich vom ausschließlich deskriptiven Modernisierungsbegriff ab, den Schilling in seinem Beitrag im gleichen Band starkzumachen sucht (vgl. auch 124).

Reinhard verteidigt das Vorgehen mit dem Idealtypus Konfessionalisierung und antwortet insofern auch auf die neohistoristische Kritik. Sie sei in dem hermeneutischen Dogma befangen, dass nur das Individuum "historisch wahr" sein könne. Obwohl der Rezensent diese erkenntnistheoretische Erwägung Reinhards aus vollem Herzen bejaht, kann er nur mit Bedauern feststellen, dass die Kritik der so genannten neueren Kulturgeschichte und Neohermeneutik in einem zutrifft: Das Konzept - der Band bestätigt dies - berücksichtigt nur elitenproduzierte Quellentexte und ist von daher sehr kopflastig. Der gesamtgesellschaftliche Ansatz des Konzepts erfordert insofern seine Vertiefung auf der "Mikroebene".

Gleichwohl: Diejenigen Historiker, für die das "Schon" zentrales Moment der Frühen Neuzeit ist, kommen an der heuristischen Kraft des Konzepts Konfessionalisierung nicht vorbei. Dieses aufzuzeigen, ist das besondere Verdienst des Sammelbandes.

Redaktionelle Betreuung: Ute Lotz-Heumann

Empfohlene Zitierweise:

Werner Freitag: Rezension von: Wolfgang Reinhard / Heinz Schilling (Hg.): Die katholische Konfessionalisierung. Wissenschaftliches Symposion der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum und des Vereins für Reformationsgeschichte 1993, Münster: Aschendorff 1995, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 5, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=168>

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