header

Christopher F. Laferl / Christina Lutter (Bearb.): Die Korrespondenz Ferdinands I. Bd. 4: Familienkorrespondenz 1533 und 1534 (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs; Bd. 90), Wien: Böhlau 2000, 398 S., ISBN 3-205-99172-9, DM 119,90

Rezensiert von:
Heide Stratenwerth
Konstanz

Mit dem hier anzuzeigenden vierten Band der Korrespondenz Ferdinands I. liegt nun die Familienkorrespondenz des Römischen Königs aus den Jahren 1533 und 1534 vor. Es handelt sich dabei ganz überwiegend um die Korrespondenz Ferdinands mit seinem Bruder, Kaiser Karl V., und seiner Schwester Maria, Königinwitwe von Ungarn und Statthalterin des Kaisers in den Niederlanden. Der Ausdruck "Familienkorrespondenz" bezeichnet indessen keinen Briefwechsel aus emotionaler Verbundenheit, sondern politische Korrespondenz unter Herrschern, deren Leben, Status und Interessen durch ihre Zugehörigkeit zum Hause Habsburg bestimmt waren; in der politischen Dimension liegt ja auch vor allem die Bedeutung dieser Korrespondenz für die Geschichtswissenschaft. Es lässt sich kaum ein Thema der europäischen und Reichsgeschichte dieser Jahre denken, das nicht seine Resonanz in der Korrespondenz der drei Geschwister gefunden hätte.

Der vorliegende Band wurde bearbeitet von Christopher F. Laferl und Christina Lutter; er setzt die Edition der Familienkorrespondenz Ferdinands I. fort, die 1912 von Wilhelm Bauer begonnen wurde und dank der Initiative von Christiane Thomas und Herwig Wolfram in den 1970er Jahren wiederaufgenommen und weitergeführt werden konnte. Christiane Thomas, die Bearbeiterin des dritten Bandes und gleichermaßen Leiterin wie Seele des Unternehmens, hat auch an der Entstehung dieses Bandes entscheidenden Anteil gehabt, seine Fertigstellung aber nicht mehr erleben dürfen; die Bewahrung des hohen editorischen Standards durch ihre jüngeren Kollegen hätte ihr gewiss zur Freude gereicht.

Die Kommission für Neuere Geschichte Österreichs ist mit diesem Band ihrem Ziel, die Familienkorrespondenz Ferdinands I. vollständig zu publizieren, ein weiteres gutes Stück näher gekommen. Man mag zwar bedauern, dass auf Grund der seinerzeit von Wilhelm Bauer entworfenen und seither durchgehaltenen Konzeption die Korrespondenz der übrigen habsburgischen Familienmitglieder unbeachtet bleibt, namentlich die Korrespondenz Karls V., soweit es sich nicht gerade um den Briefwechsel des Kaisers mit Ferdinand selbst handelt. Indessen schafft die ausführliche und sorgfältige Kommentierung jedes einzelnen Briefs - seit Christiane Thomas geradezu Markenzeichen dieser Edition - einen gewissen Ausgleich, denn die Kommentare berücksichtigen, wo immer möglich und tunlich, eben jene Briefe, die aus konzeptionellen Gründen von der Edition ausgeschlossen sind. Editorische Vorteile bietet eine solche Beschränkung allemal, und sie erhöht zudem die Chance, die Edition der Familienkorrespondenz jedenfalls Ferdinands in absehbarer Zeit abzuschließen. Um so wünschenswerter ist daher die entschlossene Fortführung dieses Editionsvorhabens.

Die Schwierigkeiten einer Edition der Familienkorrespondenz Ferdinands unterscheiden sich nicht unwesentlich von denen vieler anderer frühneuzeitlicher Briefeditionen. So stellt sich zwar das Problem einer Auswahl der Briefe nicht, dafür jedoch um so stärker das ihrer Vollständigkeit: Die Korrespondenz der Habsburger ist nämlich auf eine Vielzahl europäischer Archive aufgesplittert - die wichtigsten sind Wien, Brüssel und Simancas - und liegt auch dort nicht nur in geschlossenen Beständen vor. Zudem ist auf die Mehrsprachigkeit der Korrespondenz hinzuweisen, denn das Briefcorpus umfasst nicht nur französische, sondern auch deutsche, spanische und lateinische Schreiben. Deren Lektüre stellt zum Teil hohe Anforderungen an die paläographischen Fähigkeiten der Bearbeiter, befinden sich doch unter den Briefen zahlreiche eigenhändige Briefe der drei Korrespondenzpartner. Jede dieser Schwierigkeiten nun ist schon für sich erheblich, doch vor allem in ihrer Verbindung stellen sie eine besondere Hürde für das Verständnis der Briefe dar. So bedienen sich die drei habsburgischen Geschwister in ihren eigenhändigen Briefen zwar in der Regel des Französischen, das sowohl Karl und Maria als auch Ferdinand flüssig schreiben, doch Ferdinand und Maria waren ursprünglich in anderen Sprachen zu Hause: Maria im Deutschen und Ferdinand im Spanischen. Daraus resultiert - namentlich bei Ferdinand - eine durchaus eigenwillige Handhabung des Französischen in Syntax und Orthographie, die das Verständnis der Texte beträchtlich erschwert, gerade auch, wenn sie flüchtig geschrieben sind. Schließlich besteht eine spezifische Schwierigkeit bei der Edition der habsburgischen Familienkorrespondenz darin, dass in den Briefen zahlreiche und ganz unterschiedliche Gegenstände, Personen und Zusammenhänge thematisiert werden, ohne dass auf Anhieb verständlich würde, wovon jeweils die Rede ist: Die Breviloquenz der Briefe und die Behandlung hochpolitischer Fragen in bloßen Andeutungen ist geradezu notorisch. Natürlich wussten die Briefpartner, was jeweils gemeint war, denn diese Besonderheit der habsburgischen Familienkorrespondenz ist ja gerade eine Folge ihrer enormen Dichte; doch Leser und Editoren müssen sich das Verständnis durch die Lektüre einer ganzen Reihe weiterer Briefe - und zwar keineswegs bloß aus der Familienkorrespondenz - erst aneignen.

Die Bearbeiter haben all diese Schwierigkeiten bravourös gemeistert. Von dem Streben nach Vollständigkeit der Korrespondenz zeugen eindrucksvoll die Übersichten über die durchgesehenen Bestände (11-13) und das chronologische Verzeichnis der Briefe und erschlossenen Deperdita (13-18). Aus dem Jahre 1533 können die Bearbeiter 56 Briefe vorlegen, deren Absender oder Empfänger Ferdinand ist, davon 43 auf französisch und 13 auf deutsch, aus dem Jahre 1534 64 Briefe, davon ebenfalls 43 auf französisch und 21 auf deutsch. Erstaunlich hoch ist die Anzahl der erschlossenen Deperdita, nämlich für 1533 schon 72 Briefe und für 1534 sogar 97 Briefe. Eigenhändig sind in beiden Jahren über 30 Briefe. Nach der vom ersten Band an durchgehaltenen Zählung der Briefe liegen jetzt ca. 850 Briefe aus der Familienkorrespondenz Ferdinands gedruckt vor. Der inhaltlichen Erschließung der Briefe dienen nach bewährter Manier Regesten, Kommentare und ein Register der vorkommenden Namen und Orte; für Sachbetreffe sind die Kommentare zu den einzelnen Briefen (mit Verweisen) heranzuziehen. Abgerundet wird der Band durch ein ausführliches Literaturverzeichnis. Nach dem Vorbild des Vorgängerbandes haben die Bearbeiter zahlreiche Lese- und Verständnishilfen gegeben, und zwar zum einen in den Regesten, zum anderen in der Transkription selbst. Die Regesten - sie sind zum Teil bereits Inhaltsreferate geworden - werden vielfach um solche Informationen ergänzt, die im Brieftext fehlen, für sein Verständnis aber ganz unverzichtbar sind; so werden etwa immer dann auch die Vornamen von Herrschern ergänzt, wenn im Brieftext nur der Dynastiename steht (zum Beispiel "(Christoph) von Württemberg"). In ähnlicher Weise sind die Bearbeiter auch den paläographischen Problemen und jenen des Sprachverständnisses beigekommen: Orthographische und syntaktische Eigenwilligkeiten der Korrespondenzpartner wurden nicht geglättet; da sie aber das Verständnis der Briefe teilweise nicht unerheblich erschweren, werden sie durch kurze Hinweise in Klammern erläutert (Beispiele: "... que j'ai esté propfete = prophète" (71); "de la gare = guerre" (139); "...à la serge = charge" (130); "en cas que l'on veyt = voit" (213). Diese Lese- und Verständnishilfen sind im Sinne einer noch besseren Benutzbarkeit der Edition auch in der akademischen Lehre sehr zu begrüßen. Dankbar nimmt man zudem die umsichtige und gründliche Erklärung der - oftmals eben bloß angedeuteten - Briefinhalte zur Kenntnis. Diese vorbildliche Kommentierung ist zwar enorm aufwendig, doch sie erleichtert den Umgang mit der Korrespondenz ganz enorm. Angesichts dieser editorischen Leistung fallen die wenigen Lese- oder gar nur Druckfehler, die den Bearbeitern überhaupt bloß bei der Transkription eigenhändiger Stücke unterlaufen sind und an keiner Stelle den Sinn entstellen, nicht ins Gewicht und vermögen den vorzüglichen Gesamteindruck nicht zu trüben.

Mit Gewinn und neuen Einsichten zu benutzen ist auch die Einleitung (Zum Verhältnis von Sprache und Inhalt (20-22), Gegenstände und Themen der Briefe 1533 und 1534 (22-43)). Hier interpretieren die Bearbeiter zunächst das Phänomen der Mehrsprachigkeit und gelangen zu einem interessanten Ergebnis, das hier kurz ausgeführt sei: So wurde nämlich das Deutsche vor allem zwischen Karl und Ferdinand benutzt, und zwar insbesondere dann, wenn Karl ein offizielles Schreiben an Ferdinand als seinen Statthalter im Reich richtete. Solche hoch formalisierten Schreiben waren bereits für einen größeren Adressatenkreis konzipiert worden, in der Annahme nämlich, Inhalt und Tenor würden sich am Hofe Ferdinands - und gewiss auch bei den Ständen - verbreiten. Oft gingen die deutschen Schreiben zudem mit ganz ähnlichem Inhalt auch direkt an die Reichsstände. Solche Schreiben dienten Karl V. vielfach zur Begründung seiner Maßnahmen gegenüber den Ständen, und insofern dienten sie auch der herrscherlichen Selbstdarstellung und letztlich der Gewährleistung der Herrschaft. Persönliche Mitteilungen der drei Geschwister, etwa über das gesundheitliche Befinden, über Geburten oder Jagderfolge, blieben den französischen Briefen vorbehalten, wobei ein persönlicher Ton in der Korrespondenz zwischen Ferdinand und Maria sehr viel öfter anklingt als zwischen Ferdinand und Karl.

Die Familienkorrespondenz Ferdinands wurde freilich auch in den Jahren 1533 und 1534 von den zahlreichen Themen der europäischen Politik beherrscht. Ausgesprochen nützlich ist es daher, dass die Bearbeiter diese Themen und Gegenstände vorstellen und dabei auch solche Zusammenhänge aufzeigen, die selbst in den Kommentaren nicht erfasst werden können; ohne ein gewisses Verständnis für die Zusammenhänge und Wechselwirkungen der europäischen Politik wird nämlich der Erkenntnisgewinn aus der Brieflektüre eher gering bleiben. Dieser Erkenntnisgewinn besteht vor allem darin, dass man Einsichten darüber zu gewinnen vermag, wie die Habsburger die europäische Lage eingeschätzt und welche Spielräume sie für ihre weitere Politik gesehen haben. Nicht umsonst gilt die politische Korrespondenz ja auch als das wichtigste Instrument der politischen Kommunikation im Regierungssystem Karls V. Dafür ein Beispiel: Maria entwickelt im Mai 1533 ihrem Bruder Ferdinand, dass sich nach dem Tod des Königs von Dänemark die Kriegsgefahr im Norden ihres Erachtens verringert habe, weil dessen Nachfolger Kontakt zu ihr aufgenommen habe; um einen Krieg zu vermeiden, seien nun aber - und das ist als Konsequenz aus der von Maria erkannten neuen Lage wichtig - weitere Maßnahmen seitens der Habsburger vonnöten (129f.).

Die Familienkorrespondenz Ferdinands ermöglicht es mithin - und zwar gerade in ihrer Dichte und Themenvielfalt -, Einsichten darüber zu gewinnen, wie politische Konzeptionen entstanden, weiterverfolgt und entweder umgesetzt oder verworfen wurden. Das bedeutet freilich, dass auch über Gründe und Motive für politische Entscheidungen aus dieser Korrespondenz etwas zu erfahren ist - aber gewiss nicht auf den ersten Blick. Selbst wenn im Rahmen der Familienkorrespondenz offen auch über Arcana geredet wird, so argumentieren selbst die drei Habsburger, bei aller grundsätzlichen Übereinstimmung in den allermeisten Zielen, immer auch taktisch: nach den eigenen Prioritäten nämlich. Ohne sorgfältige Quellenkritik und die Lektüre einer ganzen Reihe von Briefen wird die Suche nach den Motiven der drei Dynasten und ihren politischen Vorstellungen daher erfolglos bleiben. Für solche Forschungen stehen der Wissenschaft nun neue Quellen zur Verfügung, und zwar in einer Edition, deren Qualität im europäischen Maßstab erstrangig ist.

Redaktionelle Betreuung: Matthias Schnettger

Empfohlene Zitierweise:

Heide Stratenwerth: Rezension von: Christopher F. Laferl / Christina Lutter (Bearb.): Die Korrespondenz Ferdinands I. Bd. 4: Familienkorrespondenz 1533 und 1534, Wien: Böhlau 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 5, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=164>

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieser Rezension hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse ein.

footer