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Henrike L. Clotz: Hochschule für Holland. Die Universität Leiden im Spannungsfeld zwischen Provinz, Stadt und Kirche, 1575-1619 (= Contubernium - Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte; Bd. 48), Stuttgart: Franz Steiner 1998, 229 S., 13 Abb., ISBN 3-515-07136-9, DM 76,00

Rezensiert von:
Raingard Eßer
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Am 8. Februar 1575 wurde mit einem Feiertag die Universität Leiden als erste - und für die folgenden zehn Jahre einzige - Hochschule der nördlichen Niederlande gegründet. Initiator dieses Unternehmens war Wilhelm von Oranien, der, wie viele seiner Zeitgenossen, erkannt hatte, dass zu einem autonomen Staat, zu dem sich die sieben ehemaligen Provinzen der Spanischen Niederlande formierten, auch eine Universität als Ausbildungsstätte für die nun neu einzurichtende staatliche und religiöse Bürokratie und als Zentrum intellektuellen Lebens gehörte. Die vorliegende Studie, die 1996 als Dissertation an der Universität Osnabrück angenommen worden ist, beschäftigt sich mit dieser ungewöhnlichen Neugründung im politischen, sozialen und religiösen Kontext der Stadt Leiden und der Provinz Holland.

Es verwundert, dass trotz des offensichtlich in der Universitätsbibliothek und dem Stadtarchiv Leiden umfänglich vorhandenen Quellenmaterials eine solche Studie auch von niederländischer Seite bislang noch nicht vorgelegt worden ist. Die Autorin kann also eine bemerkenswerte Lücke schließen. Aus den überhasteten Anfängen - die Universität wurde mit kurzfristig eingeladenen Gründungsprofessoren in nur einem Monat eingerichtet - entwickelte sich eine Hochschule mittlerer Größe, die nach dem traditionellen Kanon aus vier Fakultäten aufgebaut und so mit internationalen Standards zu vergleichen war. Daneben versuchten die Gründungsmitglieder vor allem durch Novitäten die Attraktivität Leidens als Studienort zu erhöhen. So wurden ab 1589 mit der Ernennung von Pieter Pauw zum Professor für Anatomie öffentliche Leichensektionen durchgeführt, die ab 1593 in dem eigens dazu eingerichteten "Theatrum anatomicum" vor bis zu 200 Zuschauern stattfanden. Interessanterweise wurden zu den Veranstaltungen neben den Studenten städtische Chirurgen und Barbiere aber auch interessierte Laien eingeladen, so dass hier bewusst die städtische Öffentlichkeit zur Weiterbildung oder zum schauerlichen Vergnügen mit dem universitären Alltag verbunden war.

Während Leichensektionen aus hygienischen Gründen nur im Winter stattfinden konnten, stand den Leidener Bürgern im Sommer der 1594 eingerichtete Botanische Garten als Brücke zu ihrer Universität zur Verfügung. Seine naturkundliche Sammlung entsprach den neuesten Anforderung der Medizin und galt gleichzeitig als touristische Attraktion, die auch Besucher aus dem weiteren Umland anlockte. Die Leidener Gründerväter waren also von Anfang an an einem Praxis- und Öffentlichkeitsbezug ihrer Hochschule interessiert, was an der Einrichtung einer Ingenieurschule im Jahr 1600 besonders deutlich wird. Wiederum auf Initiative Wilhelm von Oraniens und mit Unterstützung seines besten Ingenieurs Simon Stevin wurde eine Lehranstalt für zukünftige Festungs-, Deich- und Kanalbauer eingerichtet, die sich stark an den praktischen Problemen dieser Arbeit orientierte und eine zielgerichtete Berufsausbildung für Nichtakademiker anstrebte. Bezeichnenderweise wurde hier auf Niederländisch und nicht, wie an der Universität sonst üblich, auf Latein unterrichtet.

Dieser für Leiden typische Bezug zum nichtakademischen Leben spiegelt sich auch in den Organisationsstrukturen der Universität, in der die Hochschullehrer selbst sehr viel weniger Einflussmöglichkeiten hatten als an den Lehranstalten im Reich. Wichtige Entscheidungen, etwa über Neuberufungen, Unterrichtszeiten und Finanzen wurden von einem Kuratorium getroffen, in dem zwei bis drei von den Provinzialständen ernannte Vertreter und die jeweils vier amtierenden Bürgermeister der Stadt tätig waren. Obwohl die Stadt zielgerichtet an den Aufbau der Universität heranging - man versuchte von Anfang an und mit einigem Erfolg, wissenschaftliche Koryphäen nach Leiden zu ziehen, man etablierte schon früh eine Druckerpresse in Leiden und man vermarktete das eigene Angebot in Form von Vorlesungsverzeichnissen auf der Frankfurter Buchmesse als dem akademischen Umschlagplatz der Frühen Neuzeit - standen vor allem die unsichere internationale Position der jungen Republik und der anhaltenden Krieg mit Spanien höheren Immatrikulationszahlen und besseren Stellenbesetzungen im Weg. Dennoch konnte sich Leiden als niederländische Hochschule erfolgreich behaupten und zwischen 1620 und 1650 eine ausgesprochene Glanzzeit erleben.

Während die Autorin gelegentlich, allerdings nicht so konsequent wie in der Einleitung angekündigt, Vergleiche mit dem Wissenschaftsbetrieb an den Hochschulen des Reiches vornimmt, bleiben die niederländischen Konkurrenzunternehmen in Franeker (gegründet 1585) und Groningen (gegründet 1614) leider größtenteils ausgeblendet. Es wäre interessant gewesen, die Selbstdefinition und die Vermarktungsstrategien anderer niederländischer Hochschulen mit dem Universitätsort Leiden zu vergleichen, zumal sowohl in Franeker als auch in Groningen unterschiedliche Ausgangspositionen vorlagen. Insgesamt trägt die Arbeit den deutlichen Stempel einer Dissertation. Kapitel zerfallen in teilweise sehr kurze Unterkapitel, der Stil ist manchmal holzschnitthaft und wenig elegant. Vor allem das vorletzte Unterkapitel zum Konfessionalisierungsparadigma wirkt "angeklebt", obwohl die Autorin die Bedeutung der theologischen Fakultät und die reformierten Flügelkämpfe in den Niederlanden in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts überzeugend herausarbeitet. Dennoch ist die Studie eine willkommene Bereicherung der Universitätsgeschichtsschreibung und hat mit der Leidener Hochschule einen wichtigen Bereich abgedeckt.

Redaktionelle Betreuung: Ute Lotz-Heumann

Empfohlene Zitierweise:

Raingard Eßer: Rezension von: Henrike L. Clotz: Hochschule für Holland. Die Universität Leiden im Spannungsfeld zwischen Provinz, Stadt und Kirche, 1575-1619, Stuttgart: Franz Steiner 1998, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 5, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=159>

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