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Helmut Neuhaus (Hg.): Nürnberg. Eine europäische Stadt in Mittelalter und Neuzeit (= Nürnberger Forschungen; Bd. 29), Nürnberg: Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg 2000, 398 S., ISBN 3-87191-280-8, DM 45,00

Rezensiert von:
Nils Freytag
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Ein Jubiläum ist meist ein willkommener Anlass, um neue Ergebnisse historischer Forschung einem größeren Publikum zu präsentieren. Das gilt zumal dann, wenn es sich um eine so bedeutende Stadt wie Nürnberg handelt, deren beurkundete Erstnennung sich vergangenes Jahr zum 950. Mal jährte. Alle 14 Beiträge des vorliegenden Bandes sind hervorgegangen aus einer Vorlesungsreihe an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, die im Wintersemester 1999/2000 unter großem öffentlichen Zuspruch stattfand. Sie diente weniger einer lokalhistorischen Nabelschau als vielmehr dem Versuch, Nürnbergs Bedeutung in der deutschen und europäischen Geschichte auszuloten.

In einem ersten Teil begeben sich fünf Überblicksartikel zunächst auf einen chronologischen Gang durch die Geschichte der Pegnitzstadt: Alois Schmid zeichnet ihre Pfade im Hochmittelalter nach. Vor allem die Befestigung auf dem Berg geriet in den Brennpunkt zahlreicher machtpolitischer Auseinandersetzungen, so im Konflikt zwischen Heinrich IV. und seinem Sohn oder auch im staufisch-welfischen Thronstreit des 12. Jahrhunderts. All diese Fehden sind Signale für die herausragende strategische Bedeutung Nürnbergs, von dem spätestens seit dem Großen Freiheitsbrief (1219) als Stadt gesprochen werden darf. Zur überregionalen Bedeutung trugen sicher auch die früh belegten Marktrechte Nürnbergs bei, das rasch zur Schnittstelle zahlreicher europäischer Handels- und Königsstraßen wurde.

Dieter J. Weiß verfolgt den spätmittelalterlichen Aufstieg zur Freien Reichsstadt mit großem Territorialbesitz im Umland, zum Aufbewahrungsort der Reichskleinodien sowie zu einem Zentralort im Reichsgefüge. Als einen Motor dieses von verschiedenen kriegerischen Auseinandersetzungen begleiteten Aufschwungs benennt er die wirtschaftliche Innovationskraft des städtischen Handwerks. Der Herausgeber selbst widmet sich sodann der frühneuzeitlichen Epoche, der die fränkische Metropole nach der berühmten Formulierung des Humanisten Johannes Cochläus lange als kultureller und wirtschaftlicher Mittelpunkt Europas wie Deutschlands galt. Doch zeichnete sich ihr geradezu dramatischer Abstieg, der 1806 mit dem Verlust der reichsstädtischen Freiheit enden sollte, spätestens im frühen 17. Jahrhundert ab. Dessen vielfältige Ursachen fängt Neuhaus auf allen Ebenen - von der Reformation über die wirtschaftlichen Belastungen bis zum innerstädtischen Verfassungskonflikt - immer wieder quellennah und trefflich ein. Werner K. Blessing skizziert sodann das 19. Jahrhundert, in welchem sich die Stadt in das bayerische König- und nach 1871 in das Deutsche Kaiserreich einzufügen hatte. Vor allem dem Industrialisierungsprozeß war es zuzuschreiben, dass auf den Ab- wieder ein nachhaltiger (wirtschaftlicher) Aufstieg folgte. Die an ihm beteiligten Firmen waren es, die Nürnberg nun gar zu einem global player werden ließen: M.A.N., Vereinigte Pinselfabriken oder Faber-Castell sind nur die prominentesten Namen. Den chronologischen Durchgang beschließt Hans-Ulrich Thamer mit dem Blick auf das 20. Jahrhundert. Er misst die kommunalen Entwicklungen immer wieder an reichsweiten Tendenzen und spart dabei die "Bürde der nationalsozialistischen Vergangenheit" nicht aus, die ja in der Stadt der Reichsparteitage und der Nürnberger Gesetze besonders augenfällig ist.

Die acht - zumeist spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen - Beiträge des zweiten Teils erschließen sodann exemplarisch die vielfältigen europäischen Bezüge der Stadt. Gerade die Konzentration auf die Zeit des 14. - 16. Jahrhunderts ist umsichtig gewählt und in mancherlei Hinsicht anregend, waren europäische oder gar außereuropäische Beziehungen doch keineswegs selbstverständlich. Reinhard Stauber widmet sich dem wechselseitigen kulturellen, wissenschaftlichen wie wirtschaftlichen Austausch mit Italien, vor allem am Beispiel Venedigs, in der Epoche der Renaissance. Klaus Herbers umreißt anschließend nürnbergisch-iberische Kontakte und Impressionen des ausgehenden 15. Jahrhunderts auf der Basis des bekannten spanischen Reiseberichts des Arztes und Geographen Hieronymus Münzer von 1494/95. Er ordnet diesen vor dem Hintergrund der europäischen Expansion ein in eine beginnende Neuorientierung der Handelswege: vom Mittelmeer zum Atlantik, von Italien nach Portugal und Spanien. Unmittelbar schließt Walther L. Bernecker an, der den Blick nach Westen konsequent weiterführt und die Rolle Nürnbergs in der überseeischen Expansion des 16. Jahrhunderts untersucht. Er streicht die Bedeutung als Finanzmarkt, als Gewerbe-, Handels- und Buchdruckzentrum, als Schmiede astronomischer Geräte heraus und räumt gleichzeitig auf mit nationalistischen Übertreibungen, wonach Nürnberg herausragender Protagonist dieser Hinwendung zur Neuen Welt gewesen sei.

Es folgen drei kürzere Abhandlungen über die Beziehungen nach Osteuropa. Günter Schödl wendet sein Augenmerk dabei dem Donau- und Karpatenraum zu. Er umreißt Nürnbergs Stellenwert als Vorbild und Vormacht für die Zeit zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert für die Beziehungen zu seinen südöstlichen Nachbarn, ehe Ferdinand Seibt knapp auf das Verhältnis zu Böhmen in der vorindustriellen Epoche, vor allem während der Regierungszeit Karls IV., eingeht. Die osteuropäischen Beiträge rundet Leszek Belzyt ab, der seine Ausführungen auf die Tätigkeiten Nürnberger Bürger in Polen vom 14. bis zum frühen 18. Jahrhundert konzentriert. Vor allem in der "goldenen Ära" unter den beiden letzten Jagiellonen lassen sich intensive Handelskontakte mit teilweise erstaunlichen Karrieren nachweisen, da sich viele Franken als Neubürger in Städten wie Krakau, Posen oder Warschau dauerhaft niederließen. Sie haben auf vielen Betätigungsfeldern nachhaltig gewirkt.

Der Greifswalder Hansekenner Horst Wernicke begibt sich auf breiter Quellengrundlage auf die Fährte Nürnberger Aktivitäten im Ostseeraum. Ihre oberitalienischen Beziehungen und das spezifische Warenangebot - vor allem Metalle, Waffen, Gewürze und edle Textilien - ließen Nürnberger Kaufleute im 14. und auch 15. Jahrhundert in Lübeck Fuß fassen, wohl auch deshalb, weil viele dieser Waren nun nicht mehr über Brügge in den Nordosten gelangten. Eine besonders anregende Abhandlung - nicht nur für Kaffee-, Schokoladen- oder Teetrinker - steht am Ende des zweiten Teils: Jürgen Schneiders Ausführungen über die Rückwirkungen der europäischen Expansion auf Nürnberg, zu denen Krankheiten, Edelmetalle, Pflanzen und auch Genussmittel zu zählen sind.

Der dritte Abschnitt schließlich fällt aus dem Rahmen - und das nicht, weil er lediglich aus einem Beitrag besteht. Der bayerische Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten Rainer Bocklet stellt Nürnbergs Bedeutung im heutigen Europa heraus. Die politischen Botschaften sind nicht zu überlesen. Neben einem Plädoyer für Stoibers Formel eines Europas der Regionen sind es die herausragenden Leistungen der Staatsregierung für die fränkische Region. Hier bestätigt sich: Manchmal ist weniger eben doch mehr.

Insgesamt ist die Lektüre des Bandes, den ein Orts- und Personenregister abrunden, ein Gewinn. In den allermeisten Fällen werden Lokalgeschichte und allgemeinhistorische Prozesse wie Ereignisse behutsam und kenntnisreich aufeinander bezogen. Benannt werden zudem immer wieder Forschungslücken, die es zu schließen gilt. Ein Beispiel mag abschließend genügen: So fehlt etwa noch eine moderne Geschichte der reichsstädtischen Universität Altdorf mit ihren zahlreichen Gelehrten von Rang. Auch eine solche Geschichte dürfte die europäische Dimension nicht aus den Augen verlieren.

Redaktionelle Betreuung: Peter Helmberger

Empfohlene Zitierweise:

Nils Freytag: Rezension von: Helmut Neuhaus (Hg.): Nürnberg. Eine europäische Stadt in Mittelalter und Neuzeit, Nürnberg: Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=148>

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