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Stefan Kroll / Kersten Krüger (Hg.): Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit (= Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit; Bd. 1), Münster: LIT 2000, 390 S., ISBN 3-8258-4758-6, DM 49,80

Rezensiert von:
Michael Sikora
Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster

Der vorliegende Sammelband dokumentiert die dritte Jahrestagung des Arbeitskreises "Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit". Zugleich eröffnet das Buch eine neue Reihe, die im Namen des Arbeitskreises herausgegeben wird, deren Namengebung aber ganz auf den militärischen Bezug verzichtet. Das Militärische soll nur noch als das prominenteste Beispiel für das allgemeinere Problem stehen, wie sich Herrschaft im praktischen Lebensvollzug verwirklicht. Damit einhergehend verabschieden sich die Gründer der Reihe von der gemäßigten Theoriebildung in Gestalt idealtypischer Begrifflichkeit, da Konzepte wie die Otto Brunners und Gerhard Oestreichs durch empirische Befunde entwertet worden seien. Sie plädieren für Konkretisierung durch Untersuchung kleinerer Einheiten, "die sich aufgrund von Selbstbeschreibung und Sinnstiftung, aber auch ihrer funktionalen und kommunikativen Binnenstrukturen als 'soziale Systeme' charakterisieren lassen" (im Vorwort zur Reihe, 5).

Auf der Tagung selbst hat Rainer Wohlfeil in einer Standortbestimmung an seine schon 1967 formulierte Definition der Militärgeschichte als Subdisziplin zur Erforschung der bewaffneten Macht im politischen, sozialen und kulturellen Kontext erinnert. Entschieden wendet er sich gegen eine jüngst mehrfach geforderte Erweiterung zu einer Geschichte historischer Gewaltverhältnisse.

Die Aufsätze des Bandes dokumentieren einmal mehr auf eindrucksvolle Weise, welche nicht nur differenzierenden, sondern auch weiterführenden Einsichten das genaue Hinsehen auf regionale und lokale Verhältnisse ermöglicht. Hie und da verdienten die Befunde mehr Profil im Kontext der Forschung, die Zurückhaltung vor übergreifenden und vergleichenden Fragen tendiert gelegentlich zur Selbstgenügsamkeit. Auch der ganze Band ist nur behutsam strukturiert, die Vorgaben sind allgemein gehalten, die Beiträge chronologisch gereiht. Dabei behandeln sie wenigstens zwei grundsätzlich unterschiedene Konstellationen, nämlich Krieg und Frieden.

Wo von den Verhältnissen im Krieg die Rede ist, steht die mehr oder weniger gewaltsame Abschöpfung der materiellen Ressourcen durch die Soldaten im Mittelpunkt der Beobachtungen. Von Verwicklungen der ländlichen Bevölkerung in die unmittelbaren Kampfhandlungen ist nur am Rande die Rede, und das scheint auch der Sache gerecht zu sein. Martin Schennach (für Tirol in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts) und Max Plassmann (für Südwestdeutschland um 1700) schlüsseln in breit angelegten Übersichten unterschiedliche Konstellationen auf, innerhalb derer sich die Konfrontation zwischen Bevölkerung, Obrigkeit und den Ansprüchen des Militärs abspielten. In beiden Aufsätzen wird sehr anschaulich, dass jenseits der unmittelbaren Gewaltanwendung viele Spielräume existierten für eine mehr oder weniger geordnete Abwicklung der Forderungen durch die lokalen und regionalen Obrigkeiten. Der Blick auf die Erfahrungsberichte örtlicher Kriegskommissare im Hohenloher Land während des Dreißiggjährigen Krieges, deren Quellenwert Frank Kleinehagenbrock vorstellt, und die Erfahrungen brandenburgischer Bauern mit russischen Besatzungstruppen im 18. Jahrhundert, die bei Heinrich Kaak zur Sprache kommen, vertiefen diesen Eindruck.

Die Beobachtungen verlocken zu Überlegungen, inwieweit das Wechselspiel zwischen Ausbau der Staatsmacht und Krieg nicht über die Dimension der expandierenden Heeresorganisation hinaus reichte. Jedenfalls stellte die Administration des Krieges an sich beträchtliche Anforderungen gerade an die lokalen Amtsträger, die nicht zuletzt im Hinblick auf die selbstverständliche Kooperation mit dem Kriegsgegner Aufmerksamkeit verdienen. Die Autoren des Bandes betonen freilich die Grenzen der Leistungsfähigkeit. Wurden die Möglichkeiten überfordert, entstanden rasch militärische Versorgungskrisen, die dann in die viel beklagten gewaltsamen Übergriffe münden konnten.

Im schlechten Ruf solcher Übergriffe standen im 18. Jahrhundert vor allem die sogenannten leichten Truppen. Martin Rink zeichnet, überwiegend anhand theoretischer Traktate, deren militärische Aufgaben nach [1]. Auch hier stehen wiederum die Probleme der Logistik im Vordergrund, wobei die Gefahr gewaltsamer Zusammenstöße stärker akzentuiert wird. Darüber hinaus kommt zur Sprache, in welchen Formen die Bevölkerung in die Kriegführung eingebunden werden sollte, als Kundschafter oder Spione bis hin zum bewaffneten Widerstand. Die Bewertung des Phänomens Kleiner Krieg schwankt daher zwischen irregulärer Gewalt, zunehmender Regulierung und zukunftsweisendem revolutionärem Potential. Die Beziehung zu den Volkskriegskonzepten der Revolutionsära wird dabei allerdings eher verunklart.

Michael Kaiser nimmt das Verhältnis zwischen Militär und Bevölkerung grundsätzlich in den Blick und schultert damit sozusagen das ganze Tagungsthema. Anknüpfend an Beispiele scheinbar sinnloser Übergriffe, die nicht als Reaktion auf Versorgungskrisen erklärt werden können, plädiert er, inspiriert durch die neuere Gewaltforschung, für eine kulturalistische Deutung. Gewalt im Dreißiggjährigen Krieg erscheint demnach als konstitutiver Ausdruck einer spezifischen Lebenswelt der Söldner, worin Distanz und Überlegenheitsansprüche gegenüber der Umwelt zum Ausdruck kommen sollen. Dennoch bestand umgekehrt eine prinzipielle Offenheit, die die Grenze in beide Richtungen jederzeit überschreitbar machte. Im späten 17. Jahrhundert habe die Disziplinierung und Verstaatlichung der Heere Militär und Umwelt so eng miteinander verbunden, dass der "lebensweltliche Antagonismus" sich aufgelöst habe. Der Aufsatz fällt in Methode und Reichweite aus dem Rahmen des Bandes und entwickelt daraus auch inhaltlich alternative Akzente zu den oben vorgestellten Beiträgen.

Im Blick auf die Friedensverhältnisse, oder genauer: auf die Vorbereitung des Krieges im Frieden, ziehen sich die Probleme der Rekrutierung als roter Faden durch die weiteren Beiträge. Werner Meyer umreißt Genese, Formen und Dimensionen des eidgenössischen Solddiensts vor allem in der Frühphase bis um 1500, mit Schwerpunkt auf ökonomischen Aspekten. Michael Busch führt Normen und Praxis des zweiten schwedischen "Indelningsverks" vor, das ab 1682 die Rekrutierung durch das Land neu regelte. Das Modell reizt, wie auch in der Diskussion gefordert, zum Vergleich mit dem preußischen Kantonssystem. Der Beitrag selbst lässt aber auch markante Unterschiede erkennen. In eigentümlicher Weise kombinierte das Einteilungswerk demnach freiwillige Werbung, milizartige Ausbildung und dezentrale Unterbringung auf dem Land, möglichst mit Zuweisung eines Stücks Land. Die Soldaten wurden auf diese Weise besonders eng in die ländliche Lebenswelt - auch in ihre Jurisdiktion - eingebunden und standen aufgrund ihres Erfahrungshorizonts anscheinend sogar in einigem Ansehen. Übungen wurden zum gesellschaftlichen Ereignis. Die Signatur des Militärs reichte bis hin zu neuer und später dauerhafter Namengebung für die Soldaten.

Zu den oft herausgestellten Merkmalen des 18. Jahrhunderts gehört die Rekrutierung von Straftätern und Vaganten. Stefan Kroll bestätigt an sächsischen Beispielen die ambivalenten Beziehungen zwischen Militär und Randgruppen. Einerseits obrigkeitliches Instrument rigoroser Verfolgungsmaßnahmen, nahmen die Truppen andererseits, trotz Verbote, selbst randständige Männer als Rekruten auf. Viele unversorgte Veteranen gingen wiederum in der vagierenden Bevölkerung auf. Die Widersprüchlichkeit hat natürlich mit dem ständigen Rekrutenbedarf zu tun. Aber vielleicht müsste man auch den Zwang im Dienst konsequenter noch als strukturelles Äquivalent zu den nach außen gerichteten Zwangsmaßnahmen begreifen.

Mehrere Beiträge fügen unserer Kenntnis des schon erwähnten preußischen Kantonssystems neue Nuancen hinzu. Heinrich Kaak stellt zusammen, was Gutsarchive an typischen Berührungspunkten mit dem Militär dokumentieren. Dazu zählen natürlich die Fragen der Enrollierung und Einberufung - und die Widerstände dagegen -, außerdem aber auch die Probleme bei feindlicher Besetzung (s. o.). Drittens kommt ein oft vernachlässigter Aspekt zur Sprache, die Rolle des Militärs als Exekutivorgan im Inneren, vor allem offenbar bei Konflikten um Dienstpflichten.

Über die Fragen der Rekrutierung geht auch Beate Engelen hinaus. Sie konstatiert einen nicht unbeträchtlichen Anteil an verheirateten Männern unter den Kantonisten und fragt nach den Motiven der Frauen für ihre Partnerwahl und die Folgen für ihren Status in der ländlichen Gesellschaft. Formalen Schwierigkeiten und den Risiken, verlassen oder verwitwet zu werden, standen demnach die rechtliche Höherstellung einer überhaupt verheirateten Frau und der potentielle Rückhalt in der militärischen Gesellschaft gegenüber.

Frank Göse untersucht die Haltung der märkischen Stände gegenüber dem Militär. Entgegen der gängigen Annahme, die Stände hätten nach 1653 dazu nichts mehr zu sagen gehabt, verfolgt er bis Ende des 18. Jahrhunderts intensive Auseinandersetzungen mit militärischen Problemen. Zu den durchgehenden Themen zählten wiederum Rekrutierungsfragen, aber ebenso das Ringen um einen gerechten regionalen Lastenausgleich, das freilich gemeinsame Vorgehensweisen erschwerte. Trotz aller geäußerten Klagen kann die Haltung der Stände demnach nicht auf eine prinzipielle Opposition reduziert werden. Vielmehr gingen viele Beschwerden auch in die monarchische Normsetzung ein und können daher als Ausdruck korrektiver Mitwirkung verstanden werden. Das gilt selbst für die Genese des Kantonssystems, stand doch die Regulierung der Werbung auch im Interesse des Adels.

Ohnehin stellen diese drei Beiträge bemerkenswerte Beispiele bereit für die Verzahnung des preußischen Militärsystems mit den ländlichen Strukturen. Da ermuntern Bauern ihre enrollierten Knechte zu Protesten gegen Frondienste, denn sie unterstehen dem Militär und sind schwer zu belangen. Da führen Soldatenfrauen Widerstandshandlungen gegen Hofdienste an, denn auch sie haben das Militär im Rücken. Und umgekehrt kann sich die ständische Militärpolitik auf eine zunehmende Zahl ehemaliger Offiziere unter den Kreiskommissaren und Landräten stützen.

Daran könnte man Beobachtungen Michael Hochedlingers anknüpfen, dessen weit ausholender Beitrag zu denjenigen zählt, die eine übergreifende Fragestellung verfolgen. Im Mittelpunkt steht das Problem, inwieweit die Einführung der Konskription im Habsburgerreich zu einer Militarisierung der Sozialverhältnisse im Sinne einer militärisch determinierten Herrschaftsdurchdringung von oben geführt habe. Der Vergleich zum preußischen Militärsystem liegt auf der Hand und wird auf mehreren Ebenen angesprochen. Als wesentliches Ergebnis sieht Hochedlinger aber zunächst den ungeheuren Datengewinn durch die Erfassung der Bevölkerung. Die Informationen dienten nicht nur einer bemerkenswert differenzierten Klassifizierung im Hinblick auf wirtschaftliche Entbehrlichkeit und militärische Tauglichkeit. Sie förderten auch zahlreiche Missstände zu Tage, sodass eine Reihe von Agrarreformen angestoßen wurden, freilich mit dem Ziel, die Bereitschaft der Bauern zum Militärdienst zu steigern.

Mit der Verwendung der Kategorie "Militarisierung" stellt sich Hochedlinger gegen den Trend der Forschung. Der Begriff wird üblicherweise mit Otto Büschs These zur spezifischen Kompatibilität von Kantonssystem und Gutsherrschaft und ihrer mentalitätsprägenden Folgen in Verbindung gebracht. Nachdem empirische Befunde den exklusiven Zusammenhang beider an mehreren Punkten in Frage gestellt haben, ist auch die Kategorie der "Militarisierung" gleich verabschiedet worden [2]. In der Rostocker Diskussion ist zudem nicht ganz zu Unrecht Kritik an ihrer Unschärfe laut geworden. Der Band liefert aber andererseits eine Fülle neuer Anregungen, um auch weiterhin - ganz vorsichtig formuliert - die Folgen der Implementierung militärischer Anforderungen in ländliche Lebensverhältnisse systematisch zu bedenken. Und bei allen gegenseitigen (!) Anpassungs- und Abstoßungsprozessen scheinen doch Impulse zur Differenzierung der sozialen Hierarchien und zur Modernisierung des Verwaltungshandelns nach Maßgabe militärischer Zielvorgaben erkennbar zu sein. Das ist nicht mehr Otto Büsch, aber vielleicht doch so etwas Ähnliches wie Militarisierung.

Anmerkungen:

[1] In erweiterter Form auch in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 59 (2000), S. 23-59.

[2] Vgl. zuletzt Peter H. Wilson: Social Militarization in Eighteenth-Century Germany, in: German History 18 (2000), S. 1-39; außerdem: ders.: The Origins of Prussian Militarism, in: History Today - Volume: 51 Issue: 5 May 2001, 22-27.

Redaktionelle Betreuung: Michael Kaiser

Empfohlene Zitierweise:

Michael Sikora: Rezension von: Stefan Kroll / Kersten Krüger (Hg.): Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Münster: LIT 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=144>

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