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Robert von Friedeburg: Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt. Notwehr und Gemeiner Mann im deutsch-britischen Vergleich 1530-1669 (= Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte; Bd. 27), Berlin: Duncker & Humblot 1999, 190 S., ISBN 3-428-09787-4, DM 96,00

Rezensiert von:
Arno Strohmeyer
Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas, Universität Leipzig

Mit dem Widerstandsrecht, der Frage nach dem rechtmäßigen Verhältnis zwischen Untertanen und Obrigkeiten und den Grenzen herrschaftlicher oder staatlicher Gewalt, schneidet der Bielefelder Historiker Robert von Friedeburg eines der großen Themen der europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte an. Den Ausgangspunkt seiner Studie bilden die Entwicklung widerstreitender christlicher Bekenntnisse und die Konfessionalisierung im Reich sowie in den Königreichen England und Schottland im Zeitraum zwischen der Reformation und dem zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts; soziale und politische Fundamentalprozesse, die die ständisch geprägten Herrschaftsordnungen vor tief greifende Zerreißproben stellten. Basierend auf einer komparatistischen Forschungs- und Erkenntnisstrategie, wird die Berücksichtigung des Gemeinen Mannes in den rechtlichen Konzeptionen von Widerstand und Notwehr untersucht. Welchen Einzelpersonen oder Personengruppen stand unter den jeweiligen ereignis- und verfassungsgeschichtlichen Rahmenbedingungen ein Recht auf Widerstand bzw. zur Notwehr zu? Es handelt sich dabei um ein Thema, das automatisch die Frage von Wandel und Beharrung der ständischen Herrschaftsordnung im Zuge der Konfessionskonflikte aufwirft.

Einen ständigen Bezugspunkt der Untersuchung bildet die Zeitgebundenheit der Geschichtswissenschaft, wurden doch in der deutschsprachigen Forschung die Debatten über ein Widerstandsrecht im Reich lange Zeit als Spiegel der Durchsetzung der fürstlichen Territorialherrschaft gegen das Kaisertum betrachtet - und diese Durchsetzung unter dem Eindruck das Nationalsozialismus als früher Schritt in Richtung monarchischer Territorialstaat und lutherischer Obrigkeitsstaat gedeutet. Die Entwicklung im Reich diente als Beleg für die mentale Etablierung des autoritären Staates in Deutschland, dem die angelsächsische Tradition der Freiheit und des Widerstandsrechts entgegengesetzt wurde. Der deutsche und der englische Weg standen somit stellvertretend für zwei konträre Verfassungsprinzipien, für zwei grundsätzlich verschiedene Wege in die Moderne, deren Ausgangspunkte die Verfestigung des Territorialabsolutismus im Reich nach dem Westfälischen Frieden und die Hinrichtung Karls I. 1649 bildeten.

Es ist das Anliegen des Autors, dieses Paradigma, das Geschichtswissenschaft und Staatsrecht im 19. und frühen 20. Jahrhundert entwickelten, zu historisieren. Die Konflikte zwischen Untertanen und Obrigkeit sollen nicht als Auseinandersetzung unterschiedlicher politischer Prinzipien verstanden werden, bei denen die Stände bzw. die Untertanen andere Verfassungsvorstellungen vertraten als die Obrigkeiten, "sondern als gestuftes und vielschichtiges Loyalitäts- und Verpflichtungsverhältnis, das in der frühen Neuzeit ohne den Hintergrund konfessioneller Loyalität nicht zu verstehen ist" (8).

Das Buch ist in vier große Abschnitte untergliedert. Im Mittelpunkt von Teil A (13-50) stehen die Forschungsgeschichte und die historiographische Einordnung des Themas. Besondere Aufmerksamkeit widmet der Autor dabei dem Zusammenhang zwischen der Interpretation des Widerstandsrechts, der frühmodernen Staatsbildung und den Auseinandersetzungen um die Macht im entstehenden modernen Nationalstaat bis in die Dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Analyse beginnt bei der Spätaufklärung und dem Göttinger Gelehrten August Ludwig Schlözer und verfolgt über Autoren wie Immanuel Kant, Friedrich Murhad, Leopold von Ranke, Carl Ludwig von Haller, Otto Gierke, Kurt Wolzendorf und Hans Baron alle wissenschaftsgeschichtlich wichtigen Stationen.

Im Mittelpunkt von Teil B (51-97) stehen die Debatten über Widerstandsrecht und Notwehr im Heiligen Römischen Reich im Zeitraum zwischen 1530 und 1664. Analysiert werden diejenigen Argumentationsmuster, die in den juristischen und theologischen Diskussionen im Anschluss an die drohende Realisierung des Wormser Edikts von den Vertretern des Augsburger Bekenntnisses gegen den Kaiser als Lehnsherrn und Reichsoberhaupt eingesetzt wurden. Dabei gelingt es dem Autor zu zeigen, dass die bis 1550 entwickelten Argumentationsfiguren in den Kontroversen, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts stattfanden, weiter geführt wurden. Allerdings ist nun eine deutliche Differenzierung zwischen "Widerstand", "Notwehr" und "Gegenwehr" zu beobachten. Ein Widerstandsrecht gegen den höchsten Magistrat wurde nur den Reichsständen - in Ausnahmefällen auch den Landständen - zugestanden. Während die Gemeinwesen als Vaterland und konfessionell definierte Territorien ein Recht auf Gegenwehr besaßen, blieb dem einzelnen Untertanen zum Schutz gegen unrechtmäßige Angriffe auf die eigene Person die Notwehr, die zum Teil auch naturrechtlich begründet wurde. Unter den Bedingungen der für das Reich charakteristischen Territorialisierung der Konfessionsfrage kam es zu einer Bändigung der Notwehrproblematik, "die einen Weg zwischen der Scylla einer völligen Unterwerfung unter die Rechte des Kaisers oder der Reichsstände und der Charybdis eines perpetuierten Notwehrzustandes" (97) beschritt.

In Teil C (98-147), dessen zeitliche Grenzen die Jahre 1553 und 1669 markieren, werden komplementär zu Teil B Widerstandsrecht und Notwehr in den Königreichen England und Schottland analysiert. Zuerst widmet sich der Autor den Konfessionskonflikten und ihren Auswirkungen auf die widerstandsrechtliche Diskussion in England. Dabei weist er nachdrücklich auf die andersartigen Rahmenbedingungen hin, etwa die erheblich geringere ständische Differenzierung, den andersartigen Verlauf der Reformation und der katholischen Restauration sowie die fehlende Möglichkeit, von "niederen Magistraten" in einem eingeschränkten Sinn zu sprechen. Wenn man daher ein Notwehrrecht konzedieren wollte, so umfasste dieses schnell weite Teile der Bevölkerung. Diese Unterschiede verhinderten eine Übertragung der im Kontext des Reiches und der Territorialisierung des Konfessionskonflikts entwickelten Rezepte der rechtlichen Zähmung des Notstands, das Konzept der Notwehr konnte rechtlich nicht analog eingebunden werden, eine Verrechtlichung des Konfessionskonflikts scheiterte. Dies ist jedoch erst der Endpunkt einer langen Entwicklung, die der Autor, beginnend in den 1560er Jahren, nachzeichnet.

Deutliche Parallelen dazu weist der Vergleichsfall Schottland auf, denn auch hier scheiterte eine Verrechtlichung des Glaubenskonflikts, und da eine dem Reich ähnliche ständische Struktur ebenfalls fehlte, konnte in der Verfassungspraxis kein ständisch differenziertes Widerstandsrecht installiert werden. Statt dessen wurden Konzeptionen entwickelt, in denen allen Untertanen ein verallgemeinertes Naturrecht der Notwehr zugestanden wurde.

Im vierten und letzten Teil (Schluss, 148-166) geht der Autor systematisch den Ursachen für die Differenzen in den Ergebnissen der widerstandsrechtlichen Debatten in England, Schottland und im Reich nach. Einen zentralen Faktor erkennt er in der Ausbildung territorialer Konfessionskulturen im Reich, denn die Konfessionalisierung, so seine Argumentation, stellte zwar für alle europäischen Gemeinwesen eine Herausforderung neuer Qualität dar, während sich diese jedoch im Reich durch eine Regionalisierung des politischen Systems bewältigen ließ, war in England wie in Schottland eine Lösung nur auf der Ebene des gesamten Gemeinwesens denkbar. Eine rechtlich abgesicherte Koexistenz verschiedener Konfessionen auf territorialer Ebene war in den beiden Königreichen nicht möglich. Dieser andersartige Rahmen bewirkte, dass sich die Protestanten in England und Schottland bei Widerstand und Notwehr nicht auf ein der Reichsverfassung analoges Rechtssystem stützen oder auf den Schutz durch Reichsstände hoffen konnten. Aus diesem Grund kam es in diesen beiden Ländern auch nicht wie im Reich zu einer Differenzierung zwischen reichsständischem Widerstandsrecht, privatrechtlicher Notwehr im Rahmen des Strafrechts und einem Naturrecht der Notwehr.

Abschließend ordnet der Autor die Ergebnisse seiner Untersuchung in einen umfassenden wissenschafts- und verfassungsgeschichtlichen Kontext ein. In den Mittelpunkt stellt er die Frage, ob sich die Diskussionen um Widerstandsrecht und Notwehr als eine Auseinandersetzung zweier rivalisierender Verfassungsprinzipien - "Herrschaft" und "Genossenschaft" - oder nicht besser als Krise der bestehenden Ordnung - er verweist dabei auf den Begriff des "monarchischen Republikanismus" - verstehen lassen. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass das auf Otto Gierke zurückzuführende dialektische Modell von Herrschaft und Genossenschaft sehr kritisch betrachtet werden muss: "Die Bewertung des Widerstandsrechts vor der Folie vermeintlicher Entwürfe einer herrschaftsfreien Gesellschaft mißt das 16. und 17. Jahrhundert mit Kategorien, die erst im Verlauf der Aufklärung entwickelt wurden" (162).

Die äußerst komprimiert und auf hohem Reflexionsniveau geschriebene Arbeit enthält für alle Leser, die sich mit Fragen der politischen Theorie und des Widerstandsrechts, der frühmodernen Staatsbildung und der Veränderung ständischer Systeme in den konfessionspolitischen Auseinandersetzungen des 16. und 17. Jahrhunderts beschäftigen, eine Fülle von Erkenntnissen und wertvollen Anregungen. Besonders hervorzuheben sind die historiographiegeschichtlichen Ausführungen, mit denen eine schon seit langem bestehende Forschungslücke geschlossen wird, und die ständige Berücksichtigung der Zeitgebundenheit historischer Forschung - eine Perspektive, die der Autor auch konsequent in seiner eigenen Arbeit einnimmt. Die konfessionellen und politischen Auseinandersetzungen zwischen Untertanen und Obrigkeit werden nicht auf der Folie tradierter - und überholter - Interpretationsmodelle analysiert, sondern als Veränderungsprozess einer sich in einer Krise befindlichen politischen und verfassungsmäßigen Ordnung.

Redaktionelle Betreuung: Matthias Schnettger

Empfohlene Zitierweise:

Arno Strohmeyer: Rezension von: Robert von Friedeburg: Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt. Notwehr und Gemeiner Mann im deutsch-britischen Vergleich 1530-1669, Berlin: Duncker & Humblot 1999, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=141>

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