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Christoph Ernst: Den Wald entwickeln. Ein Politik- und Konfliktfeld in Hunsrück und Eifel im 18. Jahrhundert (= Ancien Régime, Aufklärung und Revolution; Bd. 32), München: Oldenbourg 2000, 408 S., ISBN 3-486-56510-9, DM 128,00

Rezensiert von:
Alexander Schunka
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Eine Eiche ist eine Eiche - heute genau wie vor dreihundert Jahren. Damals freilich waren mit einer Eiche mehr Nutzungs- und Wirtschaftsformen verbunden, als es heute auf den ersten Blick den Anschein haben mag: Ihr wertvolles Holz diente als Baumaterial, mit dem sich für den Holzverkäufer ein guter Preis erzielen ließ; hatte ein Sturm abgestorbene Äste herunterbrechen lassen, so wurden jene von der Bevölkerung eingesammelt und als Heizstoff genutzt. Außerdem ernährte sich das ländliche Nutzvieh bei der sogenannten Waldweide von Blättern und jungen Schößlingen einer Eiche, und im Herbst trieb man die Schweine durch den Wald, die mit den herabgefallenen Eicheln gemästet wurden. An alledem verdienten dann meist die Obrigkeiten durch die Einziehung von Abgaben mit. Nicht nur Nutztiere profitierten jedoch von einer Eiche - auch das Wild ernährte sich von dem, was der Baum ihm gab, und dadurch traf man Rot- und Schwarzwild vorzugsweise unter Eichen an, was manch landesherrlichem Jäger ebenso entgegen kam wie einem Wilderer.

Diesen ländlich-hoheitlich-forstlichen Mikrokosmos versucht das vorzustellende Werk aufzubrechen. Das Buch mit dem programmatisch-modernisierend klingenden Titel "Den Wald entwickeln", das im Jahre 1998 als Dissertation an der Universität Trier angenommen wurde, behandelt dabei weit mehr als 'nur' den Wald des im Untertitel genannten Hunsrück- und Eifelgebietes im 18. Jahrhundert: Es bettet die Forstpolitik sowie die Waldnutzungsweisen und -konflikte überzeugend in die allgemeine politische und Sozialgeschichte der Frühen Neuzeit ein, was in ähnlichen Arbeiten bislang nicht selbstverständlich war. Als Zugriff dient dem Verfasser dabei eine originelle und zugleich etwas problematische Trennung des frühneuzeitlichen Waldes in drei "Waldtypen": Holzproduktionswald, Landwirtschaftswald und Jagdwald. Bereits auf Seite 5 muss der Autor nämlich eingestehen, dass es wohl kaum Wälder gab, "die sich ausschließlich an einem Nutzungsparameter orientierten" - die oben genannte Eiche hätte ihm Recht gegeben. Dennoch lassen sich durch eine solche Aufteilung, sofern man sie nicht verabsolutiert, sondern nur als heuristisches Mittel des Zugriffs auf verschiedene Waldnutzungsformen versteht, spannende Ergebnisse zu Tage fördern.

Die Arbeit gliedert sich in drei Hauptabschnitte, die sich sowohl methodisch als auch hinsichtlich ihrer Quellenbasis unterscheiden. Im ersten Teil werden die normativen Grundlagen der landesherrlichen Forstpolitik referiert, wie sie sich im Forstordnungswesen greifen lassen. Dieser Teil enttäuscht ein wenig: Zum einen wird in der etwas beliebig wirkenden Aneinanderreihung von Forstvorschriften der Frühen Neuzeit keine historische Entwicklung im Umgang mit dem Wald deutlich, zum anderen hätte man gerne noch mehr über das "Erfahrungswissen der bäuerlichen Bevölkerung" (43) und seinen Niederschlag in den Forstordnungen erfahren, nachdem der Autor selbst fordert, dies stärker zu berücksichtigen. Gesetze und Verordnungen entstanden immerhin in einem multipolaren Kommunikations- und Interaktionszusammenhang zwischen Obrigkeit(en) und Untertanen, und oft reagierten die herrschaftlichen Organe auf konkrete Bedürfnisse mehr anstatt zu agieren: dies hat die neuere Policeyforschung gezeigt. Inwieweit man somit auf der Basis von Forstordnungen von einer obrigkeitlichen "Normierung des Naturbedürfnisses" (51, 87) sprechen kann, muss daher zunächst offen bleiben.

Hier verspricht der mit "Kommunikation und Konflikt" überschriebene Abschnitt Abhilfe zu schaffen. Der Leser erfährt zunächst am Entstehungszusammenhang des Kurtrierer Forstgesetzes von 1786, wie die Interessen der mitwirkenden Organe differierten. Forstpolitik erscheint dabei als Spielball zwischen politischen und wirtschaftlichen Interessen von Landesbehörden und Landständen. Das Gesetz diente als Bezugsgrundlage in der weiteren Diskussion um Holzproduktion und Marktorientierung, denn in ihm wurde u. a. die sogenannte Schlagwirtschaft festgeschrieben: Dazu vermaß man Wälder und teilte sie in bestimmte Parzellen (sog. "Schläge") ein, die man nacheinander abholzte und dann wieder aufforstete. Somit konnte man einerseits das jeweilige Alter der Bäume vereinheitlichen, andererseits die zu entnehmende Holzmenge abschätzen: ein wichtiger Schritt auf dem Wege der Durchsetzung von Nachhaltigkeitsprinzipien (91-93). Bei der Analyse von Waldnutzungskonflikten vor Gericht, die zwischen Gemeinden untereinander oder zwischen Landesobrigkeit und Gemeinden ausgetragen wurden und mitunter auch bis ans Reichskammergericht gelangten, bezieht der Autor die Forschungen zum bäuerlichen Widerstand ein. Leider wird in der Folge aber der Begriff der Kommunikation eigentümlich eng gefasst - er scheint sich ausschließlich auf mündliche und schriftliche Sprache zu beziehen, was die Betrachtung symbolischer Formen von Kommunikation und Konfliktaustrag verhindert. Gerade hier aber hätten sich weitere Einblicke in die Waldnutzungspraxis und in den Umgang mit Natur ergeben können, ohne in eine "mentalitätshistorische" Beliebigkeit im Sinne Joachim Allmanns zu verfallen, die von Ernst zurecht kritisiert wird. Sowohl der Landesherrschaft als auch den bäuerlichen Gemeinwesen ging es vorwiegend, so wird aufgezeigt, um die Sicherung des wirtschaftlichen Aus- und Fortkommens. Dies schien gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Anbetracht neuer kommerzieller Möglichkeiten und begrenzter Ressourcen vor allem für die ärmeren Beteiligten zunehmend schwierig zu werden, womit sich auch ein Teil des Holznotdiskurses erklären ließe (331). Von einer generellen, tatsächlichen Holznot möchte der Verfasser für seinen Untersuchungszeitraum jedoch nicht sprechen (339) - was auch insofern unwahrscheinlich anmutet, als sich die Topoi von Holzmangel und schlechter Waldbewirtschaftung bereits in Quellen des 16. Jahrhunderts finden lassen.

Einen ganz anderen Weg schlägt der Autor bei der quantitativen Auswertung von Forstrechnungen ein. Hier gelingt es ihm - in vermutlich sehr mühevoller Kleinarbeit -, den hohen finanziellen Stellenwert der Einnahmen durch die Holzproduktion gegenüber anderen Nutzungsformen des Waldes herauszuarbeiten. Zugleich werden der ökonomische Einzugsbereich und die Transportwege des Holzes nachgezeichnet, besonders im Hinblick auf den Kohlholzbedarf bei der Eisenverhüttung. Transportwege von 50 Kilometern über Land bis zu den Abnehmern der Holzkohle waren offenbar keine Seltenheit, und mit dem frühindustriellen Ansteigen des Holzbedarfs erklärt sich auch die zunehmende Bedeutung der Schlagwirtschaft. Dies sicherte den Landesherren "zwar dank steigender Holzpreise nachhaltige Gelderlöse, nicht aber nachhaltige Mengenerträge." (342).

Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich insgesamt also weniger um eine umweltgeschichtliche (wie auch der etwas unvermittelt angehängte Exkurs auf den Seiten 348-353 deutlich werden lässt), sondern vielmehr um eine sozialhistorische Arbeit. Ihr Verdienst ist weniger der "bewertungsfreie(n) Ansatz" (11), den der Autor für sich reklamiert, dagegen eher die Einbettung der Forstthematik in allgemeinere Zusammenhänge der Geschichte des Ancien Régime, die Erschließung neuer Quellenbestände (Forstrechnungen) oder die analytische Trennung der drei Waldnutzungsformen, die man allerdings, um den forstlichen Mikrokosmos nicht aus den Augen zu verlieren, später wieder zusammenfügen sollte. So hieß es auch bereits im Jahre 1785 in einem Gutachten der Universität Heidelberg, die vom Trierer Erzbischof angestrebte Verwaltungsaufteilung von Forst- und Jagdwesen sei "in der Theorie ächt schön (...), wenn nur in der Ausführung die vielfältigen Collisionen verhütet werden können." (236). Denn immerhin: Eine Eiche ist eine Eiche.

Redaktionelle Betreuung: Peter Helmberger

Empfohlene Zitierweise:

Alexander Schunka: Rezension von: Christoph Ernst: Den Wald entwickeln. Ein Politik- und Konfliktfeld in Hunsrück und Eifel im 18. Jahrhundert, München: Oldenbourg 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=139>

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