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Sabine Allweier: Canaillen, Weiber, Amazonen. Frauenwirklichkeiten in Aufständen Südwestdeutschlands 1688 bis 1777 (= Kieler Studien zur Volkskunde und Kulturgeschichte; Bd. 1), Münster: Waxmann 2001, 254 S., ISBN 3-89325-912-0, DM 49,90

Rezensiert von:
Michaela Fenske
Seminar für Volkskunde, Georg-August-Universität, Göttingen

"Daß die noble Rasse der Amazonen nicht mit den Talestris und den Hypolites ausgelöscht ist, ist eine Wahrheit, die der 16. dieses Monats [16.8.1757] unbestreitbar beweist. Ein Tag, der in Erinnerung bleiben wird, da eine Kompanie von ungefähr zweihundert Bürgerinnen oder besser Heroinnen ihr Ziel nicht mit Tränen und Weinen - den normalen Waffen des schwachen Geschlechts - erreichte, sondern ihre Wut zu Hilfe nahm und durch ihren kriegerischen Mut zeigte, dass Hände, an Nadel und Faden gewöhnt, auch geeignet sind zur Waffenführung. Vor allem, wenn es sich um die Verteidigung der Freiheit handelt" (190). Mit diesen Zeilen begann Anna Maria Weber-Felsenblühe ihre Beschreibung des Freiburger Weiberkrieges, der - ausgelöst durch die Verhaftung zweier Wilderer - im Jahre 1757 die Gemüter in der seinerzeit vorderösterreichischen Stadt erhitzte. Sabine Allweier nimmt diese Beschreibung und andere chronikalische Berichte zum Ausgangspunkt ihrer Studie über die Beteiligung von Frauen an Aufständen südwestdeutscher Städte. Den in den zeitgenössischen Chroniken erstmals formulierten und seitdem vielfach tradierten Topoi von den aufständischen 'Canaillen, Weiber[n], Amazonen' stellt Allweier die historische Wirklichkeit gegenüber, soweit sie sich aus der archivalischen Überlieferung rekonstruieren lässt. Über die Rekonstruktion und Interpretation der Aufstände erhofft sich die Autorin Aufschluss über die Lebenswelten der Frauen und Männer jener Zeit; Allweier fragt nach Handlungsspielräumen, nach Motivation, Kommunikations- und Verhaltensformen sowie den diesbezüglichen geschlechtsspezifischen Unterschieden. Darüber hinaus interessieren sie die Bilder, welche sich die Zeitgenossen und die nachfolgenden Generationen von den aufständischen Frauen machten.

Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile: einer mikrohistorischen Studie zweier Aufstände anhand der archivalischen Überlieferung (Kap. III.1-5 und IV,1-5) wird eine Untersuchung von insgesamt vier Chroniken (Kap. V, 1-3) gegenübergestellt.

Im Mittelpunkt des ersten Teiles steht die vergleichende Untersuchung des Freiburger Weiberkrieges von 1757 mit einem Aufruhr, der sich 1726 im Zuge des sogenannten Privilegienstreites in der Stadt Pforzheim (Baden) ereignete und in dessen Verlauf Pforzheimer Frauen gewaltsam zwei inhaftierte Männer befreiten. Quellengrundlage dieser Mikrostudie sind Gerichtsakten und -protokolle, Ratsbücher und Briefe. In dichter Beschreibung schildert Allweier die Ereignisse und bettet sie in den jeweiligen politischen und sozio-ökonomischen Kontext ein. In der nun folgenden systematischen Analyse geht es um die soziale Zusammensetzung der Aufständigen, das frühneuzeitliche Geschlechterverhältnis, die Beteiligung von Kindern am Widerstand sowie die Kommunikationsformen. Dabei zeigt sich, dass in beiden Städten der Aufstand von zünftigen Handwerkern, Wirten und ihren Frauen und Kindern getragen wurde; in Freiburg kamen Studenten hinzu. Beim Aufstand gab es ein Zusammenspiel der Geschlechter, wobei Frauen und Männer ihre jeweiligen Handlungsmöglichkeiten weitgehend ausschöpften, um das gemeinsame Ziel, die Erhaltung bzw. die Wiederherstellung ihrer alten Rechte, zu erreichen. Dass Frauen in diesem Konflikt buchstäblich für ihre eigene Sache kämpften, zeigen die Aussagen zweier Frauen, die zur Fraktion der Obrigkeitstreuen gehörten. So versuchte die Rulin mit dem Hinweis auf ihre beträchtliche Mitgift ihren Mann vom Widerstand abzubringen, und Margaretha Bienlens verkündete, dass sie dem Fürsten auch künftig ihre Sachen geben wolle (98 f.). Die Beteiligung von Kindern und jungen Burschen verlieh dem Widerstand Legitimität und führte die jungen Menschen zugleich in die kulturellen Regeln der städtischen Gesellschaft ein.

Knapp ein Viertel der Arbeit ist den im Widerstand vertretenen Kommunikationsformen gewidmet. Allweier praktiziert ein weites Verständnis von Kommunikation, sie bezieht ebenso verbale wie nonverbale Formen der Kommunikation ein. Für Protest- und Geschlechterforscher/innen ist keineswegs überraschend, dass sich im Bereich der Gebärdensprache und im Hinblick auf physische Gewalt und körperliche Präsenz bei dem Freiburger und dem Pforzheimer Aufstand keinerlei geschlechtsspezifischen Muster erkennen lassen: Frauen wurden ebenso gewalttätig wie Männer, und Frauen zeigten eine mitunter recht massive körperliche Präsenz. Beeindruckend ist in diesem Zusammenhang das Beispiel der Pforzheimer Frauen, die sich im Rathaus aufbauten und bedrohlich ihre Schlüssel schwangen, womit sie der Obrigkeit nicht nur Angst und Schrecken einjagten, sondern zugleich eine augen- und ohrenfällige Demonstration ihrer gesellschaftlichen Stellung als Ehefrau gaben (131). Eine geschlechtsspezifische Analyse der Strategien, die die Verhörten zum Zwecke der Strafminderung vor Gericht einsetzten, zeigt, dass beide Geschlechter hier ungeniert Rollenstereotype bedienten und von Rechtsspielräumen Gebrauch machten.

Nach der detaillierten Schilderung der historischen Gegebenheiten ist der Unterschied zu den im (wenig umfangreichen) zweiten Teil näher betrachteten Inhalten der Chroniken eklatant. Der in den zeitgenössischen Berichten für die aufständischen Frauen verwendete Topos der Amazonen oder der Vergleich der Frauen mit anderen 'Kriegerinnen' wie Jeanne d'Arc haben nichts mit den im ersten Teil beschriebenen Freiburger und Pforzheimer Ehefrauen und Müttern gemein. Deren politisches Handeln wird hier gleichsam enthistorisiert und in starre Bilder gepresst, die im Wandel der Zeiten vermutlich recht unterschiedliche Bedürfnisse befriedigten.

Allweiers Studie über Frauen in den Aufständen südwestdeutscher Städte zeigt einmal mehr, dass Frauen in der Frühen Neuzeit tatkräftig Einfluss auf die politischen Verhältnisse nahmen. Sie bedienten sich dabei unterschiedlichster Formen und bezogen ihr Selbstverständnis aus ihrer Verantwortung in Haushalt und Bürgerschaft. Die Studie bestätigt in vieler Hinsicht die bislang in der Protest- sowie der Geschlechterforschung erarbeiteten Ergebnisse über die Beteiligung von Frauen an frühneuzeitlichen Aufständen. Zugleich gelingt es Allweier, die bisherigen Erkenntnisse in unterschiedlicher Weise zu präzisieren und zu ergänzen. Das Buch ist ein spannender Beitrag für das Verständnis der politischen Kultur, des Frauenlebens und der Geschlechterbeziehungen in der Frühen Neuzeit.

Redaktionelle Betreuung: Gudrun Gersmann

Empfohlene Zitierweise:

Michaela Fenske: Rezension von: Sabine Allweier: Canaillen, Weiber, Amazonen. Frauenwirklichkeiten in Aufständen Südwestdeutschlands 1688 bis 1777, Münster: Waxmann 2001, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=133>

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