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Paul Langford: Englishness Identified. Manners and Character 1650-1850, Oxford: Oxford University Press 2000, 402 S., ISBN 0-19-820681-X, £ 25,00

Rezensiert von:
Raingard Eßer
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Die politische Konstruktion "Großbritannien" ist in den letzten Jahren durch die Devolutionsbewegungen in Schottland und in Wales und durch die jüngste Phase des Nordirland-Konflikts unter Beschuss geraten. Die politische Neuinterpretation der britischen Inseln und die Frage nach dem Fortbestand der mehr oder weniger autonomen Teile eines ideellen Ganzen hat ihren Niederschlag auch in der britischen Historiographie gefunden. Die revisionistische Geschichtsschreibung der "New British History" betont nun sehr viel stärker die politischen Eigenarten und kulturellen Traditionen der Regionen, von denen das über Jahrhunderte hinweg sowohl in der Politik als auch im akademischen Diskurs tonangebende England nur eine unter anderen ist. Während es also mittlerweile hinlänglich bekannt sein dürfte, dass Schotten "anders" sind als Engländer, und dass Waliser ihre eigenen keltischen Wurzeln nicht nur wiederentdeckt haben, sondern auch offensiv zelebrieren, ist das bislang als Herz Großbritanniens gehandelte England in seiner Identitätsfindung deutlich zurückgeblieben. Die traditionelle, selbstverständliche Gleichsetzung von "englisch" und "britisch" hat die Engländer bei der Dividierung des Begriffs "britisch" in seine regionalen und ethnischen Bestandteile in einem Vakuum zurückgelassen, das Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen in den letzten Jahren mit neueren Studien zum Thema "Englishness" zu füllen versuchen (z.B. D. Matless, Landscape and Englishness, 1998; E. Jones, The English Nation: the great myth, 1998). "Englishness" - eine relative moderne Wortschöpfung: Langford verweist auf lexikographische Einträge erst ab 1805 - hat also zweifellos Konjunktur.

In diesem Rahmen ist auch Langfords lesenswerte und teilweise recht amüsante Studie angesiedelt. Der Autor bewegt sich auf bekanntem Gelände. Die Studie zur Identifikation von "typisch englischen" Eigenschaften und Verhaltensweisen profitiert von seinen früheren Arbeiten zur englischen "Mittelklasse" des 18. Jahrhunderts. "Englishness", so Langford, definiert sich in Abgrenzung zu anderen Nationen, deshalb beruht seine Studie zu einem großen Teil auf der Auswertung von Beobachtungen ausländischer Gäste und englischer Auslandsreisender. Neben dem Vergleich mit deutschen und französischen Sitten und Gewohnheiten, sind es vor allem die Nachbarn auf den Britischen Inseln, die Schotten, Waliser und Iren, und die Nordamerikaner, mit denen das englische Naturell verglichen wird. Obwohl die Arbeit die 200 Jahre zwischen der Hinrichtung Karls I. und der Londoner Weltausstellung im Crystal Palace umspannt, liegt der Schwerpunkt seiner Untersuchungen auf der zweiten Hälfte des 18. und dem Beginn des 19. Jahrhunderts. Das ist insofern bedauerlich, als dass das Aufdecken von Stereotypen und deren Bedeutungsverschiebungen im Kontext von ökonomischem und sozialem Wandel und der jeweiligen internationalen politischen Situation erklärtes Ziel des Autors ist. Für manche Aspekte des "englischen Charakters" ist das Langford gelungen, so etwa in seiner Analyse des Faktors "politische Stabilität". Galten England und seine Bewohner nach 1649 als revolutionär, politisch unberechenbar und irrational, so mutierten sie in den folgenden 100 Jahren zu einem Volk disziplinierter, zuverlässiger, ordnungsliebender Patrioten.

In anderen Teilen bleibt das Buch jedoch hinter dem Anspruch, der Fremd- und Selbstdefinition des englischen Charakters und deren Wandel nachzuspüren, zurück und reduziert sich auf die Darstellung von - in nicht-englischen Augen - Skurrilitäten, wie etwa dem Bestehen auf einem offenen Kohlenfeuer zu einer Zeit, in der der Rest Europas, jedenfalls der, der es sich leisten konnte, seine Räume mit sehr viel effizienteren und weniger schmutzigen und rauchigen Öfen heizte. (Eine Sitte, die noch Walter Gropius 1934 in seinem Londoner Exil beklagte, weil "man die unverbrannten Partikel der altmodischen Kamine buchstäblich zu fressen bekommt".) Die Wahl zwischen offenem Kamin oder Ofen stellte sich allerdings für die Mehrzahl der Engländer (und für die Mehrzahl der anderen Europäer) nicht, und hier liegt eine der Schwächen von Langfords Studie. Seine typischen Engländer sind hauptsächlich Vertreter der bürgerlichen Mittelschicht und der Aristokratie. Ihre europäischen Pendants, die den Großteil der von Langford ausgewerteten Quellen verfasst haben, werden wohl kaum einen Blick in einen englischen Bauern- oder Industriearbeiterhaushalt geworfen haben, um über deren Tischsitten und soziale Konventionen zu reflektieren. Das führt zu Verzerrungen. So passt das Stereotyp der unterkühlten und sexuell uninteressierten Engländerin kaum zu der schon in der frühen Neuzeit notorisch hohen Zahl außerehelicher Geburten in England (159), die auch den Zeitgenossen aufgefallen sein muss, die sie aber nicht in ihre Selbstbeschreibung aufnahmen. Hinter dem Verfahren Langfords steht einerseits die These, dass es eine Diffusion von Sitten und sozialen Konventionen von "oben" nach "unten" gab, mit anderen Worten, dass die Kultur der Ober- und Mittelschicht als Leitkultur zu verstehen ist, andererseits die Annahme, dass sich gerade hier ein Diskurs um die nationalen Charakteristika abgespielt hat, weil diese Schicht sich sehr viel stärker im internationalen Kontext verortete als Arbeiter und Bauern. Einen aggressiven nationalistischen Diskurs mit einer gezielten politischen Agenda, wie er sich am Ende des 19. und im 20. Jahrhundert entwickelte, kann Langford für die 200 Jahre seines Untersuchungszeitraums allerdings nicht ausmachen.

Vielleicht wäre es interessanter gewesen, noch stärker die Brüche der englischen Selbstbeschreibung - etwa im Schatten der "Glorreichen" und dann der Französischen Revolution - zu untersuchen anstelle einmal mehr die hinlänglich bekannten Facetten englischer Reserviertheit und englischer Küche zu beleuchten. Der lebendige, manchmal anekdotenhafte Stil des Autors und die Karikaturen von Martin Rowson legen allerdings den Verdacht nahe, dass Langford sein Buch nicht unbedingt nur in akademischen Schreibstuben, sondern vielleicht eher vor dem bei seinen Landleuten auch heute noch sehr beliebten offenen Kamin finden wollte.

Redaktionelle Betreuung: Ute Lotz-Heumann

Empfohlene Zitierweise:

Raingard Eßer: Rezension von: Paul Langford: Englishness Identified. Manners and Character 1650-1850, Oxford: Oxford University Press 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 3, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=124>

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