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Nicholas A. M. Rodger: The Safeguard of the Sea. A Naval History of Great Britain, Volume one: 660-1649, London: HarperCollins 1998, 691 S., ISBN 0-00-638840-X, £ 9,99

Rezensiert von:
Torsten F. Reimer
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Was erwartet man von einer Marinegeschichte Großbritanniens vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit? Zuerst einmal, daß sie Stellung bezieht zu ihrem Gegenstand, klar macht, was das denn sein soll - eine Geschichte der bewaffneten Seemacht eines Gebietes, das in den behandelten 1000 Jahren überhaupt nicht als ein Land zu erkennen ist. Eine zweite wichtige Anforderung an eine solche Überblicksdarstellung besteht darin, nicht nur - zwangsläufig - verkürzt die Ereignisgeschichte zu erzählen, sondern ein deutliches Augenmerk auf längerfristige Entwicklung und Strukturen zu richten. Für besonders gelungen wird man schließlich eine solche Studie halten, wenn sie neben der Erfüllung dieser Forderungen flüssig und auf der Höhe der Forschung geschrieben ist und aus der Vielzahl an zusammengetragenen Einzelstudien ein Fazit ziehen kann.

Nicholas Rodger, ausgewiesener Marinehistoriker und Fellow des britischen National Maritime Museum, sieht im Fokus von "The Safeguard of the Sea", des ersten Teils seiner mehrbändigen "Naval History of Great Britain", "the slow and erratic process by which the peoples of the British Isles learnt - and then for long periods forgot - about the ‚Safeguard of the Sea' [...] meaning the use of the sea for national defence, and the defence of those who used the sea" (XXV-XXVI). Aus dieser Perspektive versucht Rodger die Bedeutung seines Gegenstandes deutlich zu machen, indem er von ihm her die Geschichte Großbritanniens interpretiert. So ist es auch kein Zufall, daß dieser Band mit der Enthauptung Karls I. endet, sieht man doch schon länger den Aufstieg Englands zur bedeutendsten Seemacht Europas erst mit dem Commonwealth gekommen (dazu Hans-Christoph Junge: Flottenpolitik und Revolution: die Entstehung der englischen Seemacht während der Herrschaft Cromwells (=Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts in London, Band 6), Stuttgart 1980.). Rodgers Buch ist so vor allem eine Vorgeschichte des ‚rule Britannia', die es sich zum Ziel gesetzt hat, den Mythos von Britanniens aus dem Mittelalter herreichender Bestimmung zur ersten Seemacht endgültig zu Grabe zu tragen.

Der ungefähr 450 Seiten ausmachende Textteil des Buches durchläuft zu diesem Zweck den behandelten Zeitraum grundsätzlich chronologisch, wobei die einzelnen Zeitabschnitte systematisch in vier Blöcken abgehandelt werden: "Operations", "Ships", "Social History" und "Administration". Konsequent durchhalten kann der Autor diese Aufteilung allerdings nicht - es läßt sich ja beispielsweise erst mit der frühen Neuzeit von einer Marineverwaltung im engeren Sinn sprechen.
So befasst sich Rodger auch nur auf 150 Seiten mit dem gesamten Mittelalter, wobei den nachfolgenden 150 Jahren mehr als doppelt so viel Platz gewidmet ist. Die restlichen 250 Seiten entfallen auf Anhänge, Endnoten, Glossar, Index und Bibliographie. Die fünf Anhänge beinhalten einen chronologischen Abriss des behandelten Zeitraums, eine Zusammenstellung von Bauprogrammen und Schiffen der englischen Krone, Auflistungen von im Mittelalter zu Kriegszwecken herangezogenen Handelsschiffen, einen Überblick zur Besoldung von Mannschaften und Offizieren und Listen der Admiräle und wichtigsten königlichen Beamten in der Marineverwaltung. Zusätzlich enthält der Band eine - vor allem für die hier betrachtete Taschenbuchausgabe - bemerkenswerte Zahl von Abbildungen.
Aus dem letzten Drittel des Buches dürfte gerade für den deutschen, mit nautischen Termini nur begrenzt vertrauten Leser das Glossar von besonderem Wert sein, da hier Begriffe wie "gunwale" oder "snacca" erklärt werden, die sich nur in wenigen englisch-deutschen Wörterbüchern finden dürften. Ebenfalls mehr als nur einen Blick wert ist die 50 Seiten umfassende Bibliographie, die zu vielen Werken einen kurzen und meist sehr treffenden Kommentar enthält. Allerdings hätte man sich eine systematische oder zumindest chronologische Gliederung der Titel gewünscht.

Genau wie die Aufgliederung der einzelnen Kapitel lassen auch Anhänge und Bibliographie keinen Zweifel daran aufkommen, daß Rodgers Darstellung vor allem an der frühen Neuzeit interessiert ist. Aus seiner Perspektive endet für England das Mittelalter "in the mud of October 1523 when Suffolk's army abandoned its march on Paris" (175), also mit der letzten Militärkampagne im Stil des hundertjährigen Krieges. Das Gesamturteil des Autors über die mittelalterliche Seekriegführung in England fällt relativ hart aus, sei es doch nur selten gelungen, über improvisierte Einsätze zu einer umfassenden Strategie hinauszukommen. Wirkliches Verständnis für die Organisation von Seemacht attestiert Rodger nur Richard I. und Heinrich V., worin er auch den Schlüssel für ihre militärischen Erfolge sieht.
Nun dürfte es sicher nicht überraschen, daß für Kriegszüge auf den Kontinent eine leistungsfähige Flotte sowohl für das Übersetzen wie auch die Versorgung von Truppen unbedingt nötig ist, gerade in seiner Betrachtung der verschiedenen Feldzüge auf den britischen Inseln zeigt Rodger aber, daß Seeherrschaft auch dort für die Kriegführung eine entscheidende Rolle gespielt hat. So seien zwar die Eroberungszüge Edwards I. in Wales nur durch die Unterstützung einer starken Flotte möglich gewesen, die daraus eigentlich zwingend folgende Einbeziehung einer solchen Flotte in eine Verteidigungsplanung des eroberten Gebietes wurde aber unterlassen - eine in den Aufständen nach 1294 schmerzlich wieder erlernte Lektion. Auch in den Kämpfen um Nordfrankreich kann der Autor nur selten mehr als eine Verschwendung von Ressourcen erkennen, da es nicht nur an einer Strategie für den direkten Einsatz der Flotte fehlte, sondern sogar die operativen Möglichkeiten von Landungen nicht verstanden worden seien.
Deutlicher noch als in seinen Ausführungen zum Spätmittelalter macht Rodgers Sicht auf die früheren Epochen sein Verständnis von effektiver Seemacht deutlich. Das Schlüsselwort ist dabei ‚Kontinuität'. Die Bereitstellung, Ausrüstung und Versorgung der Schiffe und insbesondere die Ausbildung von Mannschaften und Personal läßt sich mit zunehmender Komplexität der Seefahrt nicht mehr improvisieren. Neben ausreichender Finanzierung und einer durchdachten Strategie macht Rodger so vor allem eine fähige Verwaltung als Hauptvoraussetzung für den wirkungsvollen Einsatz von Seemacht aus. Im Aufbau einer solchen Administration sieht er denn auch den entscheidenden Umbruch vom Mittelalter in die Neuzeit der englischen Seefahrt. Von einer administrativen Kontinuität im Frühmittelalter zu sprechen macht natürlich wenig Sinn, wo es bis weit nach der normannischen Invasion von 1066 kein Herrschaftssystem gab, das auch nur für einen Großteil der britischen Inseln den Anspruch auf eine solche Bezeichnung hätte erheben können. Das Auf und Ab ‚britischer' Seemacht in diesem Zeitraum ist denn auch das nicht anders zu erwartende Auf und Ab der Interessen und Bedürfnisse wie auch Fähigkeiten wechselnder Herrscher unterschiedlicher Stämme und Völker.
Den Grund für den Umbruch in der frühen Neuzeit macht Rodger aber nicht speziell in der Entstehung einer einheitlichen englischen oder gar britischen Nation aus, sondern in der Veränderung des europäischen Mächtesystems. Das endgültige Scheitern der Ambitionen Heinrichs VIII. in Frankreich und seine Abkehr von Rom hätten nicht nur Englands Schwäche im Vergleich zu seinen europäischen Nachbarn augenfällig gemacht, sondern die Beziehungen der Tudormonarchie zu ihrem ‚natürlichen' Bündnispartner gegen Frankreich, den Habsburgern, belastet. Im Zugriff auf die vergleichsweise beschränkten Ressourcen des eigenen Reiches zu schwach, um den Großmächten des 16. Jahrhunderts auf dem Land entgegenzutreten, sei so gar nichts anderes übrig geblieben als auf eine Flotte zur Verteidigung zu setzen. Die besondere Leistungsfähigkeit dieser Flotte lag nun nach Rodgers Auffassung weniger in ihrer den potentiellen Gegnern nur teilweise überlegenen Größe, sondern vor allem in ihrer vergleichsweise effizienten Administration. So sei der Grundstein einer englischen Vorherrschaft auf See eher das Ergebnis englischer Schwäche als einer Berufung gewesen, wie sie noch im ausgehenden 19. Jahrhundert von Autoren wie Sir John Laughton propagiert wurde.
Der ‚kleinräumige' Ansatz englischen Flottenbaus wird auch klar, wenn man ihn beispielsweise mit dem iberischen vergleicht. Die Seeleute insbesondere Portugals waren schon viel länger als die englischen in Hochseenavigation erfahren, und iberische Schiffe stießen schon im 15. Jahrhundert in Gebiete vor, die sich den Engländern erst hundert Jahre später erschlossen. Die Verteidigung der protestantischen Monarchie aber bedurfte keiner solchen Ausstattung. Im Gegenteil: die englische Logistik war darauf ausgelegt, Schiffe zu mobilisieren, die für eine Verteidigung des englischen Kanals, nicht aber eines weltumspannenden Imperiums gerüstet waren. Indem der Bau der neuartigen englischen Galleonen genau auf diesen Zweck abgestimmt war, erreichten sie eine für den begrenzten Zweck optimale Einsatzleistung, die so kurzfristig mobilisiert werden konnte, daß sie das begrenzte Budget Elisabeths I. nicht bis zum Zusammenbruch strapazierte. Die spanische Administration hingegen - und das machen alle neueren Arbeiten zur Geschichte der Armada deutlich - war in keinster Weise auf die Ausrüstung einer modernen Kriegsflotte ausgelegt und benötigte selbst nach 1588 noch Jahre, um die wichtigsten Lektionen auf diesem Weg zu lernen.

Aber auch von der elisabethanischen Flotte führt kein direkter Weg zu Nelson und Trafalgar. Mit der Erholung der französischen Monarchie nach den Religionskriegen und dem Aufstieg der Niederlande zur Seemacht war die Grenze der Leistungsfähigkeit dieser zum Teil privat organisierten Flotte erreicht, insbesondere, nachdem mit dem Ausgreifen englischen Handels der Ruf nach einem zweiten Typ von Marine laut geworden war: neben der Verteidigung der britischen Inseln wurde nun vor allem eine Verteidigung des von ihnen ausgehenden Seehandels gefordert. Die Ressourcen der Stuart-Monarchie waren aber nicht groß genug, beide Anforderungen zu erfüllen. Erst mit dem Überlaufen weiter Teile der Flotte zu den Aufständischen während der englischen Revolution war das Parlament bereit, die dafür nötige Unterstützung zu leisten. Auch in seiner Analyse des Kriegsverlaufes macht Rodger den Einfluß von militärischer Überlegenheit zur See auf den Verlauf eines Krieges im Inneren der britischen Inseln deutlich: die Kontrolle über einen Großteil der Marine stellte für das Parlament vor allem sicher, daß die zur Finanzierung des Krieges unabdingbaren Einnahmen aus dem Außenhandel kontinuierlich flossen. Aber auch die begrenzten Erfolge der königlichen Partei in Wales gehen für den Autor auf einen effektiven Einsatz von Kriegsschiffen zurück, die schnelle Truppenbewegungen zwischen Irland und Wales möglich machten.

So liest sich Rodgers Geschichte der englischen Marine nicht als Teleologie, sondern als eine betont offene. Auch in seiner Sozialgeschichte macht er deutlich, daß die englische Marine sich nicht nur seit dem Mittelalter stetig professionalisierte, sondern beispielsweise gerade mit ihrer gestiegenen Popularität im frühen 17. Jahrhundert gute Pfründe zur Versorgung königstreuer Adeliger abgab. Diese Verankerung der königlichen Marine im öffentlichen Bewußtsein erleichterte gleichzeitig aber auch den Ausbau einer leistungsfähigen Logistik, aus der im 18. Jahrhundert Europas größte Industriekomplexe erwachsen sollten. Die gleichzeitig mitwachsende Administration war aber noch nicht stark genug entwickelt, um aus ihrer Struktur das Fehlverhalten einzelner auffangen zu können, wie Rodger aufzeigt.

Als nur mangelhaft umgesetzt muß allerdings der Anspruch des Autors betrachtet werden, eine Marinegeschichte der gesamten britischen Inseln zu schreiben. Zwar wird gerade die im Vergleich zu den Engländern deutlich höhere Professionalität schottischer Seefahrt betont, spätestens mit dem Hochmittelalter taucht aber der ‚Rest' der Inselbewohner fast nur noch auf hoher See auf, um als Vergleichsmaterial oder Gegner zu agieren.
Gelungener sind die Anmerkungen, die Rodger zum Zusammenhang zwischen Marine und Staatsverfassung macht. Mag man seinen Ausführungen, Absolutismus sei nur zur Aufstellung riesiger Truppenmassen, eine freiheitlichere Staatsverfassung hingegen besser zur Mobilisierung der großen Finanzreserven für den dauerhaften Unterhalt einer Flotte geeignet (432), nur bedingt Glauben schenken, so verweist er mit seinem letzten Kapitel doch sehr treffend auf den Einfluss, den die Marinerüstung auf die Staatsverfassung des frühneuzeitlichen England hatte (siehe dazu: John Brewer: The Sinews of Power. War, Money and the English State, 1688-1783, London 1988). Die kontinuierlich zu leistenden Zahlungen für eine leistungsfähige Infrastruktur waren ein wichtiger Faktor bei allen außen- und innenpolitischen Überlegungen der Krone, insbesondere, als spätestens seit dem 17. Jahrhundert in der Öffentlichkeit eine immer deutlichere Verbindung zwischen Englands Wohlergehen und dem konsequenten Aufbau der ‚Navy Royal' gezogen wurde. Wer nun allerdings eine so dichte Verquickung von rechts-, kultur-, sozial- und wirtschaftshistorischen Fragestellungen erwartet, wie sie der Autor in seiner "Anatomie" der britischen Marine während des siebenjährigen Krieges vorgelegt hat, wird hier naturgemäß enttäuscht werden (N. A. M. Rodger: The Wooden World. An Anatomy of the Georgian Navy, London 1986). Gerade zu einer Sozialgeschichte des Lebens im Mikrokosmos Navy liegt spätestens seit dem Ende des 16. Jahrhunderts mehr Material vor, als Rodger verarbeitet. Dies ist wohl der Preis, den man bei einer Überblicksdarstellung zahlen muß, wenn der Band auch einige Seiten mehr zu solchen Themen durchaus vertragen hätte. Dennoch liegt hier keine Operationsgeschichte im engen Sinne vor, die Teile zur Verwaltung, Schiffen und Sozialgeschichte der Marine machen immerhin rund ein Drittel des Textteiles aus und eine ganze Reihe weiterführender Hinweise finden sich in der Bibliographie.

Lesbar geschrieben ist "The Safeguard of the Sea" trotz dieser kritischen Anmerkungen, die mit Sicherheit wichtigste Gesamtdarstellung zum Thema, die in ihrem weiten Überblick deutlich macht, daß simple Teleologien - gerade dort, wo sie, wie im Falle von Englands Aufstieg zur ersten Seemacht, so verlockend sind - in den seltensten Fälle zutreffen. Diese Leitlinie und die im vorliegenden Band über weite Teile mehr angerissenen als nachgewiesenen Wechselwirkungen zwischen Flotte und britischer Gesellschaft lassen auf eine baldige Vertiefung hoffen.

Empfohlene Zitierweise:

Torsten F. Reimer: Rezension von: Nicholas A. M. Rodger: The Safeguard of the Sea. A Naval History of Great Britain, Volume one: 660-1649, London: HarperCollins 1998, in: PERFORM 1 (2000), Nr. 1, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=1>

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