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Peter Kolb / Ernst-Günter Krenig (Hg.): Unterfränkische Geschichte. Band 4/1: Vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zur Eingliederung in das Königreich Bayern, Würzburg: Echter 1998, 559 S., mehrere Karten, ISBN 3-429-02010-7, € 29,80

Aus: Württembergisch Franken (85 (2001), S. 480-482)

Rezensiert von:
Harald Stockert

Die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung der ehemaligen Reichsterritorien im Gebiet des heutigen bayerischen Regierungsbezirks Unterfranken zwischen 1648 und 1818 steht im Mittelpunkt des ersten Teils des vierten Bandes der von Peter Kolb und Ernst-Günter Krenig herausgegebenen "Unterfränkischen Geschichte". In elf Beiträgen wird die turbulente und wechselhafte Geschichte einer Epoche beschrieben, in der das Alte Reich seine letzte Blütezeit erlebte und anschließend sein Ende fand.

Für Unterfranken mit seinem stolzen Fürstbistum Würzburg waren die ersten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts eine Zeit der territorialen Odyssee, in der es binnen weniger Jahre zu mehrfachen Herrschaftswechseln kam. Erst nach dem Wiener Kongress kehrte mit der endgültigen Festsetzung Bayerns am Untermain Stabilität ein. 1802/3 gelang es dem Kurfürstentum Bayern, mit der Säkularisierung des Hochstifts Würzburg in Franken Fuß zu fassen. Doch der französisch-österreichische Krieg, der Frieden von Schönbrunn sowie die Errichtung des Rheinbundes 1806 beendeten die bayerische Herrschaft schon nach wenigen Jahren. Würzburg wurde unter Erzherzog Ferdinand von Toskana Großherzogtum und zugleich österreichische Sekundogenitur. Demgegenüber stieg der ehemalige Erzbischof von Mainz, Karl Friedrich von Dalberg, der die rechtsrheinischen Überreste seines Kurfürstentums von seiner Residenz in Aschaffenburg aus regierte, 1806 zum Fürstprimas und 1810 zum Großherzog von Frankfurt auf. Die Niederlage Napoleons und der Wiener Kongress bereiteten den beiden Großherzogtümern Würzburg und Frankfurt ein rasches Ende und brachten die Wiederkehr der bayerischen Herrschaft, die dieses Mal von Dauer war. Angesichts dieser wechselhaften Geschichte Unterfrankens zum Ende des Alten Reiches ist es verständlich, dass die Jahre nach 1803 in den Beiträgen des vorliegenden Bandes recht breiten Raum einnehmen.

Drei Aufsätze befassen sich eingangs mit den "politischen Gestaltungskräften im Zentrum Mainfrankens", wobei hierbei naturgemäß das Fürstbistum Würzburg im Vordergrund steht. Im Titel "Im Kräftespiel der Reichspolitik" formuliert Herbert Schott bereits seine These zur "Außenpolitik" des Hochstifts. Das Fürstbistum war auch nach 1648 von den zahlreichen Reichskriegen unmittelbar betroffen. Als geistliches Territorium geriet es im 18. Jahrhundert zunehmend in die Defensive, da die Säkularisation wie ein Damoklesschwert über dem fürstbischöflichen Thron schwebte. Die Nähe zum habsburgischen Kaiser wurde daher als sicherste Garantie der eigenen Existenz angesehen, was den Fürstbischof in der Zeit des wittelsbachischen Kaisers Karl VII. in große Verlegenheit stürzte. Doch auch die bis zum Schluss , bis 1801, betriebene Reichs- und Kaisertreue konnte die Säkularisation und damit den Untergang des Hochstiftes nicht verhindern. Der innere Aufbau des Fürstbistums Würzburg ist Gegenstand des Beitrags von Dietmar Willoweit, der die Staatsorganisation und Verwaltung anhand einer zeitgenössischen Quelle, einem "Hof-, Stands- und Staats-Calender" aus dem Jahr 1747, beschreibt. Recht anschaulich gelingt es ihm, den für geistliche Territorien typischen Wildwuchs an Behörden ebenso anschaulich darzustellen wie Würzburger Besonderheiten etwa im Rahmen der Gerichtsverfassung. Rudolf Endres schließlich widmet sich der Herrschaftselite der Region, dem Adel. In seinem kursorischen Überblick gelingt es ihm jedoch nur bedingt, ein spezifisches Sozialprofil herauszufiltern, beschränkt er sich doch überwiegend auf die Nennung der wichtigsten adeligen Familien und die Schilderung von Dynastie- und Familienpolitik.

Ähnlich wie in den vorausgegangenen Bänden nimmt die Geschichte der weniger bedeutenden Territorien im heutigen Regierungsbezirk Unterfranken breiten Raum ein. Ende des 18. Jahrhunderts, nach der französischen Besetzung des linken Rheinufers, stieg mit Aschaffenburg eine weitere Stadt in Unterfranken zum Regierungssitz eines wichtigen geistlichen Territoriums auf. Günter Christ beschreibt diese Entwicklung ebenso wie die turbulenten Jahre des Dalbergstaates, wobei er sich leider auf die Schilderung normativer Veränderungen durch außenpolitische Verträge und innere Verwaltungsordnungen beschränkt. Erwähnung finden in diesem Zusammenhang auch die 1803 vergrößerten und 1806 mediatisierten Territorien der Leininger und der Löwenstein-Wertheimer. Wie schon in Band 3 der "Unterfränkischen Geschichte" behandeln Johannes Merz und Uwe Müller die Geschichte der Gebiete des Fürstbistums Fulda bzw. der freien Reichsstadt Schweinfurt. Beide Beiträge bestechen dadurch, dass sie über die Schilderung der politischen Fakten hinausgehen und auch wirtschafts-, sozial- und kulturgeschichtliche Fragen miteinbeziehen. Von Interesse sind vor allem die Ausführungen von Merz zu Schweinfurt - und hier drängen sich geradezu Parallelen zu Schwäbisch Hall auf - , der mit der Legende aufräumt, dass das Ende der Reichsunmittelbarkeit von Reichsstädten seitens der Bevölkerung nur negativ gesehen wurde; im Gegenteil, viele empfanden das Ende des elitären Ratsregiments und die Beseitigung der enormen Verkrustungen in Wirtschaftsleben und Verwaltung als Segen.

Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Fragestellungen stehen unter der Überschrift "Die Bewohner und die Gestaltung des Raumes" im Zentrum der Beiträge von Winfried Schenk, Werner Loibl, Peter Kolb und Hans-Michael Körner. Winfried Schenk schildert, wie nach dem Aderlass des Dreißigjährigen Krieges ein weitgehend ungebrochener Bevölkerungsanstieg verbunden mit einer rückläufigen Landausstattung der Bevölkerung die Menschen in Unterfranken im 18. Jahrhundert zusehends in eine Versorgungskrise stürzte, die durch Auswanderung nur zu einem gewissen Teil gemildert werden konnte. Abhilfe musste daher eine stärkere Inanspruchnahme der natürlichen Ressourcen schaffen, unterstützt durch eine Verbesserung der Infrastruktur wie dem Chausseebau. Schenk beschreibt recht eindringlich die gestiegene Bedeutung von Waldwirtschaft und Weinbau für Herrschaften und Untertanen gleichermaßen. Die Verarbeitung der Rohstoffe wurde seit Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmend in Manufakturen durchgeführt, die Thema des Beitrags von Werner Loibl sind. Loibl wendet sich in seinen Ausführungen gegen die bislang vorherrschende Geringschätzung des Manufakturwesens in Unterfranken und belegt deren Bedeutung mit einer umfangreichen Aufzählung der vorindustriellen Großbetriebe in der Region. Erwähnenswert ist dabei sein Befund, dass eine überdurchschnittlich große Zahl der Manufakturen von Ausländern gegründet und betrieben wurde. Wie in Band 3 sind die sozialen Versorgungseinrichtungen und das Medizinal- bzw. Gesundheitswesen Thema des Beitrags von Herausgeber Peter Kolb. Sein kenntnisreicher Überblick illustriert die Mannigfaltigkeit und letztlich auch die Unübersichtlichkeit der sozialen Versorgungseinrichtungen und Spitäler im Hochstift Würzburg gegen Ende des Alten Reichs, die typisch für ein geistliches Territorium war. Den bildungspolitischen Einrichtungen wendet sich im Anschluss Hans-Michael Körner zu. Er konstatiert eine äußerst heterogene Struktur in diesem Sektor, wobei er freilich in seinen Ausführungen selten über normative Schilderungen hinausgeht. Nur wenig ist über die faktische Ausgestaltung des in Verordnungen festgeschriebenen Rahmens zu erfahren, wobei dieses Defizit zugegebenermaßen weniger dem Autor als vielmehr einer undurchsichtigen Quellenlage zuzuschreiben ist.

Die territoriale Odyssee des heutigen Regierungsbezirks Unterfranken nach 1803 und nach dem Ende des Alten Reiches 1806 ist Gegenstand des Beitrags von Harm-Hinrich Brandt. Nach der Besitzergreifung des Hochstiftes Würzburg durch Bayern suchte Staatsminister Montgelas tiefgreifende Reformen im neuen Territorium einzuleiten. Sowohl Verwaltung als auch Justiz hatte er hierbei im Visier, gleichzeitig war aber auch die Entflechtung von Staat und Kirche hin zur Schaffung eines überkonfessionellen Staatswesens sein Ziel. Diese Modernisierungspolitik Bayerns in Unterfranken wurde durch die politischen Veränderungen im Jahr 1805/06 und den dadurch bewirkten Herrschaftswechsel jäh unterbrochen. Erzherzog Ferdinand von Toskana sah sich nach seinem Einzug in Würzburg zahlreichen Problemen gegenüber. Neben dem Verlust wichtiger Fachleute in der Verwaltung, die es nach Bayern zog, und neben der verunsicherten Bevölkerung hatte er vor allem mit der Tatsache zu kämpfen, dass die Bayern vor ihrem Abzug aus Würzburg die Staatskasse geplündert hatten. Der gestalterische Spielraum Ferdinands war daher äußerst gering. Auch die Tatsache, dass zahlreiche Probleme in den vergangenen Jahren zwar angegangen, ihre Lösung aber auf halbem Wege stecken geblieben war, trug nicht dazu bei, konstruktive Politik im Sinne eines kontrollierten Staatsaufbaus zu praktizieren. Letztlich herrschte in der Zeit des toskanischen Zwischenspiels Gesetzgebungsstillstand - so der Befund Brandts. Erst das Ende des Großherzogtums und der Wiederanfall an Bayern eröffnete die Möglichkeit, an die angefangenen Reformvorhaben anzuknüpfen.

Peter Kolb und Ernst-Günter Krenig ist es wiederum gelungen, einen Kreis ausgewiesener Experten für ihr Vorhaben zu gewinnen. Die in ihrer Mehrzahl gelungenen Beiträge zur politischen Ereignisgeschichte und zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte werden jeweils ergänzt durch einen umfangreichen Anmerkungsapparat und ein Literaturverzeichnis. Ausgespart wurden im vorliegenden Band die Themen Konfessionalisierung und religiöses Leben, Bildende Kunst, Musik, Literatur und Theater. Sie sind einem eigenen Band vorbehalten. Besonders erwähnenswert ist schließlich die separat beigelegte Karte, ein Faksimile einer Landkarte des Hochstiftes Würzburg und der angrenzenden Territorien von 1791 im Format 80x50 cm. Ihre Ausführung ist besonders gelungen und dürfte für jeden Liebhaber ein "Schmankerl" sein.

Empfohlene Zitierweise:

Harald Stockert: Rezension von: Peter Kolb / Ernst-Günter Krenig (Hg.): Unterfränkische Geschichte. Band 4/1: Vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zur Eingliederung in das Königreich Bayern, Würzburg: Echter 1998, in: INFORM 3 (2002), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=500>

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