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Manfred Friedrich: Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft (= Schriften zur Verfassungsgeschichte; Bd. 50), Berlin: Duncker & Humblot 1997, 437 S., ISBN 3-428-09114-0, € 52,00

Aus: Württembergisch Franken (85 (2001), S. 457 f.)

Rezensiert von:
Raimund J. Weber

Die Arbeit will eine Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft in Gestalt einer akademischen "Fachdisziplingeschichte" bieten. Nun spricht man zwar von Staatsrechtlern in Deutschland im engeren Sinn erst seit Gründung des Bismarckreichs. Die Fachvereinigung der einschlägig habilitierten Hochschullehrer wurde sogar erst 1922, nach dem ersten Weltkrieg, ins Leben gerufen. Dem Staatsrecht des kaiserlichen Deutschland, der Weimarer Republik und der Jahre von 1933 bis 1945, eines Zeitraums von nur 75 Jahren, sind denn auch gut 40% der Darstellung gewidmet. Nimmt man die 90 Seiten, welche die konstitutionelle Ära im Deutschen Bund behandeln, hinzu, kommt man sogar auf zwei Drittel. Das restliche Drittel umfasst das 17. und 18. Jh. mit einigen Vorläufern im 16. Jh., d.h. in etwa die frühe Neuzeit. Als Beginn des "Fachs" gilt die Berufung des Niederländers Dominikus Arumäus (1579-1637), des "Stammvaters der Publizisten" an die sachsen-weimarische Universität Jena. Zu dessen Schülern zählte Johannes Limnäus, der mit seinem Werk über das "Ius publicum Imperii romano-germanici" mitten im Dreißigjährigen Krieg eine erste grundlegende Darstellung der neuen Disziplin lieferte. Das 17. Jh. war im übrigen geprägt von der "Reichsdebatte", dem Streit um die Regierungsform des Reichs ("forma imperii"), in dem - je nach Standpunkt des Autors - die Meinungen von der Monarchie, Aristokratie, einer Mischform oder gar einem "Monstrum" propagiert wurden. Nach dem Dreißigjährigen Krieg kamen zum "Ius publicum" die neuen Fächer des Natur- und Völkerrechts und, im 18. Jh., die Reichshistorie oder Reichsgeschichte. Eingehend gewürdigt wird die Leistung der brandenburgischen Reform- und Aufklärungsuniversität Halle (seit 1694) und der hannöverschen Folge- bzw. Konkurrenzgründung Göttingen (1737). Populär wurde der Begriff des "Deutschen Staatsrechts" durch die monumentale, in der Jahrhundertmitte entstandene Darstellung des Württembergers Johann Jakob Moser, sein "Teutsches" bzw. "Neues teutsches Staatsrecht".

Man kann sich fragen, ob der Bogen der Kontinuität nicht ein wenig zu weit gespannt wird, wenn das "Ius publicum" des Konfessionellen Zeitalters mit dem Staatsrecht des Bismarckreichs und der Weimarer Republik in Zusammenhang gebracht wird, ist doch die Verfassung des Alten Reichs, das 1806 zugrunde ging, mit den anschließenden modernen Staatsverfassungen in Deutschland nicht kompatibel. Da es dem Autor aber lediglich um eine Geschichte der sachlich einschlägigen akademischen Disziplin in Deutschland geht, mag diese Frage hier dahinstehen - nützlich ist seine gedrängte Übersicht für die Zeit vor 1806 allemal. Friedrichs Bewertungen der einzelnen Autoren und ihrer Werke sind abgewogen und entsprechen den "im Fach" herkömmlichen Ansichten. Die Problematik der Arbeit liegt, soweit es die frühe Neuzeit angeht, darin, dass sich das tatsächliche Staatsrecht nur unzureichend aus den literarischen Arbeiten der Zeitgenossen erschließt. Das liegt für die nicht selten parteiischen Teilnehmer an der "Reichsdebatte" auf der Hand. Ihre Räsonnements spielten am Verhandlungstisch oder in den Reichsgerichten keine Rolle; sie waren Propaganda. Aber auch die Werke der ernsthafteren Autoren gelangen über Schematismen und Erläuterungen einzelner "Reichskonstitutionen" oft nicht hinaus. Das Reichsrecht war, gerade in der für uninteressant gehaltenen Zeit vom Dreißigjährigen Krieg bis zur französischen Revolution beileibe nicht so statisch, wie es die noch immer herrschende Ansicht "im Fach" glauben machen will, freilich müsste dieses, wenn es hier weiterkommen wollte, zu den Akten der Regierungen und der Reichsgerichte vordringen.

Empfohlene Zitierweise:

Raimund J. Weber: Rezension von: Manfred Friedrich: Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, Berlin: Duncker & Humblot 1997, in: INFORM 3 (2002), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=495>

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