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Thomas Dehesselles: Policey, Handel und Kredit im Herzogtum Braunschweig in der frühen Neuzeit (= Studien zu Policey und Policeywissenschaft), Stuttgart / Berlin / Köln: Kohlhammer 1999, IX + 219 S., ISBN 3-465-02778-7, DM 48,00

Aus: Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte (81 (2000), S. 276 f.)

Rezensiert von:
Christof Römer

Im Rahmen des Projektes "Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit" des Max-Planck-Instiuts für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main entstand die zu besprechende, 1997/ 1998 am Juristischen Fachbereich der Universität Frankfurt (Prof. Dr. M. Stolleis und Prof. Dr. J. Rückert) angenommene Dissertation von Thomas Dehesselles. Der Titel annonciert eine Arbeit, die schwerpunktmäßig dem Thema Handel und Kredit in den Policeyverordnungen des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel gewidmet ist. Der Autor wählt den Begriff des "Herzogtums" Braunschweig-Wolfenbüttel, der im 18. Jh. zwar häufig angewendet wurde, aber gleichwohl staatsrechtlich nicht korrekt ist, weil es bis zum Ende des Alten Reiches reichsrechtlich nur ein Herzogtum Braunschweig-Lüneburg (1235) und vier reichsrechtlich anerkannte Fürstentümer (Reichsmatrikel 1523) dieses Herzogtums gegeben hat. Die Ausführungen von Dehesselles zur Terminologie (S. 3f.) sind ohne Berücksichtigung der mit den Daten 1235 und 1523 charakterisierten reichsrechtlichen Festlegungen substanzlos; dies muss leider betont werden, da der Autor in einer Rezension (Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte 71, 1999, S. 280) sich apodiktisch zu diesem Thema äußerte.

Überhaupt sind die vielfach in diesem Buch zum Polizeirecht eingestreuten Passagen zur norddeutschen Territorialgeschichte häufig unglücklich, nicht selten falsch formuliert. Z. B. hätte die Zusammensetzung des Niedersächsischen Reichskreises nach dem Buch von U. Gittel (erschienen 1996, aber nicht ernsthaft eingearbeitet) leicht korrekt dargestellt werden können. Ein Satz wie "Das Patronat der städtischen Pfarreien verblieb beim Herzog" berücksichtigt nicht die Rolle der braunschweigischen Stifte. "Von 1566 bis 1624 waren die regierenden Herzöge von Braunschweig-Wolfenbüttel Bischöfe im Bistum Halberstadt", heißt es bei Dehesselles (S.7); tatsächlich gilt das nur für 1568-1613, als nämlich Heinrich Julius regierender Herzog und Bischof d e s (!) Bistums Halberstadt war. Die Grafschaft Blankenburg ("Blanckenburg" bei Dehesselles durchgängig) sollte als Mitglied des Niedersächsischen Kreises nicht vergessen werden. Die Zuständigkeit des Obersächsischen Kreises bzw. die eventuelle Gültigkeit von dessen Verordnungen für das welfisch gewordenene Stiftsamt Walkenried wird nicht thematisiert.

Die Arbeit von Dehesselles gliedert sich in sechs Teile: Einleitung, Policeynormen in Braunschweig-Wolfenbüttel, Handel, Geld- und Kreditwesen, Märkte und Messen, Zusammenfassung und Ergebnisse. Drei Hauptabschnitte gelten also bestimmten Bereichen des Policeywesens, denen ein grundsätzlicher Abschnitt vorangestellt ist. Dieser Abschnitt müsste eine zentrale Funktion für das Buch haben, denkt der Leser. Unterabschnitt A befasst sich mit "Normsetzung" und enthält allgemeine Ausführungen zur Verordnungsproduktion in Braunschweig-Wolfenbüttel. Der Unterabschnitt B ist tituliert "Normgeber - Normadressat". Hier werden zum einen "Reich", "Niedersächsischer Reichskreis", "Überterritoriale Verordnungsgeber" (soll heißen: gesamtwelfische Vereinbarungen) und "Landstände" abgehandelt, zum andern werden "Verwaltungsorganisationen" als "Normadressat" vorgestellt; abschließend folgt ein Abschnitt über "Anredeformel und Verkündigung". Soweit die Gliederung dieses Teiles des Buches.

Eine überblicksmäßige Information zu den Verordnungen ist zweifellos ein Desiderat der Forschung. Der Verf. berichtet über seine Recherchen, er ermittelte für 1495-1806 einen Bestand von ca. 3000 polizceylichen Verordnungen. Ohne Wiederholungen usw. seien es 2300 Verordnungen für 3300 "policeyliche Materien". Leider ist über die Definition dieser "Materien" nichts ausgeführt, auch findet sich über die Abgrenzung policeylicher von nichtpoliceylicher Verordnungen eine definitorische Aussage nur in Form von Aufzählungen. Eigenartigerweise wird die in den Beiheften zum Braunschweigischen Jahrbuch (Bd. 4) 1986 erschienene Arbeit von Werner Butz "Der Polizeibegriff im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel" völlig abqualifiziert ("wird weder methodisch, historisch noch inhaltlich dem Problem gerecht", S. 19), obgleich Butz sich mit dem Polizeibegriff (und den anderen einschlägigen Thematiken) in übersichtlicher Form auseinandersetzt; die Nichtrezeption einer Vorgängerarbeit in dieser Form ist für den Leser, der sich die Unterschiede der Auffassungen nun selbst erarbeiten muss, nicht gerade hilfreich.

Was Dehesselles an die Stelle setzt, ist eine recht lockere Reihung von Teilthemen und die Analyse einer nicht zustande gekommenen Policeyordnung "aus den 1560er Jahren", die er mit verschiedenen Teilthemen verbindet. Die chronologische Darstellung der polizeilichen Gesetzgebung bei Butz ist wesentlich übersichtlicher und umfangreicher. Dehesselles behandelt in seinem Abschnitt "Normsetzung" z. B. das Verbot fremder Kriegsdienste (mit Belegen in den Anmerkungen aus den Jahren 1534-1556) "im Zuge der Bauernaufstände und Religionskriege" (welche Kriege sind gemeint?), ohne auf die Rolle des Reichskreises einzugehen. Dieser hat bei ihm einen (kurzen) Extraabschnitt, wo die Normsetzungen nur allgemein und nicht mit Bezügen auf die politische Situation abgehandelt werden. Im Abschnitt "Überterritoriale Verordnungsgeber" werden neben Konventionen der welfischen Fürstentümer (die hier ziemlich problematisch so eingeordnet sind) auch die "Übereinkünfte mit Preußen" im 18. Jh. angesprochen, u. a. zum Handwerkerrecht, ohne dass das für die Geschichte von Verordnungen recht bemerkenswerte Zustandekommen der Reichshandwerkerordnung von 1731 (Zusammenspiel Reich, Reichskreise, Territorien; die Rolle des preußischen Königs als Kreisdirektor, u. a. auch im Niedersächsischen Kreis) in irgendeiner Weise thematisiert wird.

Natürlich ist es Sache des Autors, seine Gewichtungen vorzunehmen. Dienlich wäre aber eine Vermeidung von exkursartigen Bemerkungen gewesen (z. B. verquer und überflüssig die Aussage, daß die Landstände der "Hauptfinanzier" der Landesuniversität gewesen seien, S. 28; der Verf. irrt, wenn er die Wahrnahme der Gerichtshoheit durch Justizamtmänner abstreitet, S.46 - Belege gibt es z. B. im Oberamt Schöningen für das 18.Jh.). Wo zentrale Aussagen erwartet werden könnten, stehen Sätze wie: "In der zeitgenössischen Terminologie gleichbedeutend mit Verordnung waren die Begriffe Edikt, Patent und Mandat. Alle Bezeichnungen standen für einen obrigkeitlichen Erlass, ohne dass eine hinter den Begriffen stehende Systematik erkennbar wäre" (S. 39); das hätte man gern im einzelnen vom Verf. erläutert erhalten.

Entgegen dem Anspruch des Verf., systematische Klärungen mit jeweils historischem Tiefgang vorzunehmen, besteht der Vorzug der Arbeit darin, dass in den drei thematisch ausgerichteten Abschnitten über Handel (S. 61ff.), Geld und Kreditwesen (101ff.) und Märkte und Messen (S. 159ff.) die Inhalte der Verordnungen gerafft dargestellt werden in andeutender Verbindung mit der zeitlichen Situation und den sachlichen Zusammenhängen. Der Verf. arbeitet hier quellennah mit vielen Belegen, so dass man fehlende Literaturzitate (z.B. Bothe für das Commerzkollegium) nachsehen kann. Die bemerkenswerten Analysen in diesen Sektoren dürften von der wirtschaftsgeschichtlichen Spezialforschung als weiterführend aufgegriffen werden.

Empfohlene Zitierweise:

Christof Römer: Rezension von: Thomas Dehesselles: Policey, Handel und Kredit im Herzogtum Braunschweig in der frühen Neuzeit, Stuttgart / Berlin / Köln: Kohlhammer 1999, in: INFORM 3 (2002), Nr. 1, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=485>

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