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Frank Günter Zehnder (Hg.): Hirt und Herde. Religiosität und Frömmigkeit im Rheinland des 18. Jahrhunderts (= Der Riss im Himmel; Bd. 5), Köln: Dumont 2000, 280 S., 140 s/w-Abb., 16 Farbtafeln, ISBN 3-7701-5007-4, DM 49,90

Aus: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde (46 (2001), S. 453f.)

Rezensiert von:
Günter Bers

Gleichzeitig mit der großen Ausstellung zum Leben und Wirken des Kölner Erzbischof-Kurfürsten Clemens August I. und zu seiner Epoche ist eine begleitende Schriftenreihe initiiert worden, deren Bände in rascher Folge erscheinen. Diese kommentieren und illustrieren Teilaspekte des Ausstellungsthemas. Der vorliegende Band beschäftigt sich mit einem bisher ein wenig vernachlässigten Sujet, den religions- und kirchengeschichtlichen Phänomenen der Zeit Clemens Augusts und darüber hinaus des 18. Jahrhunderts. In 12 Beiträgen vorwiegend jüngerer Autorinnen und Autoren werden Fragestellungen angesprochen, die man in der hier vorgestellten Weise in der bekannten Bistumsgeschichte von Eduard Hegel (Band IV, 1979) nicht finden kann: Die weiterschreitende Forschung wartet also mit neuen Erkenntnissen auf, schon dies ein bedeutsamer Zugewinn. Darüber hinaus bietet der reich bebilderte, z.T. mit Farbtafeln ausgestattete Band auch dem zunächst nur neugierigen Leser einen optischen Genuss.

Im einzelnen gibt J. Oepen vom Historischen Archiv des Erzbistums Köln eine Einführung in das Thema. Der Bonner Liturgiewissenschaftler A. Gerhards schildert die liturgische Entwicklung zwischen 1600 und 1800 (bis zum 19. Jahrhundert gab es eine eigene kölnische Liturgie, zuletzt unter Clemens August 1756 in Buchform veröffentlicht). Der Volkskundler A. Döring greift ein schon mehrfach von ihm behandeltes Thema, die Wallfahrten auf und schildert das Wallfahrtsleben im 18. Jahrhundert. J. Oepen widmet sich den religiösen Bruderschaften des 18. Jahrhunderts. B. Schildt-Specker beschäftigt sich mit Orden und Klöstern im Erzbistum Köln, U. Scholten stellt Überlegungen zu Struktur, Funktion und Entwicklung der rheinischen Sakrallandschaft vor, insbesondere am Beispiel der Stadt Neuss und der Umgebung Bonns. H. Benz legt die lange und schwierige Genese des Kölner Priesterseminars dar, das letztlich einer Willensbekundung (1738) Clemens Augusts seine Existenz verdankt. B. Haas schildert die unter den Kurfürsten des 18. Jahrhunderts tätigen Weihbischöfe, die vor allem die Last der pastoralen Arbeit zu tragen hatten. K. Pörnbacher umreißt den Einfluss der schwäbischen Nonne Crescentia Höß, die als Beraterin und Seelenführerin von Clemens August sich Verdienste erworben hat. P. Schwarz informiert über die von Clemens August favorisierte Verehrung des Heiligen Hauses von Loreto. U. Küppers-Braun stellt von Jesuiten vor allem in dem gemischt-konfessionellen Mülheim am Rhein zelebrierte Kontrovers-Predigten vor, in denen protestantische Glaubens-Interpretationen einer harschen Kritik unterzogen wurden. B. Klein schließlich wendet sich dem bisher weitgehend unbekannten Institut des kurkölnischen Landesrabbiners zu, ein interessanter Beitrag zum Umgang mit religiösen Minderheiten im frühmodernen Territorialstaat.

Man wird sagen können, dass alle Beiträge neben einer z.T. erstmaligen Skizzierung ihres Themas weiterführende Ansätze enthalten und Neugier auf mehr Informationen wecken, also neue Forschungen zu initiieren geeignet sind. Im einzelnen wird jetzt auch die religiöse Komponente in Charakter und Lebensführung des Kurfürst-Erzbischofs Clemens August deutlicher. So hat er sich ganz nachhaltig für die Realisierung des kölnischen Priesterseminars auf dem Verordnungsweg eingesetzt, nachdem mehrere Versuche seiner Amtsvorgänger gescheitert waren. Der springende Punkt war aber die wirtschaftliche Existenz des Seminars, und hier hat Clemens August sich nicht nennenswert engagiert. Während er Millionenbeträge in seine Schlösser verbaute, konnte sich das Seminar letztendlich nur durch fromme Stiftungen (z.T. des Lehrpersonals!) behaupten. Auch spezifisch religiöse Aktivitäten wie sein Verhältnis zu C. Höß und den Loreto-Kult wird man mit einer gewissen Skepsis sehen können. Weiterführend und auch unter volkskundlichen Aspekten hervorhebenswert sind die Beiträge von J. Oepen über das Bruderschaftswesen - hier wird gleichsam ein unbestellter Acker erstmals umgepflügt - und über das Wallfahrtswesen. Merkwürdigerweise fehlt eine eigene Untersuchung über die Heiligen- und Reliquienverehrung im Kölner Erzbistum (vgl. S. 12), obwohl diese doch zahlreiche Affinitäten zu den beiden zuletzt genannten Bereichen aufweist.

Was man im Bereich des Themenkomplexes Hirt und Herde ferner vermissen könnte, ist die Sicht des Kirchenjahres aus dem Blickwinkel des normalen Gläubigen, sozusagen eine Alltagsgeschichte auf der Mikroebene. Aber auch Bischofsbesuche, Visitationen, Volkskatechese, Primizfeiern, Kapellenweihen und weitere Aspekte der Popularisierung von Religion ließen sich untersuchen. Aber es ist natürlich einfacher, Wünsche zu äußern als diese zu realisieren. Der Rezensent ist jedenfalls sehr angetan von den in diesem Band ausgebreiteten Erkenntnissen. Ein Buch, dem man noch mehrere Nachfolger wünscht. Hervorzuheben ist auch die sorgfältige redaktionelle Gestaltung durch N. Buchmann, R. Wagner, U. Baetz und U. Weber.

Empfohlene Zitierweise:

Günter Bers: Rezension von: Frank Günter Zehnder (Hg.): Hirt und Herde. Religiosität und Frömmigkeit im Rheinland des 18. Jahrhunderts, Köln: Dumont 2000, in: INFORM 2 (2001), Nr. 6, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=484>

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