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Gunther Hirschfelder / Dorothea Schell / Adelheid Schrutka-Rechtenstamm: Kulturen - Sprachen - Übergänge. Festschrift für H.L. Cox zum 65. Geburtstag, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2000, 710 S., zahlr. Abb., ISBN 3-412-11999-7, DM 148,00

Aus: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde (46 (2001), S. 429-433)

Rezensiert von:
Thomas Schneider

Mit der vorliegenden Festschrift wird der niederländische Gelehrte H[einrich] L[eonard] Cox geehrt, der seit 1975 als Universitätsprofessor an der Universität Bonn und Direktor des dortigen volkskundlichen Seminars lehrt und forscht und der am 15. August 2000 seinen 65. Geburtstag beging. Die insgesamt 44 Beiträge zu dieser Festschrift, die thematisch acht Schwerpunkten zugeordnet sind und aus den Federn international renommierter WissenschaftlerInnen stammen, spiegeln sowohl die Internationalität als auch den interdisziplinären Ansatz des Geehrten wider. Sie verweisen darüber hinaus auch auf H.L. Cox' eigene Forschungsschwerpunkte, wie sie im Vorwort der Herausgeber umrissen werden und wie sie gleichermaßen das umfangreiche, von Ingrid Seppel bearbeitete Schriftenverzeichnis (1964-2000) des Jubilars ausweist.

Den Auftakt der Festschrift bilden drei Beiträge zum Themenschwerpunkt Kulturelle Dimension sozio-ökonomischer Prozesse. In ihrem mit aussagekräftigen Illustrationen versehenen Aufsatz mit dem Titel Handel und Wandel. Keramische Szenen, z.B. im rheinischen Raum (S. 3-22) befasst sich Bärbel Kerkhoff-Hader (Bonn/Bamberg) mit den Veränderungen im Töpferhandwerk in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die "in einem verzweigten Feld gesellschaftlicher Ursachen und Wirkungen zu verorten sind" (S. 17), und die ihre augenfälligen Auswirkungen auf den heute bunten Töpfermärkten (im Gegensatz zu denen früherer Jahrzehnte in monofarbenem Braun) zeigen. Überlegungen zu Übergängen im Lebenslauf stellt Ruth E. Mohrmann (Münster) am Beispiel des "Sonderfall[s] der ökonomischen Krisen" (S. 23) in ihrem Essay Ökonomische Krisen als Lebenskrisen - Bewältigungsmuster und Verhaltensstrategien bei Überschuldung und Konkurs (S. 23-28) an. Der Beitrag Günter Wiegelmanns (Siedlungen und kulturelle Prozesse in Westfalen, S. 29-45) widmet sich einmal mehr der Kulturraumforschung und den damit verbundenen Problemstellungen der Diffusion von Kulturzügen. Konkret geht er den Fragen nach der Interdependenz von Siedlungsstruktur als einer von mehreren exogenen Dominanten und der Ausbreitung kultureller Züge nach, um in seiner abschließenden Bemerkung dahingehend zu relativieren, dass andere Dominanten wie Staat, Religion und Ökonomie "zweifellos größeren Einfluß" (S. 45) ausgeübt haben.

Bei den fünf Aufsätzen des zweiten Themenschwerpunkts der Festschrift handelt es sich um internationale Beiträge zur Erzählforschung. Helmut Fischer (Hennef) greift in seinem Beitrag Kettenbriefgeschichten (S. 49-59) einen Typus von Schriftstück auf, "das historisch in Wellen hervortritt und eine bestimmte Sorte von Geschichte transportiert" (S. 49). Da der Inhalt der Geschichten jedoch nicht nur gelesen, sondern auch weitererzählt wird, rangieren die Kettenbriefgeschichten "an der Schnittstelle von Mündlichkeit und Schriftlichkeit" (S. 56), verlieren jedoch bei der mündlichen Nacherzählung an Autorität. In ihrer fixierten schriftlichen Gestalt und der daraus resultierenden Eignung zur Verbreitung durch moderne Kopiertechniken (und neuerdings auch per E-Mail, Anm. d. Verf.) sind Kettenbriefe mit dem Begriff der "Xeroxlore" (S. 58) zu fassen. Patricia Lysaght (Dublin) analysiert die Auswirkungen der fünf Hauptperioden politischen, sozialen, sprachlichen und kulturellen Wandels seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Irland auf die Praxis der irischen Volkserzählung in ihrem Beitrag Change and Transition in the Folk Narrative Environment in Ireland in the Nineteenth and Twentieth Centuries (S. 61-83). Einen Aspekt flämischer Wissenschaftsgeschichte beleuchtet Stefaan Top (Leuven) in seinem Aufsatz Ein halbes Jahrhundert Volkssagenforschung an der Universität Leuven (S.85-94), und W.F. Nicolaisen (Aberdeen) liefert einen Beitrag zur schottischen Flurnamenforschung mit dem Titel Place Names in the Landscapes of Fifteen-Century Scotland (S. 95-102). Niederländische Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten stehen im Mittelpunkt des Beitrags von Stanis aw Pr dota (Wroc aw) über Die Sprichwörteraufsätze von J.H. van Dale (S. 103-110).

Der historischen und vergleichenden Sprachforschung sind die Beiträge des dritten Themenschwerpunkts gewidmet. Der Sprachhistoriker Werner Besch (Bonn) untersucht die Frage, inwieweit Der gemeine Mann in Luthers Schriften (S. 113-133) bereits pejorative Bedeutungen aufweist und kommt zu dem Schluss, dass bei Luther die abwertende Konnotation, welche die Begriffe Pöbel und gemeiner Mann im 19. Jahrhundert erhielten, noch keineswegs festgestellt werden kann. Am Beispiel niederländischer Einwanderer nach Australien in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts gehen Michael Clyne und Helen Cain (Clayton/Australien) dem Phänomen der Dreisprachigkeit in ihrem Beitrag Trilingualism in related Languages - Dutch-German-English near and far (S. 135-152) nach. Stärker historisch orientiert sind die sprachwissenschaftlichen Aufsätze von Thomas Klein (Bonn) über Die mittelfränkische e-Synkope und -Apokope und die Metrik des "Rheinischen Marienlobs (S. 153-171) sowie von Walter Hoffmann (Bonn) über Ein spätmittelalterliches Inventar der Tomburg und die historische rheinische Lexikographie (S. 173-188). Den Sprachgebrauch im Rheinland des späten 19. Jahrhunderts (S. 189-205) untersucht Jürgen Macha (Münster) am Beispiel der Figurenrede bei der Eifelschriftstellerin Clara Viebig. Der Autor kommt in seiner Analyse zu dem Schluss, dass die Darstellung der Sprachwirklichkeit in der fraglichen Zeit in der preußischen Rheinprovinz in Viebigs Werken "hohen dokumentarischen Wert als aussagekräftige ,Spracherkenntnisquelle'" (S. 205) hat. Am Beispiel des Erzählmotivs vom Meisterschuss plädiert Jurjen van der Kooi (Groningen) in seinem historisch-geographischen Beitrag He bringt dat nich wedder tohoop (S. 207-216) für eine weltweite Komparatistik der Motive in der Volkserzählung. Ältere Zeugnisse zur niederländischen Sprachgeschichte (S. 217-223) legt Gilbert de Smet (Gent) in seinem Aufsatz vor. Eine Verbeugung vor der Leistung H.L. Cox' und seiner Arbeit am Deutsch-Niederländischen, Niederländisch-Deutschen Wörterbuch macht Willy Martin (Amsterdam) mit seinem Aufsatz zur Entstehung zweisprachiger Wörterbücher On the making of bilingual dictionaries (S. 225-237), in welchem er Vorgehensweise, Darstellung sowie Probleme bei der Erstellung solcher Wörterbücher aufreißt. Über niederländische Flüche und den lexikographischen Umgang mit ihnen handelt der Aufsatz Flüche in und außerhalb von Wörterbüchern (S. 239-251) von P.G.J. van Sterkenburg (Leiden), und über Die historische Bedeutung der dialektologischen Terminologie des Ethnographischen Atlasses der Slowakei (S. 253-260) informiert der Beitrag von So a Kova evi ová.

Populare Traditionen stehen im Mittelpunkt der Beiträge im vierten Themenschwerpunkt. Hier findet sich der Aufsatz von Gerda Grober-Glück (Sankt Augustin) zum Thema Eine Sonderform bäuerlicher Grußkommunikation im Vergleich mit üblichen Grußformeln. Anhand des ADV-Materials zu Gruß- und Anredeformen diskutiert die Autorin den "Gesprächsgruß", welcher als Sonderform der bäuerlichen Kommunikation "aus einem teilnehmenden Kurzgespräch bei einer zufälligen Begegnung von Dorfbewohnern besteht" (S. 265) und persönlicher als herkömmliche Grußformeln wirkt. Und nicht zuletzt dieser Grund lässt die Autorin die Hoffnung äußern, dass mit der Abwendung vom zeremoniellen Grußverhalten eine Hinwendung zum Gesprächsgruß verbunden sein möge. Leander Petzoldt (Innsbruck) behandelt in seinem Beitrag Alpenlore (S. 277-290) populäre Traditionen, Glaubensvorstellungen und Volkserzählungen vom Leben auf der Alm, die er nach Inhalten und Motivik in zwei Gruppen einteilt. Solchen Erzählungen, die primär aus den spezifischen Lebensbedingungen und Interessen der Alpenbewohner entstanden sind, steht eine weit größere Gruppe gegenüber, "die das spezifische Milieu wiedergeben, deren Protagonisten jedoch nur modifizierte Gestalten aus Sagentypen allgemeiner Verbreitung sind" (S. 283). Anhand seiner Beispiele arbeitet der Autor die Milieubedingtheit der Überlieferungen heraus, die mit den Erlebnisstrukturen des Individuums mit seiner spezifischen Sozialisation, sozialen Stellung, Ausbildung und Weltsicht korrespondieren und sich von den Vorstellungen und Erlebniswelten anderer Gruppen unterscheiden. Alena Plessingerová und Josef Va eka (Praha) beschreiben in ihrem Beitrag Das Portiunculafest (S. 291-302) den Funktionswandel, den dieses im ausgehenden 17. Jahrhundert aus einem vom Papst auf alle Franziskaner- und Kapuzinerkirchen ausgedehnten Ablassprivileg entstandene Fest durchlaufen hat. Mit der Diffusionsgeschichte eines Brauchs, der seit dem 15. Jahrhundert belegt ist, und des dazugehörigen Musikstücks befasst sich der Aufsatz von Henri Klees (Luxembourg) zum Thema Der Luxemburger "Hämmelsmarsch": Von der Volkskweise zur Natioanlhymne und zum Heischelied (S. 303-314), und Hinrich Siuts (Münster) liefert einen Beitrag zur Liedforschung über Predigt- und Litaneiparodien im deutsch-niederländischen-flämischen Grenzraum (S. 315-324).

Der fünfte Themenschwerpunkt Kulturhistorische Studien umfasst sieben Beiträge, beginnend mit Marlene Nikolay-Panters (Bonn) Skizze über Wald und Waldnutzung im Rheinland des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (S. 327-346), in welcher die Autorin die Probleme und Interessenskonflikte beleuchtet, die für den Wald in der frühen Neuzeit kennzeichnend waren: den verschiedenen Formen der wirtschaftlichen Nutzung des Waldes durch die Bevölkerung (v. a. Holzeinschlag für Brenn- und Bauholz sowie die Schweinemast) standen die Interessen der Landesherren und die daraus entsprungenen Reglementierungen der Waldnutzung und der Nutzungskontrolle gegenüber. Einen Beitrag zur Nahrungsforschung der frühen Neuzeit steuert Alexander Fenton (Edinburgh) bei, indem er über Meat and Bread: Some Aspects of Food History in Early Modern Scotland (S. 347-359) schreibt und nachweist, wie sich in Folge des Bevölkerungsrückgangs, ausgelöst durch die Pest, ein Wandel in den Nahrungsgewohnheiten der schottischen Bevölkerung vollzog, der einen Rückgang beim Fleischverbrauch und einen Anstieg des Getreideverbrauchs zum Ergebnis hatte. Über die Verfassung der Stadt Köln aus dem Jahr 1396, die aus dem Sturz des aristokratischen Patrizierregiments durch die kölnische Bürgergemeinde resultierte und in einigen Passagen "eine frühe Spur bürgerschaftlicher Basisdemokratie" (S. 365) aufwies, handelt der Aufsatz von Wilhelm Janssen (Bonn/Düsseldorf) Freiheit macht ihre Stütze, Gleichheit ihren Reiz (S. 361-374). Der Autor zeichnet in seinem Beitrag den Widerstreit und die Konflikte um die Werte Freiheit und Gleichheit und um die politische Partizipation der Stadtbürger bis ins 20. Jahrhundert nach, wie sie sich im Spiegel der Kölner Stadtverfassungen darstellen. Jean Faikin (Liège) befasst sich in seinem Beitrag Un Cas de Transvestisme: Jeanne d'Arc(S. 375-396) mit einer Frage der Geschlechterforschung, indem er die Hintergründe und Motive der Jungfrau von Orléans ausleuchtet, die für deren Präferenz eines männlichen Kleidungshabitus und dem damit suggerierten Wechsel des Geschlechts verantwortlich waren. Dem Verhältnis von Mensch und Tier im ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit geht Wolfgang Herborn (Bonn) in seinem Beitrag Hund und Katze im städtischen und ländlichen Leben im Raum um Köln (S. 397-413) nach. Neben der kuriosen Ersterwähnung eines Katers in einer lateinischen theologischen Sammelschrift aus dem Jahr 1418 des Kölner Kreuzklosters - das Tier hatte nächtens auf die offen liegengelassene, unfertige Kopie der besagten Sammelschrift gepinkelt und den Schreiber zur ausgiebigen schriftlichen Fixierung seines Zorns veranlasst: "Schande über den schlimmen Kater, der gepißt hat über dieses Buch nachts in Deventer [...]" (S. 401) - erfährt der Leser, dass die gegenwärtig hitzig geführte Debatte über den Umgang mit gefährlichen Hunden so neu nicht ist: Leinenzwang und die Auflage, große scharfe Hunde tunlichst eingesperrt zu halten, lassen sich bereits für das 17. Jahrhundert belegen (S. 407ff). Einen Beitrag zur bäuerlichen Sozialgeschichte Nordwestdeutschlands liefert Dietmar Sauermann (Münster) mit seiner Abhandlung über Altenteilerverträge in Lienen (Kr. Steinfurt) im 18. Jahrhundert (S. 415-431). Verträge über das Altenteil oder Ausgedinge oder die Leibzucht, wie die nordwestdeutsche Bezeichnung lautete, stellen eine interessante Quellengattung dar, aus welcher sich ausschnitthaft das Zusammenleben der jungen und alten Bauern rekonstruieren lässt. Als serielle Quellen geben sie aber auch Auskunft über Veränderungen im Wertgefüge der Landbevölkerung, etwa durch die Übernahme der Geldwirtschaft, die Reaktion auf den steigenden Bevölkerungsdruck, die Verschiebung des sozialen Gefüges im Dorf durch das Anwachsen unterbäuerlicher Bevölkerungsschichten, und nicht zuletzt zeigt sich in ihnen die Tendenz zur bäuerlichen Großfamilie als Reaktion auf die sozio-ökonomischen Veränderungen. In die Mitte des 20. Jahrhunderts führt der aspektreiche Aufsatz Ernst Helmut Segschneiders (Osnabrück) Blauer Dunst und schwarzer Knaster. Rauchen in der Nachkriegszeit (S. 433-460). Der Autor entwirft ein lebendiges Bild der Alltagsgeschichte und -bewältigung zwischen Kriegsende und Beginn der fünfziger Jahre am Beispiel des Umgangs mit dem Genussmittel (und der Mangelware) Tabak. Die Darstellung gewinnt ihre Lebendigkeit nicht zuletzt aus der Verwendung von Zeitzeugenberichten.

Unter dem Themenschwerpunkt Dinge, Bezeichnungen und Bedeutungen sind fünf Beiträge zusammengefasst. Ruth Schmidt-Wiegand (Münster) beleuchtet Das methodische Prinzip Wörter und Sachen in der Sprachwissenschaft des 20. Jahrhunderts (S. 463-472); Jan Goossens (Leuven) befasst sich in seinem sprachwissenschaftlichen Exkurs Von Karren und Wagen (S. 473-482) mit der Verbreitung der Bezeichnungen für zwei- und vierrädrige (bzw. ein- und zweiachsige) Gefährte. Thomas K. Schippers (Nice) stellt in seinem Beitrag Ideen, Wörter und Leute (S. 483-489) Überlegungen zur Bezeichnung kollektiver Zugehörigkeiten in einer multikulturellen Welt an und mahnt zu einem reflektierten Sprachgebrauch, indem er auf die wichtige Rolle hinweist, die Wörter bei dem Versuch spielen, sich selbst und den Anderen zu begreifen. Der ungeklärten Frage nach der Herkunft des Vogelnamens Kleiber in den romanischen Sprachen widmet sich der Aufsatz von Christian Schmidt (Bonn) Maurer, Gipser, Bäcker, ihre Gehilfen und ein kleiner Vogel (S. 491-503), und Wolfgang Kleinschmidt (Bingen) untersucht in seinem Beitrag ... Dem Jungen Undt Kehrichführer ... Zu Lidlohn Versprochen und Zahlt ... (S. 505-522) anhand der Rechnungsbücher des Speyrer Spitals St. Georg zwischen 1514 und 1790 Probleme und Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Lohn des abhängigen Gesindes, dem sog. Lidlohn, ergeben.

Im Themenschwerpunkt sieben sind Studien zu Nationalismus und Nationalsozialismus zusammengeführt. Wolfgang Brückner (Würzburg) analysiert in seiner materialreichen Abhandlung Gedenkstättenkultur als wissenschaftliches Problem. KZ-Embleme in der Museumsdidaktik (S. 525-565) das Phänomen der "Emblematisierung" "als kommunikative Paradigmatisierung" sowie den "Enthistorisierungsprozeß" im Zusammenhang mit "Erinnerungskulturen und deren folklorisierende[r] Musealisierung" (S. 525) am Beispiel des Umgangs mit der Shoah. Er attackiert (und polemisiert stellenweise gegen) die vielfältigen Formen der Trivialisierung und Banalisierung des Gedenkens an den nationalsozialistischen Genozid, die einhergehen mit der medialen Vermarktung des Grauens und andererseits mit "eine[r] verbreiteten Scheu gegenüber jeglicher Denkmalpflege an Zeugnissen unliebsamer Geschichte" (S. 531). Über Wissenschaftsgeschichte im Nationalsozialismus handelt der Beitrag von Klaus Fehn (Bonn) Zur Volksgeschichte im Dritten Reich als fächerübergreifende Wissenschaftskonzeption am Beispiel von Adolf Helbok (S. 567-580), der einmal mehr den Dilettantismus einer Wissenschaftskonzeption auf rassisch-biologischer Grundlage sichtbar werden lässt. Die Institutionalisierung und die Geschichte der wissenschaftlichen Volkskunde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Niederlanden ist das Thema, welches Ton Dekker (Amsterdam) in seinem Beitrag Die niederländische Volkskunde und ihre großniederländischen Ideale (S. 581-595) aufgreift. Angefangen von der Gründung der Zeitschrift Volkskunde im Jahre 1888 in Flandern, von wo die niederländische Volkskunde "in mehreren Phasen ihrer Geschichte entscheidende Impulse" (S. 581) empfing, über die Zerwürfnisse zwischen den niederländischen Volkskundlern, die schließlich im Jahre 1934 in der Gründung zweier Kommissionen zur Erarbeitung eines niederländischen Volkskundeatlasses mündeten, beschreibt der Autor die Einflüsse des Mythos von einem niederländischen Stamm auf die praktische Arbeit am Atlas, dessen erste Lieferung von zehn Karten mit erheblicher Verspätung im Jahre 1959 erschien. Der Aufsatz Alois Dörings (Bonn) Patenkind: Ahrburgunder (S. 597-615) handelt über die Doppelstrategie der Nationalsozialisten, mit welcher sie sich zwischen 1934 und 1939 mit Patenweinaktionen, Weinwerbewochen und Winzerfesten vordergründig für eine Besserung der wirtschaftlichen Lage der in Not befindlichen Winzer einsetzten, während sie gleichzeitg den Winzerstand politisch-ideologisch instrumentalisierten.

Den letzten Themenschwerpunkt bilden die Beiträge zu Migration und Grenze. Die Ethnische Identifikation und Deportation von Siebenbürger Sachsen in die Sowjetunion (S. 619-636) behandelt der Beitrag von Georg Weber (Münster), der die Vorgehensweise und Ergebnisse eines Forschungsprojektes an der Universität Münster vorstellt. Profane und konfessionelle Institutionen und ihr Anteil bei der Integration slowakischer Repatriaten in der Südslowakei (S. 637-641) beschreibt Magdaléna Paríková (Bratislava). Der Beitrag Mentale Grenzen - verdoppelte Welten (S. 643-655) von Gábor Barna (Budapest) zeigt am Beispiel des Banats und seiner wechselvollen Geschichte, wie der neuen politischen Grenzziehung im 20. Jahrhundert die symbolische Inbesitznahme durch die neuen Machthaber folgte, indem durch die Umbenennung von Straßen, Plätzen und Orten, aber auch durch die Ersetzung der Denkmäler vorangegangener Machthaber durch eigene, die andere kollektive Erinnerung zurückgedrängt wird. Den Abschluss der Festschrift bildet der Beitrag Klaus Freckmanns (Bad Sobernheim) Das Bauernhaus der westdeutschen Grenzlande (S. 661-683). Ausgehend von Franz Steinbachs gleichnamigem Aufsatz, der 1931 in den Rheinischen Vierteljahrsblättern erschien, führt der Autor an zwei Beispielen der ländlichen Architektur - dem westdeutschen Quereinhaus und dem kleingetreppten Staffelgiebelhaus - die Problemstellungen der "sogenannten Versteinerung einer Kulturlandschaft" aus und stellt regional differenziert den Übergang vom Fachwerkbau zur Massivbauweise dar.

Resümierend lässt sich feststellen, dass mit dieser Festschrift ein in seiner thematischen Vielfalt beeindruckender Sammelband gelungen ist, zu dem der Adressat und Jubilar H.L. Cox zu beglückwünschen ist. Anerkennung haben jedoch ebenso die Herausgeber des Bandes verdient, denn auch in formaler und redaktioneller Hinsicht lässt dieser Band nichts zu wünschen übrig.

Empfohlene Zitierweise:

Thomas Schneider: Rezension von: Gunther Hirschfelder / Dorothea Schell / Adelheid Schrutka-Rechtenstamm: Kulturen - Sprachen - Übergänge. Festschrift für H.L. Cox zum 65. Geburtstag, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2000, in: INFORM 2 (2001), Nr. 6, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=476>

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