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Ingrid Ahrendt-Schulte: Zauberinnen in der Stadt Horn (1554-1603). Magische Kultur und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit (= Geschichte und Geschlechter; 21), Frankfurt/M.: Campus 1997, 267 S., ISBN 3-593-35887-5, DM 68,00

Aus: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde (46 (2001), S. 440-443)

Rezensiert von:
Rita Voltmer
Fachbereich III, Fach Geschichte, Universität Trier

Die Autorin legt mit diesem Band ihre 1996 an der Universität Kassel bei Prof. Dr. Heide Wunder abgeschlossene Dissertation vor. Anhand einer Fallstudie aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive möchte Ahrendt-Schulte das oft diskutierte Phänomen des Frauenbezugs in der Hexenverfolgung klären. Als Untersuchungsraum dient die Stadt Horn in der protestantischen Grafschaft Lippe, die in einer der Kernzonen der nordwestdeutschen Hexenverfolgung lag und wo zwischen 1554 und 1661 ausschließlich Frauen hingerichtet wurden. 47 Fälle von Zauberei sind in diesem Zeitraum aktenkundig geworden, 24 davon endeten mit einer Verbrennung, zwei Frauen starben in der Haft, einer gelang die Flucht. Damit weist die Stadt Horn im Vergleich mit anderen lippischen Städten die höchste Verfahrensrate auf. Ahrendt-Schulte schränkt den Untersuchungszeitraum auf die Jahre zwischen 1554 bis 1603 ein. Die Zäsur begründet sie mit den verschiedenen Verfolgungsphasen: Während die Prozesse der Jahre 1554-1603 in einem engen personellen Zusammenhang stehen, liegen zwischen 1603 und 1631 keine Verfahren vor (S. 18). Gleichwohl berücksichtigt Ahrendt-Schulte auch die Prozesse nach 1603 (z.B. S. 113). Erfreulicherweise hat die Autorin nicht nur Prozessakten, sondern auch relevante ortsgeschichtliche Quellen ausgewertet.

Insgesamt lässt Ahrendt-Schulte sich von der Sichtweise der weiblichen Opfer leiten; sie fragt nicht nach der Funktion der Hexenprozesse aus Sicht der Ankläger, sondern nach der Funktion der darin von den weiblichen Angeklagten artikulierten Zauberei (S. 237f). Gestützt vor allen Dingen auf die Forschungen von Keith Thomas und Eva Labouvie schließt sie sich der Prämisse an, schädigende Magie sei tatsächlich von Frauen angewandt worden. Dabei versucht Ahrendt-Schulte, zwischen den Ursachen für die Verfolgung einerseits und der Beziehung der Frauen zur magischen Praxis des Schadenszaubers andererseits zu trennen (S. 16). Damit verknüpft ist ein biografischer Zugang zum Schicksal der einzelnen als Zaubersche angeklagten Frauen. Quellenkritisch korrekt wird die kritische Auseinandersetzung mit den Hexenprozessakten gesucht, deren Informationsgehalt zu prüfen sei (S. 17). Bei aller Vorsicht in der Interpretation sollen verschiedene Ebenen von Realität rekonstruiert werden (S. 17); dabei steht jedoch nicht die Rekonstruktion objektiven Geschehens im Mittelpunkt, sondern "es geht vielmehr darum, einen Einblick in die Vorstellungswelt und das Erleben der Menschen zu bekommen, für die Zauberei eine Tatsache war, die sowohl eine Bedrohung der Existenz darstellte, als auch eine Möglichkeit, Macht über andere Menschen auszuüben" (S. 68).

Im ersten Kapitel wird Horn als Lebens- und Handlungsraum vorgestellt (S. 20-92). Beachtenswert erscheint, dass eine Reihe von Krisenfaktoren die Periode der Hexenverfolgungen begleitet haben: Missernten, Teuerungen, steigende Getreidepreise, Seuchen, religiöse Verunsicherungen. Nach Ahrendt-Schulte lösten die sich daraus ergebenden sozialen Spannungen jedoch nicht nur die Verfolgungen aus; gleichwohl bildeten sie den "Nährboden für Konflikte ... für deren Austragung Zauberei als Deutungs- und Handlungsmuster eingesetzt wurde" (S. 29). Vor diesem Hintergrung wird verständlich, warum in den Horner Zaubereiprozessen offenbar auch Konflikte zwischen wohlhabenden Ratsverwandten, die mit Spekulationsgeschäften von der Teuerung profitierten, und den angeklagten Frauen, welche diese Preise nicht zahlen konnten, ausgetragen wurden (S. 26). Außerdem spielten auch "Konkurrenzen und divergierende Herrschaftsinteressen innerhalb der Ratsverwandtschaft" in den Verfahren eine Rolle (S. 32). Immerhin stammten ein beträchtlicher Teil der angeblich durch Schadenzauber geschädigten Personen, der Zeugen und der Opfer aus dieser Gruppe.

Im Hinblick auf die kritische Analyse der Prozessprotokolle stellt Ahrendt-Schulte fest, dass die meisten Horner Ratsherren Analphabeten gewesen seien und es kaum einen Bildungsunterschied zwischen ihnen und der restlichen Horner Bevölkerung, Frauen wie Männern, gegeben habe. Auch die Zaubereivorstellungen seien ähnlich gewesen. Aus diesem Grund schließt Ahrendt-Schulte zumindest im 16. Jahrhundert eine Beeinflussung der Geständnisse und Aussagen in den Prozessen durch akademisch geschultes Gerichtspersonal aus (S. 35). Gründlich analysiert Ahrendt-Schulte im Folgenden Kategorien wie Nachbarschaft, Ehre, Schande oder öffentliches Geschrei. Sie wendet sich gegen die Feststellung, Frauen hätten allein Verdächtigungen weitergetragen und als Gerücht auf den Weg gebracht. Vielmehr seien auch Männer daran beteiligt gewesen, wenn auch nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit und Offenheit wie Frauen. Bei Unglücksfällen aller Art habe Magie als Handlungs- und Deutungsmuster gedient; Zauberei sei als Mittel angesehen worden, um andere zu bestehlen oder einen wirtschaftlichen Zugewinn zu erreichen (S. 71). Erstaunlicherweise wurde in Horn der Tod eines Kindes nie auf Zauberei zurückgeführt (S. 76).

Im Folgenden werden verschiedene Expertentypen der Magiepraxis vorgestellt und wichtige Unterschiede zwischen weiblichen "Ratgeberinnen" und meist männlichen Wickern/Hexenbannern gezogen. Gegen Muchembled betont Ahrendt-Schulte, es habe nicht überwiegend weibliche Magiekundige gegeben, sondern Männer und Frauen hätten in unterschiedlichen magischen Bereichen gearbeitet. Dabei wurde "die schädigende Magie als Domäne der Frauen betrachtet" (S. 87).

Das zweite Hauptkapitel befasst sich mit Zauberei vor Gericht (S. 93-125). Hier arbeitet die Autorin heraus, wie der Schadenzauber in enger Anlehnung an die Carolina im Mittelpunkt der Zaubereianklage stand. Allerdings rückten im Laufe des 16. Jahrhunderts die Schadenzaubervorwürfe hinter den "häretischen Aspekt" des Vergehens. Zauberische Vergiftung als eigenes Delikt findet sich erst ab 1603. Eindeutig sind diese Veränderungen das Ergebnis eines "veränderten Zaubereibegriffs" (S. 97). Bedeutsam erscheint die Feststellung, dass als Folge davon sich auch Inhalt und Form der Geständnisse änderten (S. 98). Überdies ergab sich die Reihenfolge der gestandenen Hexereiverbrechen aus den Verhörfragen. Demnach hatten die inquirierenden Schöffen und Ratsgesandten entscheidenden Einfluss auf die Urgichten genommen. Weiterhin in Anlehnung an die Carolina wurden Hexenflug und -sabbat nicht unter den Anklagepunkten genannt. Man legte deshalb keinen Wert auf die Nennung angeblicher Komplizinnen auf dem Hexensabbat. Allerdings wurden die Frauen nach ihrer zauberischen Lehrmeisterin gefragt. Auf diese Weise erzielte man Besagungen, die zu weiteren Verfahren führen konnten. Auch fragte man nach dem Motiv der Angeklagten für ihre angeblichen Zaubereien (S. 99). Auf diese Weise waren die angeklagten Frauen gezwungen, den vorgeworfenen Schadenzauber in einen plausiblen, kausalen Tatzusammenhang mit tatsächlichen Konflikten und Streitereien zu stellen - ein Umstand, der bei der Bewertung des Informationsgehalts der Hexenprozessakten eine größere Rolle hätte spielen müssen. Darüber hinaus nahmen die Traktate und Predigten des protestantischen Pfarrers Jodocus Hocker großen Einfluss auf eine Modifizierung der Deliktvorstellung. Er tat den Schadenzauber als Einbildung ab, bewertete dagegen den Abfall von Gott und den Paktschluss als die eigentlichen Verbrechen der Zauberschen (S. 100-105). Hocker hatte keine Notwendigkeit, stereotype misogyne Argumente zu liefern, da er den Schadenzauber ohnehin als rein spezifische Frauensache bewertete (S. 105). In mehreren Phasen nahm der kontrollierende Einfluss der Landesregierung (z.B. Rechtsgutachten) auf die Zaubereiverfahren in Horn zu; die Entscheidungsbefugnis wurde den Ratspersonen, die sich z.T. als Geschädigte fühlten und damit in hohem Maße parteiisch waren, mehr und mehr entzogen. Dies rettete mindestens vier Frauen das Leben (S. 108-113). Die kritische Analyse der Zeugenverhöre weist u.a. darauf hin, dass einige Zeugen ihre Stellung vor Gericht nutzten, um vorausgegangene Konflikte mit den angeklagten Frauen weiterzuführen (S. 117).

Das dritte Kapitel Die Zauberschen von Horn stellt dann detailliert in biographischen Studien die Schicksale der verdächtigten, angeklagten und hingerichteten Frauen dar. Im vierten Kapitel wird abschließend Die Kunst der Frauen thematisiert. Zuzustimmen ist der Autorin sicher in ihrer Feststellung, dass es neben Abwehr- und Heilzauber auch zur Anwendung von schädigender Magie gekommen ist. Ob sich Expertinnen in Sachen Schadenzauber tatsächlich aber hinter denen in Hexenprozessen angeklagten Frauen verbergen, sei bezweifelt. Immerhin hat Ahrendt-Schulte im vorangehenden Kapitel die verschiedenen Einflussnahmen auf die Aussagen der Angeklagten herausgearbeitet, angefangen von der religiösen Unterweisungsliteratur und Predigten der Pfarrer über die als Richtschnur anerkannte Carolina und die Fragepraxis. Vom Druck der Verhörsituation bis zur Folter sind diese Möglichkeiten und ihre Folgen allgemein bekannt und spiegeln sich nicht zuletzt auch in dem durchaus beschriebenen Kampf des Gerichts mit den angeklagten Frauen wider, die oftmals erst nach zähem Widerstand und Widerrufen zum geforderten Geständnis gebracht werden konnten. Trotzdem interpretiert Ahrendt-Schulte im vierten Kapitel die Urgichten wie Dokumente, in denen narrativ von einer existierenden, durchgeführten, erfahrenen oder gehörten Magiepraxis berichtet werde. Dieser Ansatz erscheint problematisch, ebenso wie das Ergebnis, dass die Ausübung von Schadenzaubern nicht nur zum zugeschriebenen weiblichen Kompetenzbereich gehörte (was unbestritten ist), sondern dass diese magische Praxis tatsächlich auch von Frauen zur Konfliktbewältigung angewandt worden ist, die später deswegen in ein Hexereiverfahren gerieten.

Aufgrund ihrer Analyse der Verfahren in Horn zieht Ahrendt-Schulte dann das Fazit: "Der Frauenbezug des kumulativen Zaubereidelikts stellte sich über den Schadenzauber her. Die engen Zusammenhänge zwischen der Lebenswelt von Frauen und Zauberei als magischer Praxis einerseits und das Ineinandergreifen von Einwohnerschaft und Obrigkeiten an der Verfolgung von Schadenzauber andererseits bedingten die Konzentration der Verfolgung auf Frauen" (S. 237). Ob dieses Ergebnis übertragbar auf andere Verfolgungsräume ist, müssen weitere Untersuchungen zeigen. So gibt es Regionen mit mindestens 30% Männeranteil unter den Hingerichteten (z.B. im Trierer Land), denen man nicht weniger als Frauen Schadenzauber unterstellte. Gerade ernteschädigende Manipulationen im Zusammenhang mit Getreidespekulationen standen im Mittelpunkt der Zaubereivorwürfe gegen männliche Angehörige der Trierer Oberschicht (z.B. Dr. Dietrich Flade). Ein Unterschiede oder Gemeinsamkeiten herausarbeitender, erkenntnisfördernder Vergleich zwischen Schadenzaubervorwürfen gegen Männer und Frauen in Hexenprozessen konnte von Ahrendt-Schulte jedoch nicht gezogen werden, da der Untersuchungsraum keine Prozesse gegen Männer aufweist.

Ohne Zweifel schließt jedoch diese gut lesbare und informative Regionalstudie mit ihrer Beschreibung der Horner Zaubereiverfahren unter Einbeziehung des sozialen und mentalen Kontext eine weitere Lücke in der Erforschung der frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen.

Empfohlene Zitierweise:

Rita Voltmer: Rezension von: Ingrid Ahrendt-Schulte: Zauberinnen in der Stadt Horn (1554-1603). Magische Kultur und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/M.: Campus 1997, in: INFORM 2 (2001), Nr. 6, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=471>

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