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Joachim Lüdtke: Die Lautenbücher Philipp Hainhofers (1578-1647) (= Abhandlungen zur Musikgeschichte; Bd. 5), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999, XV + 358 S., Abbildungen, Notenbeispiele, ISBN 3-525-27904-3, DM 118,00

Aus: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde (Jahrgang 2001, S. 214 f.)

Rezensiert von:
Josef Focht

Die Dissertationsschrift Joachim Lüdtkes nimmt sich mit der Beschreibung und Analyse der Lautenbücher des Augsburger Patriziers Philipp Hainhofer eines außergewöhnlichen Kapitels der Musikgeschichte der süddeutschen Reichsstadt Augsburg an. Obgleich dieses berühmte Thema seit über einem Jahrhundert Gegenstand der Forschung ist und sich bereits in mehreren Arbeiten niedergeschlagen hat, ist es dem Verfasser gelungen, neue Aspekte zu finden und gewinnbringend zu untersuchen.

Die Abhandlung Lüdtkes gliedert sich in fünf Kapitel. In der Einleitung wird die Rezeptionsgeschichte der Lautenbücher und anderer Werke Philipp Hainhofers ausgebreitet, im Hauptteil werden der Lebenslauf des Augsburgers und seine Lautenbücher beschrieben sowie deren Musik detailliert betrachtet, im Anhang erschließen verschiedenartige Verzeichnisse die Lautenbücher, ihre Werke und ihren historischen Kontext.

Die Rezeptionsgeschichte der aus dem beginnenden 17. Jahrhundert stammenden Lautenbücher Philipp Hainhofers und seiner anderen Werke läßt sich bis in das frühe 18. Jahrhundert zu dem Frankfurter Patrizier Zacharias Conrad von Uffenbach zurückverfolgen; die musikhistorische Beschäftigung damit begann Wilhelm Tappert im Jahr 1885. Doch auch sie war noch von jener bereits aus den früheren Quellen bekannten geringschätzigen Einordnung des musikalischen Repertoires und des ursprünglichenn Besitzers der Handschriften geprägt. Erst Lüdtke widmete diesem Stoff eine fundierte eigenständige Studie, in der er den historischen und musikalischen Kontext weitaus umfangreicher darstellte und dabei neu, d.h. höher bewertete.

Die Familie Hainhofer ist in Augsburg seit dem frühen 15. Jahrhundert nachweisbar; mehrere ihrer Mitglieder waren begüterte und welterfahrene Kaufleute. Philipp Hainhofer wurde 1578 in Augsburg als elftes Kind von Barbara und Melchior Hainhofer geboren. Der Vater hatte ein florierendes internationales Handelsunternehmen im Seiden- und Samthandel errichtet, starb jedoch bereits 1583. Philipp wuchs anschließend in Ulm auf, bis er 1594 zum Studium nach Padua geschickt wurde. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Hieronymus immatrikulierte er sich dort in der juristischen Fakultät. Als Musiklehrer erhielt er dort alsbald den italienischen Komponisten Caspar Torelli. Im Jahr darauf begann Hainhofer mit dem Lautenspiel, unterwiesen von Nicolo Legname, allerdings nur für kurze Zeit. 1596 setzte Hainhofer sein Studium in Siena fort. Von dort aus unternahm er einige Reisen durch Italien. Dabei lernte er verschiedenartige Musik und ihm bis dahin unbekannte Instrumente, Sehenswürdigkeiten und Kunstgewerbe kennen, etwa die prunkvollen Kunstschränke aus Ebenholz und Elfenbein, die er später selbst in Augsburg in Auftrag geben sollte (dazu gehörte der im Zweiten Weltkrieg verbrannte und bis heute berühmte "Pommersche Kunstschrank").

Noch in demselben Jahr kehrte der gerade 18jährige nach Augsburg zurück und reiste alsbald nach Köln weiter, wo er Französisch lernte und sich wiederum dem Lautenspiel widmete; sein Lehrer war diesmal Jean-Batiste Besard aus Besançon. Außerdem nahm er Gesangsunterricht. Auf der Flucht vor der Pest gelangte Hainhofer Ende 1597 nach Amsterdam, wo er Flämisch lernte, den Umgang mit den wichtigsten Schriftarten übte, erneut einen Lautenlehrer fand und erste Berufserfahrungen als Kaufmann sammelte. 1598 reiste er über Hamburg nach Augsburg zurück, um endgültig in das Handelsunternehmen seiner Familie einzutreten. 1601 heiratete Philipp Hainhofer die Augsburger Patriziertochter Regina Waiblinger; anläßlich der Vermählung entstanden mehrere literarische und kompositorische Werke, u.a. von dem Fugger-Organisten Christian Erbach. In den Jahren danach löste sich Hainhofer allmählich aus dem familiären Unternehmen, um sich selbständig zu machen: Er handelte mit Uhren, Kunstgewerbe, Asiatica und Exotica, während er gleichzeitig für eine eigene Kunstkammer sammelte. Zu den Kunden und Auftraggebern des protestantischen Augsburgers zählten u.a. Herzog Wilhelm V. von Bayern, der Eichstätter Fürstbischof Johann Conrad von Gemmingen oder der Kölner Kurfürst Ferdinand von Bayern, die immerhin alle der katholischen Konfession angehörten. Diese am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges bemerkenswerten politischen Kontakte verhalfen dem geschäftstüchtigen, weltferfahrenen und polyglotten Handelsmann schließlich auch zu auswärtigen Ratsbestallungen, diplomatischen Korrespondenzen und geheimdienstlichen Aufträgen von verschiedenen Seiten. Die Jahre des Dreißigjährigen Krieges waren dann von familiären Todesfällen, kriegsbedingten Entbehrungen und wirtschaftlichen Verlusten geprägt; kurz vor dem Ende dieser langen Auseinandersetzung verstarb Hainhofer wenige Tage vor seinem 69. Geburtstag.

Die beiden Lautenbücher Philipp Hainhofers werden in der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel unter den Signaturen Cod.Guelf. 18.7. Aug.2º und Cod.Guelf.18.8.Aug.2º aufbewahrt. Sie enthalten unterschiedliche Formen der Lauten- und Vokalmusik. Darüber hinaus sind sie aufwendig und prächtig mit Bildern (Graphiken des 16. und 17. Jahrhunderts) und Ornamentschmuck ausgestattet sowie mit Sprichwörtern und Lautentraktaten versehen. Ihre Entstehungszeit liegt in den Jahren um 1602, möglicherweise mit Eränzungen bis um 1617. Es ist leicht nachvollziehbar, daß diese Sammelbände eines - wie oben beschrieben - so gebildeten, interessierten und mit vorzüglichen internationalen Kontakten ausgestatteten Mannes eine Fundgrube für Musik-, Kunst- und Kulturhistoriker darstellen, bei deren ausführlicher Beschreibung die Monographie Lüdtkes außer dem Mangel an Abbildungen keine Wünsche offen läßt. Dieselbe Gründlichkeit ließ er der Analyse der enthaltenen Lautenmusik von Jean-Baptiste Besard, Conrad und Melchior Newsidler, Jacob Reys und anonymen Komponisten bzw. Bearbeitern angedeihen.

Ausführliche Verzeichnisse im Anhang der vorgestellten Arbeit erschließen das Handschrifteninventar und den schriftlichen Nachlaß Philipp Hainhofers, ferner die Sekundärliteratur und die Editionen der Lautenbücher, schließlich die behandelten musikalischen Werke, Personen und Sachen.

Mit der Beschreibung der Lautenbücher, ihres Repertoires und der umfassenden Schilderung des Lebenslaufes ihres Besitzers ist der vorliegenden Arbeit eine dankenswerte Fallstudie zur Instrumentalmusik eines Laien im protestantischen Süddeutschland gelungen. Für diesen Kontext mit genau diesen sozialen, regionalen und konfessionellen Komponenten sind kaum vergleichbare Quellen bekannt; ähnliche studentische Lautenbücher - durchwegs von protestantischen Lautenisten - stammen vorwiegend aus Mittel- und Norddeutschland. Die Einzigartigkeit der Quelle erlaubt die Verallgemeinerung der gewonnenen Erkenntnisse auf das süddeutsche Musikleben des frühen 17. Jahrhunderts deshalb nur bedingt. Schwaben nahm durch das Instrumentenbau-Zentrum Füssen im europäischen Lautenbau eine herausragende Position ein. Der Umstand, daß von den vielen Dutzenden der schwäbischen, vor allem der Allgäuer Lautenmacher des 16. und 17. Jahrhunderts nur ein einziger dem protestantischen Glauben anhing, während alle anderen Katholiken waren, macht sinnfällig, daß ein stärkeres Augenmerk auf den konfessionellen Aspekt wünschenswert gewesen wäre. Dies schmälert jedoch kaum die historisch, kultur- und musikwissenschaftlich gleichermaßen große Ergiebigkeit dieser facettenreichen Arbeit Joachim Lüdtkes.

Empfohlene Zitierweise:

Josef Focht: Rezension von: Joachim Lüdtke: Die Lautenbücher Philipp Hainhofers (1578-1647), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999, in: INFORM 2 (2001), Nr. 5, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=466>

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