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Ute Hinrichsen / Sabine Hirschbiegel: "Gewerbe, welche eine herumtreibende Lebensart mit sich führen". Hausierer und Schausteller in Schleswig-Holstein zwischen 1774 und 1846 (= Studien zur Volkskunde und Kulturgeschichte Schleswig-Holsteins; Bd. 39), Neumünster: Wachholtz 1999, 299 S., 11 Abb., ISBN 3-529-02488-0, DM 40,00

Aus: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde (Jahrgang 2001, S. 174 f.)

Rezensiert von:
Walter Hartinger

Er würde sich über das Erscheinen dieses Buches gefreut haben - Karl-Sigismund Kramer -, dessen in Kiel gepflogener Arbeitsweise die beiden Magistrantinnen gefolgt sind, unter Anleitung und Betreuung von Kramers Kieler Mitstreitern und Nachfolgern Kai-Detlev Sievers und Silke Göttsch. Es handelt sich um eine - eigentlich zwei - Darstellung(en) historischer Kulturphänomene aufgrund archivalischer Quellen, wie sie Kramer für die betreffende Region in der letzten Phase seines wissenschaftlichen Schaffens mit großem Gewinn betrieben hat.

Zusammengefaßt unter einem gemeinsamen Titel sind zwei 1996 fertiggestellte separate Magisterarbeiten: Ute Hinrichsen, "Das Hausieren mit allerhand Waaren". Zum Hausierhandel in den Herzogtümern Schleswig und Holstein 1774-1846, sowie: Sabine Hirschbiegel, "...brodtlose Künste...". Zur Schaustellerei in den Herzogtümern Schleswig und Holstein (1763-1846). Die Präsentation unter einem gemeinsamen Dach erscheint nicht nur gerechtfertigt wegen der Komplementarität der thematischen Aspekte und des nämlichen Betrachtungszeitraums, sondern auch aufgrund der verwandten Vorgehensweise.

Die Konzentration erfolgt auf einen Zeitraum, der als eine der großen "Sattelzeiten" eine Gelenkfunktion für die Entstehung der Moderne besitzt. Dieser Umstand wurde von den beiden Autorinnen nicht thematisiert, was dem Rezensenten erst nach der Lektüre des Werkes einleuchtete, bildet doch das fragliche Jahrhundert für die gewählte Thematik keine erkennbare Orientierung an neuen Rahmenbedingungen des öffentlichen Lebens. Freilich wäre dieses Fazit es wert gewesen, explizit angesprochen zu werden. Ansonsten aber freut sich der Leser durchweg über zwei systematisch aufgebaute Arbeiten, die eng an den Quellen geführt werden, diese beständig kritisch durchleuchten und deren Aussagen überzeugend zusammenfassen.

Bei Ute Hinrichsen geht es um den ambulanten Handel, der sich beständig gegen die obrigkeitlichen Restriktionen und die wachsam-neidische Konkurrenz der ortsfesten, vielfach privilegierten Krämer, Händler und Kaufleute durchsetzen mußte. Gezeigt werden können die teilweise europaweiten Dimensionen dieses Distributionssystems mit brabantischen Kesselhändlern, thüringischen Karrenführern, böhmischen Glas- und Siebhändlern, westfälischen Eisen- und Leinwandkrämern, ungarischen Arzneihändlern und Vertreibern von Schwarzwälder Uhren; umgekehrt brachten es Jütländer schwarze Töpfe und Schleswiger Spitzen zu einem Absatz im weiten ausländischen Umfeld.

Womöglich noch weiter gesteckt war der geographische Rekrutierungsraum der Schausteller, mit denen sich Sabine Hirschbiegel beschäftigt; sie kommen fast aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, zusätzlich aber aus polnischen und tschechischen Gebieten sowie aus Italien, Frankreich und Holland. Wie die ambulanten Händler hatten sie all die Unwägbarkeiten obrigkeitlicher Skepsis und Ablehnung einerseits und die wohlwollende Nachfrage ihrer Kunden andererseits als Eckpfeiler ihrer Existenz auszuloten. Dies führte zu vergleichbaren Überlebensstrategien (realer, zeitweiser oder fiktiver Erwerb des Bürgerrechts, Rekurs auf bürgerliche Tugenden im Umgang mit den Behörden, Topisierung der einschlägigen Kommunikation). Erstaunlich, daß in diesem Abschnitt von den Zigeunern nicht die Rede ist; die unentschlossene sporadische Einbeziehung reisender Musikanten hätte m.E. besser unterbleiben sollen, da es sich hier um einen separaten Sachverhalt handelt.

Aufs Ganze aber handelt es sich um zwei interessante Studien, welche unsere Kenntnisse der Außenseiter-Gesellschaft am Übergang zur Moderne wesentlich bereichern, Arbeiten, die sich strikt an die Aussagemöglichkeiten der Quellengrundlagen halten und den Verlockungen modischer Überstilisierung mutig entgegentreten (vgl. etwa die Enthaltsamkeit gegenüber der Mentalitätsforschung S. 84), damit aber an Plausibilität und Überzeugungskraft gewinnen.

Empfohlene Zitierweise:

Walter Hartinger: Rezension von: Ute Hinrichsen / Sabine Hirschbiegel: "Gewerbe, welche eine herumtreibende Lebensart mit sich führen". Hausierer und Schausteller in Schleswig-Holstein zwischen 1774 und 1846, Neumünster: Wachholtz 1999, in: INFORM 2 (2001), Nr. 5, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=465>

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