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Holger Th. Gräf (Hg.): Söldnerleben am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. Lebenslauf und Kriegstagebuch 1617 des hessischen Obristen Caspar von Widmarckter. Mit Beitr. von Sven Externbrink und Ralf Pröve (= Beiträge zur Hessischen Geschichte; Bd. 16), Marburg/Lahn: Trautvetter & Fischer 2000, 168 S., ISBN 3-87822-113-4, DM 34,80

Aus: Nassauische Annalen (Bd. 112 (2001), S. 669)

Rezensiert von:
Klaus Eiler

Die Militärgeschichte der frühen Neuzeit ist in Deutschland lange Zeit Angelegenheit einiger weniger Spezialisten gewesen. Seit kurzem scheint sich dies zu ändern, weil die Historiographie die große Bedeutung wiederentdeckt hat, die das Militärwesen für die Entwicklung des modernen Staates sowie für die Sozial- und Kulturgeschichte einnahm. Größtes Interesse finden die Lebensverhältnisse der Soldaten, ihre soziale Herkunft, ihre Eingliederung in die Befehlsstrukturen, ihre wirtschaftliche Situation, das Selbstverständnis, die Traditionspflege und die Praxis der Werbungen, alles in allem das "Sozialsystem" Militär.

Dabei spielen die Selbstzeugnisse von Militärpersonen eine wichtige Rolle, weil sie Antworten auf Fragestellungen zu diesen Themenkomplexen liefern können. Das von Holger Th. Gräf herausgegebene Kriegstagebuch ist dafür ein beredtes Beispiel. Es beschreibt das wechselvolle und ereignisreiche Leben des aus dem Leipziger Bürgertum entstammenden Caspar Widmarckter, der nach dem Besuch des Gymnasiums und des Collegium Hercurianorum in Paris 1587 in die Dienste von Caspar von Schomberg trat und damit zum französischen Kulturkreis Zugang fand. Im Dienste Schombergs, der unter König Heinrich IV. zum Feldmarschall aufstieg, wurde Widmarckter mit diplomatischen und militärischen Aufgaben betraut. Aus Dankbarkeit insbesondere für das Anwerben deutscher Hilfstruppen erhob König Heinrich IV. Widmarckter in den Adelsstand. 1597 trat Widmarckter als militärischer Ratgeber und Diplomat in die Dienste des Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel, der ihn für den Aufbau seiner Landesdefension benötigte. 1601 nahm er die Bestallung als Amtmann zu Vacha an. Diplomatische Aufträge führten ihn nach Frankreich, England und in die Niederlande. Als Kriegsunternehmer sah man ihn 1617 im Ersten Mantuanischen Erbfolgekrieg unter dem Kommando Henri von Schombergs in Burgund, Savoyen und auf dem oberitalienischen Kriegsschauplatz. Widmarckter starb am 21. Sept. 1621 in seinem Haus "Die Widmarckt" in Vacha.

Nicht immer sind dem heutigen Leser die historischen Hintergründe, insbesondere die der westeuropäischen Geschichte, vertraut. Es ist daher nur zu begrüßen, daß Hrsg. eine ausführliche Einleitung beigegeben hat, die etwa ein Drittel des Bandes ausmacht: Holger Th. Gräf selbst hat die Biographie Widmarckters verfaßt. Ralf Pröve bewertet die Selbstzeugnisse als Quellengruppe für die Militärgeschichte und Sven Externbrink beschreibt das Verhältnis zwischen dem Reich, Frankreich und Italien am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges.

Der Text der Lebensbeschreibung stammt nur zum Teil von Widmarckters Hand. Als Schreiber ermittelte Hrsg. den Stiefbruder von Widmarckters Frau, Johann Georg Dehn, der wohl Notizen Widmarckters verwertete. Die Beschreibungen sind in jeder Beziehung beeindruckend. Ungewohnte klimatische Verhältnisse, Krankheiten, unzulängliche Quartiere und schlechte Ernährung machten den Truppen am häufigsten zu schaffen. Die im Anhang zur Edition beigegebenen Itinerare belegen die Tagesetappen. Auf seinen Reisen nach Westeuropa durchquerte Widmarckter wiederholt die nassauischen Territorien. Möglicherweise hat er dabei auch diplomatische Aufträge erfüllt, zumal zwischen Nassau-Dillenburg, Nassau-Siegen und Hessen-Kassel die dynastischen Bindungen recht eng waren. Das in den Jahren 1580 bis 1621 von Widmarckter zurückgelegte Reisepensum schätzt Gräf auf stattliche 56.590 Kilometer. So ist es kaum verwunderlich, daß der alternde Widmarckter die Strapazen der Reisen und Kriegszüge mit zahlreichen körperlichen Gebrechen bezahlen mußte.

Die Edition des Textes zeugt nicht nur von einer beachtlichen und mühevollen Detailarbeit des Hrsg.s, sondern erforderte auch gründliche Kenntnisse der geographischen Verhältnisse in Westeuropa und des Militärwesens des 16. und 17. Jh.s. Besonders schwierig war die Identifizierung der Orts- und Personennamen, die oftmals in willkürlicher und ungewohnter Schreibweise erscheinen. Hrsg. erleichtert dem Leser durch einen ausführlichen Fußnotenapparat die Mühe der Identifizierung. Die Veröffentlichung der Lebensbeschreibung Widmarckters bildet eine wichtige Grundlage für die Erforschung und Beurteilung der militärischen Welt der frühen Neuzeit. Sie spiegelt darüber hinaus auch einen Teil der westeuropäischen Geschichte am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges wider. Dem Hrsg. gebührt Dank und Anerkennung für die vorbildliche Edition dieser Quelle.

Empfohlene Zitierweise:

Klaus Eiler: Rezension von: Holger Th. Gräf (Hg.): Söldnerleben am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. Lebenslauf und Kriegstagebuch 1617 des hessischen Obristen Caspar von Widmarckter. Mit Beitr. von Sven Externbrink und Ralf Pröve, Marburg/Lahn: Trautvetter & Fischer 2000, in: INFORM 2 (2001), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=459>

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