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Pierre Even: Dynastie Luxemburg-Nassau. Von den Grafen zu Nassau zu den Großherzögen von Luxemburg. Eine neunhundertjährige Herrschergeschichte in einhundert Biographien, Luxembourg: Editions Schortgen 2000, 383 S., DM 198,00

Aus: Nassauische Annalen (Bd. 112 (2001), S. 665 f.)

Rezensiert von:
Herbert Kohl

Am 7. Okt. 2000 fand in Luxemburg nach 36 Jahren das seltene Ereignis eines Thronwechsels statt: Auf Großherzog Jean folgte sein Sohn, Erbgroßherzog Henri. Dieses Ereignis stieß auch im Nassauer Land auf großes Interesse. Handelte es sich doch bei dem neuen Großherzog um den Ur-Urenkel von Herzog Adolph von Nassau, des bis heute unvergessenen letzten nassauischen Landesherrn. In den ehem. Residenzen Biebrich, Weilburg und Wiesbaden verfolgte man das Geschehen mit großer Anteilnahme. Vielen war noch in Erinnerung, daß der neue Großherzog als Erbprinz 1981 nach Wiesbaden gekommen war, um an der Eröffnung der großen Nassau-Ausstellung im Landesmuseum teilzunehmen. Durch seine Anwesenheit bekundete er sein Interesse an der Geschichte Nassaus. Immerhin führt auch er zukünftig im Namen den Titel "Herzog zu Nassau". Mit großer Freude haben auch die Mitglieder des Luxemburger Freundeskreises Rhein-Main e.V. die feierliche Thronbesteigung wahrgenommen. Der Präsident des Vereins, der den Luxemburger Staatsangehörigen in Hessen eine Heimat bietet, Rechtsanwalt Pierre Even, hat aus Anlaß dieses bedeutenden Ereignisses ein Werk über die Dynastie Luxemburg-Nassau vorgelegt. Beginnend mit dem Grafen Dudo stellt er anhand von 100 Biographien die Geschichte des Hauses Nassau bis zum heute regierenden Großherzog umfassend dar.

Dieses in der Tat opulent zu nennende Werk Evens beruht auf einer jahrzehntelangen Erforschung der Quellen zur nassauischen Geschichte in den verschiedensten Archiven, insbesondere des Hausarchivs, das im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden aufbewahrt wird. Zu Einzelereignissen aus der nassauischen und luxemburgischen Geschichte hat Even bereits mehrere bemerkenswerte Monographien veröffentlicht, die ihn als einen ausgezeichneten Kenner der einschlägigen Geschichte ausgewiesen haben. Auch ist er durch die Gestaltung von historischen Ausstellungen, so u. a. zum Leben von Herzog Adolph von Nassau, hervorgetreten. Even ist es mit seinem neuen Werk gelungen, nicht nur für Fachhistoriker eine Fülle neuer Informationen zu erschließen und erstmals zusammenzutragen, er eröffnet auch dem historisch interessierten Laien einen faszinierenden Ausschnitt deutscher und europäischer Geschichte. Opulent ist der schwergewichtige Band wegen seiner hervorragenden Ausstattung und wegen der Fülle der Abbildungen zu nennen. Über 400 (!) Gemälde, Zeichnungen und Fotografien konnten von Even in mühevoller Suche in Archiven, Museen und Sammlungen des ganzen Kontinents zu den Lebensbeschreibungen aufgespürt und hier z. T. zum ersten Mal gezeigt werden. Ein besonderes Lob gilt auch dem Verleger, der das finanzielle Risiko auf sich genommen hat, ein solch gediegenes Werk herauszugeben. Es ist heute selten geworden, daß der Leser spürt, welch verlegerisches Können zur Herstellung eines so gelungenen Buches beigetragen hat. Gerade in der farblich bestechenden Wiedergabe der zahlreichen Gemälde ist dies zu erfahren. Ganz hervorragend ist es Even gelungen, die ziemlich verschlungenen Wege der einzelnen Linien des Hauses Nassau herauszuarbeiten. Wer sich mit nassauischer Geschichte befaßt, steht immer wieder vor einem Rätsel, in wieviel Haupt- und Nebenlinien sich das nassauische Grafenhaus im Laufe der Jahrhunderte aufgeteilt hat. Gerade in der konzentrierten Darstellung dieser schwierigen Materie führt Even dem Leser eindrucksvoll die Gründe vor Augen, die dazu geführt haben, daß und warum das Haus Nassau im Verlauf der deutschen Geschichte niemals eine gleichrangige Position wie andere Adelshäuser erreichen konnte.

Even hat sich aber nicht nur auf die walramische Linie beschränkt, wobei hier schon eine verwirrende Zahl an Haupt- und Seitenlinien zu verzeichnen ist, sondern er hat auch die ottonische Linie in seine Darstellung einbezogen. Dabei ist seine geradezu akribische Genauigkeit zu bewundern, mit der er dem jeweiligen Zweig seine eigene Bedeutung zukommen läßt. Dies war sicher eine richtige Entscheidung. In einem Werk mit einem so umfassenden Anspruch mußten beide Linien dargestellt werden. Beide spielen auch für die neuere Geschichte Luxemburgs eine entscheidende Rolle. Denn der aus der walramischen Linie stammende Großherzog Adolph, der Ur-Urgroßvater des jetzigen Großherzogs, war Nachfolger des aus der ottonischen Linie stammenden niederländischen Königs Wilhelm III., der in Personalunion Großherzog von Luxemburg war. Intensiv setzt sich Even mit der immer wieder gestellten Frage auseinander, warum der letzte Herzog von Nassau, den die Preußen nach dem verlorenen Krieg von 1866 abgesetzt hatten, 1890 den Thron von Luxemburg besteigen konnte und damit noch einmal für über ein Jahrzehnt als Landesherr im Großherzogtum Luxemburg regierte. Die staatsrechtliche Grundlage bildete ein Hausvertrag, den alle fürstlichen Linien des Hauses Nassau 1783 abgeschlossen hatten. Darin war vereinbart worden, daß, falls eine Linie in der männlichen Nachfolge aussterben sollte, die jeweils andere Linie nachfolgen sollte. Diese Vereinbarung galt nach dem Wiener Vertrag von 1815 sowie weiteren internationalen Abkommen für Luxemburg. Da die ottonische Linie nach dem Tode des Königs-Großherzogs Wilhelm III. in der männlichen Nachfolge ausgestorben war, jedoch in der walramischen Linie mit dem depossedierten Herzog Adolph ein männlicher Nachkomme vorhanden war, konnte letzterer den Thron von Luxemburg besteigen. Demgegenüber folgte in den Niederlanden Königin Wilhelmina ihrem Vater auf den Thron.

Einen besonderen Schwerpunkt hat Even auf die Auseinandersetzungen um die Nachfolge von Großherzog Adolph in Luxemburg gelegt. Es waren nicht immer einfache Zeiten, die die großherzogliche Familie im vergangenen Jahrhundert durchzustehen hatte. Dies war insbesondere in den Weltkriegszeiten der Fall. So war es 1919 allein der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung zu verdanken, daß die Dynastie in Luxemburg weiterregieren konnte. Und nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Luxemburg 1940 war die großherzogliche Familie sogar gezwungen, das Land zu verlassen und ins Exil nach Kanada zu gehen. Unvergessen sind die Regierungszeiten von Großherzogin Charlotte, die über 40 Jahre regierte, und von Großherzog Jean, der 36 Jahre lang den Thron innehatte. Even hebt besonders die Weitsicht des letzten Großherzogs hervor, der sein Land zu einem anerkannten Partner in Europa gemacht hat.

Auf der Anhöhe zwischen Wiesbaden und Biebrich erinnert noch heute das Landesdenkmal an den letzten nassauischen Landesherrn. Die an dem 1909 errichteten Denkmal angebrachte Inschrift weist heute darauf hin, daß der einstige Landesherr nicht nur bis 1866 Herzog von Nassau war, sondern daß er von 1890 bis 1905 als Großherzog von Luxemburg regierte. Diese Ergänzung ist der Initiative des bereits erwähnten Freundeskreises zu verdanken. Seine Mitglieder haben das nassauische Landesdenkmal dadurch zum ersten europäischen Denkmal Wiesbadens gemacht. Mit seinem hervorragenden Werk hat Even der Dynastie Luxemburg-Nassau ein weiteres Denkmal gesetzt, das sicher noch lange nachwirken wird.

Empfohlene Zitierweise:

Herbert Kohl: Rezension von: Pierre Even: Dynastie Luxemburg-Nassau. Von den Grafen zu Nassau zu den Großherzögen von Luxemburg. Eine neunhundertjährige Herrschergeschichte in einhundert Biographien, Luxembourg: Editions Schortgen 2000, in: INFORM 2 (2001), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=457>

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