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Heinz Schilling (Hg.): Peripherie. Lokale Identitäten und räumliche Orientierung an der Grenze (= Schriften des Instituts für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Frankfurt am Main; Bd. 65), Frankfurt a.M.: Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Frankfurt 2000, 352 S., ISBN 3-923992-66-1, DM 36,00

Aus: Nassauische Annalen (Bd. 112 (2001), S. 641)

Rezensiert von:
Walter Csysz

Die Grenze als existenzieller Ort wird von Mitarbeitern und Studenten des Instituts für Kulturanthropologie und Ethnologie der Universität Frankfurt a.M. am Beispiel von sechs hessischen Grenz-Fällen untersucht: Viernheim/ Weinheim (Baden-Württemberg), Hesseneck/ Friedrichsdorf (Baden-Württemberg), Seiferts/ Frankenheim/ Birx/ Fladungen (Thüringen-Bayern), Bad Karlshafen/ Würgassen (Nordrhein-Westfalen), Biedenkopf-Wallau/ Bad Laasphe (Nordrhein-Westfalen) und Wiesbaden/ Mainz (Rheinland-Pfalz).

Kernpunkt ist die mentale Befindlichkeit von Menschen, die an den Grenzen Hessens zu benachbarten Bundesstaaten leben. Beobachtet werden ihr Verhalten gegenüber den Menschen der anderen Seite. Gleichzeitig wird untersucht, welche anthropologischen, psychologischen und ökonomischen Triebkräfte den durch zahlreiche Interviews mit Einwohnern der sechs Grenzbezirke ermittelten Verhaltensweisen zu Grunde liegen.

Es zeigt sich, daß die Zugehörigkeit zu verschiedenen Identitäten höchstens lokale, allenfalls landschaftlich geprägte Bedeutung (Rhön) haben. Viele Unterschiede erweisen sich als rein nostalgische Reaktion im Kultursystem Dorf-Nachbardorf, nur zum Teil verstärkt durch historisch-territoriale, topographische und Konfessionsgrenzen. Wirklich aussagekräftig sind eigentlich nur die Beobachtungen im Länderdreieck Hessen-Bayern-Thüringen, wo geschichtlich gewachsene Nachbarschaften durch die hermetische Grenzziehung der Nachkriegszeit über einen größeren Zeitraum unterbrochen waren. An den anderen Grenzen entscheidet sich die Frage des Andersseins überwiegend nach rein praktischen Gründen: Qualität der Schulsysteme, Arbeitsplatzchancen und Einkaufsmöglichkeiten. Im Verhältnis Mainz-Wiesbaden spielen darüber hinaus Mentalitätsunterschiede als kollektive Charakterzüge eine besondere Rolle.

Die Indifferenz hinsichtlich des Zugehörigkeitsgefühls zu einem Bundesland ist verständlich, wenn man bedenkt, daß drei der Nachbarländer "Bindestrich-Länder" sind, deren anthropologische und mentale Identität künstlich ist. Gleiches gilt nach Meinung des Rez. auch für Hessen selbst, das eigentlich Hessen-Nassau heißen müßte. Deshalb verwundert das Ergebnis der Untersuchung nicht, nach der die Hypothese, daß an den Landesgrenzen aus dem alltäglichen Vergleich mit anderen Bundesländern eine ganz besondere Identifikation mit dem Bundesland Hessen erwachse oder daß gerade an der Grenze so etwas wie ein starkes Hessenbewußtsein wahrzunehmen sei, sich nicht bestätigt hat.

Auf Einzelbeispiele kann hier nicht eingegangen werden, zumal sie sehr ungleich ergiebig sind. Insgesamt gibt das Buch jedoch eine Reihe von Anregungen, die es wert sind, bedacht und vertieft zu werden.

Empfohlene Zitierweise:

Walter Csysz: Rezension von: Heinz Schilling (Hg.): Peripherie. Lokale Identitäten und räumliche Orientierung an der Grenze, Frankfurt a.M.: Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Frankfurt 2000, in: INFORM 2 (2001), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=454>

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