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Uta Goerlitz: Humanismus und Geschichtsschreibung am Mittelrhein. Das "Chronicon urbis et ecclesiae Maguntinensis" des Hermannus Piscator OSB (= Frühe Neuzeit; Bd. 47), Tübingen: Niemeyer 1999, XVIII + 525 S., 7 Abb., ISBN 3-484-36547-1, DM 226,00

Aus: Nassauische Annalen (Bd. 112 (2001), S. 637 f.)

Rezensiert von:
Klaus Eiler

Die Erforschung der Geschichte der Historiographie in der Übergangsphase vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit erfreut sich in den letzten Jahren eines wachsenden Interesses. Dabei fällt die Bearbeitung dieser Thematik nicht gerade leicht, da sie nur vor dem Hintergrund der Humanismusforschung zu betreiben ist, zu der inzwischen eine fast unüberschaubare Literatur erschienen ist. Die vorliegende Arbeit, die 1994 an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation angenommen wurde, hat sich dennoch der Herausforderung gestellt und die Mainzer Chronik des Hermannus Piscator zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung gemacht. Es geht dabei vor allem darum, die Bedeutung des Werkes für die frühneuzeitliche Historiographie insgesamt herauszuarbeiten und dabei die Wechselwirkung zwischen Historiographie und mittelrheinischem Humanismus neu zu bewerten.

Der größte Teil der lange Zeit als verloren geltenden Chronik des Hermannus Piscator wurde zu Anfang der 1980er Jahre von Franz Staab in einer Münchener und einer Wiener Handschrift des 16. Jh.s wiedergefunden. Sie umfaßt über 500 Seiten und behandelt nicht nur die Geschichte der Stadt und des Erzbistums Mainz, sondern reicht weit darüber hinaus bis in das Altertum und in die ältere deutsche Geschichte zurück. Man muß die Chronik in eine Reihe mit denen des Sponheimer Abtes Johannes Trithemius, des Laacher Priors Johannes Butzbach und des Limburger Kanonikers Johannes Gensbein stellen.

In einer präzisen und wissenschaftlich vorbildlichen Weise untersucht G. die Entstehungsgeschichte des Werkes, die Persönlichkeit des Verfassers, dessen geistiges und soziales Umfeld, die Autorschaft, die Überlieferungsgeschichte, den Aufbau des Werkes, den Kontext der Geschichte der Stadt Mainz, die Arbeitsweise der Humanisten sowie die Art und Weise, wie sie ihre Quellenvorlagen ausschöpften, kritisch beleuchteten und in ihr Werk einbauten, und bewertet schließlich die Chronik und ihren Autor im Rahmen der deutschen und mittelrheinischen Geschichtsschreibung.

Es gelingt der Verf.in, Vorurteile gegen die Geschichtsschreibung der benediktinischen Humanisten mit ihren angeblich historischen Ungenauigkeiten auszuräumen und eine Forschungslücke in der Geschichte des mittelrheinischen Humanismus zu beseitigen. Die wichtigsten Erkenntnisse dieser Arbeit kann man in folgenden Punkten zusammenfassen: Die Mainzer Chronik ist ein Beleg dafür, daß der humanistisch gebildete Verfasser die Chronologie methodisch fortentwickelte und bereits Epochengrenzen einführte, daß er durch intensives Quellenstudium die Beweisführung seiner Aussagen anzutreten und sich mit den Quellen auseinanderzusetzen begann und daß der Mainzer Raum mit seinen zahlreichen Klöstern und Stiften und der damals noch jungen Mainzer Universität sich als Zentrum des rheinischen Humanismus in der Zeit des späten 15. und frühen 16. Jh.s. erweist und damit durchaus Köln vergleichbar ist. Außerdem hat Verf.in überzeugend nachweisen können, daß in der Chronik Piscators das Selbstbewußtsein der Stadt Mainz, die auf eine bis in die römische Zeit zurückreichende Geschichte zurückblicken konnte, zum Ausdruck kommt, und daß sich in der Chronik der Reichspatriotismus der Zeit um 1500 und ein Stück mittelrheinischer Kultur- und Geistesgeschichte widerspiegelt.

Als wohl wertvollster Ertrag dieses Bandes erweist sich jedoch das Herausschälen des persönlichen Beziehungsgeflechts der dem Benediktinerorden angehörenden geistlichen Humanisten. Hermannus Piscator war Ordensgeistlicher des Klosters St. Jakob bei Mainz und ist somit der personifizierte Beweis dafür, daß der Einzug humanistischer Bildung in den Klöstern nicht zuletzt ein Ergebnis der Klosterreformen des 15. Jh.s. war. Zur Abfassung seiner Chronik, die um 1520 entstand, ermutigte ihn der hoch gebildete Senior des Klosters Johannisberg im Rheingau Petrus Sorbillo (Schlarf/Schlarp), mit dem Piscator in Briefkontakt und in ständigem geistigem Austausch stand. Die Familie Schlarp stammt aus Geisenheim, wo einzelne Mitglieder, wie aus den Forschungen von W.-H. Struck bekannt ist, als Schöffen und Schultheißen begegnen. Außer Sorbillo sind noch weitere Konventualen von Johannisberg als Dichter und Humanisten bekannt, so Johannes Corvello und Johannes von Lahnstein.

Es würde zu weit führen, alle Einzelergebnisse dieser Arbeit im Rahmen einer Besprechung aufzuführen. Wer sich mit den Wurzeln der neuzeitlichen Historiographie beschäftigt, wird um diese vorbildliche wissenschaftliche Untersuchung nicht herumkommen. Der weiträumige Forschungsüberblick, die tief schürfende und klare Darstellung, die wissenschaftlich ausgewogene Argumentation und die minutiöse Arbeitsweise der Verf.in verdienen größten Respekt und Anerkennung.

Empfohlene Zitierweise:

Klaus Eiler: Rezension von: Uta Goerlitz: Humanismus und Geschichtsschreibung am Mittelrhein. Das "Chronicon urbis et ecclesiae Maguntinensis" des Hermannus Piscator OSB, Tübingen: Niemeyer 1999, in: INFORM 2 (2001), Nr. 4, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=451>

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