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Peter Bahn (Hg.): "Als ich ein Kind war ...". Bretten 1497 - Alltag im Spätmittelalter. Begleitbuch zur Ausstellung, Ubstadt-Weiher: Regionalkultur 1997, 198 S., 89 teilw. farb. Abb., ISBN 3-929366-43-6, DM 28,00

Aus: Württembergisch Franken (Bd. 84 (2000), S. 387-389)

Rezensiert von:
Ute Schulze

Neben dem Grußwort des Brettener Oberbürgermeisters Paul Metzger umfaßt der Band zwölf Textbeiträge, die in der Zusammenschau die gesamte Lebenssituation im Spätmittelalter von der Kindheit bis zum Tod umfassen. Dabei sind die einzelnen Aufsätze nicht nur rein auf Bretten begrenzt, sondern sie geben die Situation der betrachteten Zeit wieder. Thematisch wird vom "Alltag" über Bildung und Wissenschaft bis zu Sozialem eine breite Palette geboten. Die einzelnen Artikel sind zumeist in knappe Unterkapitel aufgeteilt.

Den Anfang macht der Beitrag des Herausgebers, Peter Bahn (S. 9-28), der neben einer kurzen Biographie Philipp Melanchthons, geboren als Philipp Schwartzerdt am 16. Februar 1497 in Bretten, die Familie Schwartzerdt und die Bedeutung der einzelnen Personen für Melanchthon bietet. Dabei geht der Verfasser auch auf das Jubiläumsjahr 1997 mit seinen verschiedenen Veranstaltungen ein. Ebenso stellt er die Amtsstadt Bretten, ihre Münze und ihren Markt dar.

Der zweite Beitrag von Elisabeth Loffl-Haag beschäftigt sich mit "Kindheit und Spielzeug" um 1500 (S. 29-45). Dabei reicht die Palette der Themen von Kinderspielen und -reimen über die Kindersterblichkeit und die Einstellung zum Kind sowie dessen Erziehung über "Ehrbare Frauen, Hebammen und Ammen" bis zu Kinderkleidung und rechtlichem Rahmen (Mündigkeit).

Im darauf folgenden Kapitel widmet sich Wolfgang Martin dem "Schulwesen in Bretten in den Kinderjahren Melanchthons" (S. 47-67). Der Autor stellt die Quellenlage vor und gibt einen Überblick über die verschiedenen Sichtweisen in der allgemeinen Forschung bezüglich der Schriftlichkeit in Städten und den Bildungsvoraussetzungen. Er stellt die Schulsituation in Bretten und den Bezug zur Universität Heidelberg dar und geht auch auf die Mädchenbildung und den Fächerkanon sowie Schulzeiten und Unterrichtsablauf ein. In einem Exkurs stellt er den Beruf des "Schreib- und Rechenmeisters" vor (S. 61-63).

Im anschließenden Aufsatz von Ulrich Reich geht es um einen kurzen Abriß "Mathematik zu Melanchthons Geburtszeit" (S. 67-85). Zu Beginn werden dem Leser die beiden Bereiche der Mathematik vorgestellt, die Algebra und die Arithmetik, wobei sich der Verfasser in der Hauptsache dem "praktischen Rechnen", der Arithmetik zuwendet. Reich stellt die beiden Methoden des "schriftlichen Rechnens" und des "Linienrechnens" vor, die durch Abbildung 1 des Beitrags sehr anschaulich gegenübergestellt werden. Der Kulturaustausch in der Mathematik zwischen islamischer und christlicher Welt findet ebenso Niederschlag wie der Inhalt von Rechenbüchern, und auch Rechenaufgaben sind zu finden. Ein Exponat der Ausstellung in Bretten, der Wittenberger Rechentisch, wird als Zeugnis der Wissenschaftsentwicklung vorgestellt.

Im Anschluß gibt Jutta Zander-Seidel einen Überblick über den "Bürgerlichen Kleideralltag um 1500" (S. 87-103). Zunächst nimmt die Autorin die Quellenüberlieferung unter die Lupe, deren wesentlicher Teil die zeitgenössischen Kunstdarstellungen sind. Die Alltagssphäre, so stellt Zander-Seidel fest, bleibt dabei weitgehend ausgeklammert. Die schriftlichen Quellen geben Auskunft über Kleidererwerb und Handel. Es stellt sich dabei heraus, daß Kleidung, gerade der Oberschicht, sehr lange halten mußte. Der Gebrauchtkleiderhandel lag oft bei Frauen. Neben Kleiderordnung, Mode und Kleidung des "gemeinen Mannes", Berufs-, Funktionskleidung und Amtstrachten beschäftigt sich die Autorin auch mit den Themenbereichen Kleiderpflege und -reparatur.

Ortwin Gamber stellt dann den Vater Philipp Melanchthons, den "Plattner und Büchsenmacher Georg Schwartzerdt" vor (S. 105-110). Die biographischen Daten stammen nach Aussage des Verfassers von Peter Bahn, der seinerseits bereits im ersten Kapitel auf Georg Schwartzerdt einging (vgl. S. 19-24). Insgesamt umfaßt Gambers Beitrag eineinhalb Textseiten und 2 ½ Seiten Abbildungen von Rüstungen und deren Teilen. Auf Seite 110 müßte die zweite Überschrift besser "Abbildungen" als "Anmerkungen" heißen.

Der nächste Beitrag von Norbert Ohler steht unter der Überschrift "Reisen zur Zeit Melanchthons" (S. 111 -132). Die Unterkapitel widmen sich den Gründen für eine Reise (u. a. der Wissenschaft wegen), den Reisewegen, Zielorten, den Reisevorbereitungen, den Verkehrsmitteln, dem Reisetempo, auch Jahreszeiten und Reisen in Gesellschaft, was das Stichwort Sicherheit ins Spiel bringt. Reisekosten und Unterbringung werden behandelt (z. B. das in Venedig mögliche Pauschalangebot für Reisen ins Heilige Land). Aber auch Zollstellen und gedruckte Karten erwähnt Ohler.

Im folgenden widmet sich Wolf-Dieter Albert in seinem kunstgeschichtlichen Aufsatz der "Heiligenskulptur zwischen 1450 und 1550" (S. 133-139). Dabei konzentriert sich der Autor im wesentlichen auf die in der Brettener Ausstellung präsentierten Figuren des dortigen Stadtmuseums, wobei er diese im Rahmen ihrer Zeit betrachtet. Arbeiten einzelner Meister werden vorgestellt. Am Schluß stellt sich Albert nochmals die Frage der Zusammengehörigkeit der Brettener Figuren als Altargruppe und beantwortet sie negativ.

Wolfgang F. Reddig behandelt einen sozialgeschichtlichen Aspekt. "Das Bürgerspital um 1500 - Pfründneranstalt und Sozialasyl" heißt der Aufsatz (S. 141-157). Dabei geht es um die "Entwicklung und Zielsetzung des Hospitals bis in die Zeit um 1500" als auch "um das Beziehungsgefüge seiner Bewohner und Funktionsträger" (S. 141). Reddig beginnt seine Untersuchung mit einem knappen Überblick seit dem 12./13. Jahrhundert u. a. mit den verschiedenen Orden. Er setzt seine Betrachtung mit der zunehmenden Verbürgerlichung des Spitals fort. Verwaltung und Pflegepersonal werden betrachtet. Auch die Spitäler anderer Städte (Nürnberg und Straßburg) werden einbezogen. Abschließend wendet sich der Autor der Brettener Spitalordnung zu.

Wolf-Dieter Müller-Jahnke beschäftigt sich unter dem Titel "Denn alles besiegt der Tod ..." mit "Seuchen und Heilkunde in der frühen Neuzeit" (S. 159-164 ). Sein Schwerpunkt liegt dabei auf der Pest in Venedig 1348. Er gibt Beispiele für die Feststellung von Symptomen und die Versuche mit allen möglichen Mitteln, u. a. der Astrologie, des Problems Herr zu werden. Die Verfolgung der Juden im Zusammenhang mit der Pest wird kurz angerissen. Die Memento-Mori-Literatur und die Totentanz-Darstellungen als Ausdruck des Grauens finden Erwähnung.

Die Erfahrung des Todes behandelt Elfriede Starke: "Einüben auf das Sterben" (S. 165-175). Starke beginnt mit der Erfahrung, die Melanchthon schon im Kindesalter mit dem Tod machen mußte. Sie nennt die verschiedenen Aspekte des Todes im Erleben seiner Zeitgenossen: hohe Kindersterblichkeit, Seuchen, Krieg und Todesstrafe. Aber auch der Umgang mit dem allgegenwärtigen Lebensende wird uns vor Augen geführt. Seien es Glaubensrituale und Zeremonien, die Vorstellungen vom Fegefeuer und vom Jüngsten Gericht. Kunsthistorische Topoi wie "Der Tod und das Mädchen" werden ebenso erwähnt wie der Beistand für die Toten und das unter öffentlicher Teilnahme begangene Begräbnis.

Auch der letzte Beitrag behandelt den Tod. "Historische Grabmäler in Bretten ..." überschreibt Anneliese Seeliger-Zeiss ihre Ausführungen ( S. 177-196). Die Grabmäler der Stadtkirche in Bretten werden sowohl als greifbare Zeugnisse, als "Geschichte zum Anfassen" einzeln vorgestellt als auch im Kontext der Bestattungsbräuche gesehen. Waren in Zeiten von Seuchen Grabstätten außerhalb der Städte angesiedelt, galten sie in oder bei Kirchen schon im Mittelalter als besonders bevorzugt. Die Grabmäler als Ausdruck von Zeitgeschmack und konfessioneller Haltung der Auftraggeber werden auch betrachtet. Ein besonderer Augenmerk gilt dabei den Kindergräbern in der Bach-Kapelle in Bretten.

Die einzelnen Beiträge können häufig nur einen knappen Überblick über die behandelte Thematik bieten, dennoch ist gerade dies ein Anreiz, sich mit dem ein oder anderen näher zu beschäftigen, wobei der Ansatz, sich nicht auf Bretten zu beschränken, sondern die Stadt und ihre Menschen im Umfeld ihrer Zeit zu betrachten, fruchtbar ist. Auch bleibt zu sagen, daß die Abbildungen im Großen und Ganzen zur Veranschaulichung des im Text gesagten dienen und damit über das rein Dekorative hinausgehen.

Empfohlene Zitierweise:

Ute Schulze: Rezension von: Peter Bahn (Hg.): "Als ich ein Kind war ...". Bretten 1497 - Alltag im Spätmittelalter. Begleitbuch zur Ausstellung, Ubstadt-Weiher: Regionalkultur 1997, in: INFORM 2 (2001), Nr. 3, URL: <http://www.sehepunkte.de/inform/reviews.php?id=429>

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